Warum Junge Gelb und Grün wählen
Auffallend viele Erstwähler und Erstwählerinnen haben ihre Kreuze bei FDP und Grünen gesetzt. Jugendforscher Simon Schnetzer erklärt, was das mit der Corona-Politik zu tun hat
Die Grünen und die FDP als Wahlsieger – das wäre das Ergebnis der Bundestagswahl, wenn es nach Erst- und Jungwählerinnen und -wählern gegangen wäre. Warum haben sie sich für diese Parteien entschieden?
Simon Schnetzer: Das ist eine Abkehr von der letzten Regierung, die junge Wähler und Wählerinnen enttäuscht hat. In der Pandemie haben junge Menschen gesehen, dass die Wirtschaft aufrechterhalten, aber die Bildung komplett heruntergefahren wurde. Es ist eben nicht nur das Feiern, das sie bewegt, sondern auch Raum für das Lernen und Hobbys zu haben. Die Persönlichkeitsentwicklung ist wichtig, sich auszuprobieren, Kontakte zu knüpfen und den Übergang in das Berufsleben nicht nur digital, sondern auch persönlich zu planen. Auch die Umsetzung der digitalen Angebote in Schule oder Universität hat gezeigt, was dort in der Vergangenheit bei der Digitalisierung versäumt wurde. Hinzu kommt der Rezo-Faktor. Der YouTuber Rezo hat durch seine „Zerstörungs-Videos“Aufklärung betrieben. Das hat den Vertrauensverlust in die großen Parteien vergrößert. Das alles trägt zu einem Wunsch nach Veränderung bei.
Kommen die FDP und Grünen diesem Wunsch der Jungen nach?
Schnetzer: FDP und Grüne verbinden zwei Sachen, die von jungen Menschen gewünscht werden: Die Vision von einer intakten Umwelt und Wohlstand im Leben. Diese Themen haben die Parteien aufgegriffen. Die Klimaziele sind wichtig. Der materielle Wohlstand muss auch in der Zukunft gesichert werden. Das längst fällige Thema Rente muss angegangen werden. Junge Menschen glauben nicht mehr, dass eine Rente später Wohlstand im Alter ermöglicht. Das Rentensystem müssen sie jedoch weiter am Leben erhalten. Gerade während der Pandemie haben sich sehr viele junge Menschen mit Anlagen, Finanzen und ETFs beschäftigt. Auch viele Influencer und Influencerinnen beschäftigen sich damit. Das hat sicherlich die Attraktivität der FDP verbessert. Allerdings muss auch beachtet werden, dass die FDP vermehrt von männlichen jungen Personen gewählt wurde. Im Gegensatz dazu haben die Grünen mehr weibliche Personen erreicht. Bei den Grünen sind es die Klimaziele, aber auch die öko-soziale Tendenz. Die FDP steht auch für das Klima, aber mit einem anderen wirtschaftlichen Ansatz, eher öko-materiell.
Als Jugendforscher veröffentlichen Sie seit 2010 die Studie „Junge Deutsche“zur Lebens- und Arbeitswelt der Generation Y und Z: Welche Themen neben Klima und Wohlstand waren jungen Menschen bei der Wahl noch wichtig? Schnetzer: Eine Reformierung der Bildung, denn die nächste Pandemie kommt bestimmt. Es ist die Frage, ob wir es schaffen, das Bildungssystem dagegen resilienter zu machen. Die jungen Menschen wünschen sich außerdem, dass sie stärker an der Politik beteiligt werden. Da spielt auch die Absenkung des Wahlalters rein. Junge Menschen fühlen sich früher mündig. Es wäre keine radikale Veränderung, wenn ab 16 Jahren gewählt werden darf, ich würde sogar bis zwölf oder 14 Jahre heruntergehen. Mit einem jüngeren Wahlalter müssten die Parteien die Interessen der Jüngeren stärker berücksichtigen und ihre Arbeit verständlicher darstellen.
Haben die Grünen und die FDP junge Wähler und Wählerinnen während des Bundestagswahlkampfes besser angesprochen als andere Parteien?
Schnetzer: Die Grünen und Liberalen haben im Wahlkampf bewusst auch jüngere Menschen angesprochen, die anderen Parteien haben weiterhin auf die älteren Wähler und Wählerinnen gesetzt. Grüne und Liberale haben sehr junge Wahlkampfteams und Kandidaten, das hat man gemerkt. In den sozialen Netzwerken haben sie eine Kommunikation auf Augenhöhe geführt. So etwas wird geschätzt und hat den entscheidenden Unterschied gemacht.
Wie wichtig ist Christian Lindner als Person für die FDP?
Schnetzer: Christian Lindner spricht besonders die junge männliche Klientel an. Er entspricht am ehesten diesem Vorbild-Typ Elon Musk, der ein eloquenter, charismatischer Anführer und Unternehmer ist. Aber Lindner zieht Männer stärker an als Frauen. Auch die Grünen haben ihre Vorbilder, die ich nicht nur in Annalena Baerbock sehe. Fridays for Future hat stark Partei für die Grünen ergriffen, als von Schicksalswahl und Klimawahl gesprochen wurde. Viele Aktivisten und Aktivistinnen haben für die Grünen kandidiert. Insofern sind Luisa Neubauer und Greta Thunberg im erweiterten Sinne ebenso Influencerinnen auf den sozialen Netzwerken für die Grünen.
Ob Jamaika-Koalition oder Ampel
Koalition, ohne FDP und Grüne wird es in der Bundesregierung voraussichtlich nicht gehen. Spielen die Themen der Jungen entgegen allen Erwartungen im nächsten Regierungsprogramm eine deutlich größere Rolle als bisher? Schnetzer: Dafür gibt es verschiedene Faktoren. FDP und Grüne sind mit einem jungen Programm angetreten und sie werden alles dafür tun, sich mit ihren Positionen in der nächsten Bundesregierung durchzusetzen. Aber sie werden Kompromisse eingehen müssen. Auch wird es stark davon abhängen, von welchen Parteien bestimmte Ministerien besetzt werden. Zudem ist während der Corona-Pandemie mit den starken Einschränkungen in den Jungen etwas gewachsen: Ein Systemkonflikt, der schwelt. Die Lockerungen über den Sommer haben dazu geführt, dass es Leuten wieder besser ging, Nebenjobs von Schülern und Studenten wieder möglich sind, die finanzielle Lage sich verbessert hat. Aber das Gefühl, dass es die letzte Regierung „verkackt“hat und dieser Konflikt, dass eine nächste Pandemie ihnen nicht sämtliche Freiheiten rauben darf, das bleibt. Wenn junge Menschen das Gefühl haben, dass die nächste Regierung keine Veränderung herbeiführen kann, dann bahnt sich ein Systemkonflikt an. Der bleibt hoffentlich konstruktiv – kann aber auch destruktiv enden.
Simon Schnetzer, 41, ist Volkswirt und arbeitet in Kempten als selbstständiger Jugendforscher, Speaker und Trainer.