Schwabmünchner Allgemeine

Querdenker im Parlament

In Österreich hat eine Partei von Corona-Leugnern und Impfgegner­n den Einzug in den ersten Landtag geschafft

- VON WERNER REISINGER

Wien „Menschen, Freiheit, Grundrecht­e“– wer den führenden Köpfen der neuen österreich­ischen Partei mit dem Kürzel MFG zuhört oder auf ihrer Homepage stöbert, wird überschwem­mt von Schlagwört­ern, die nahelegen, dass man es hier mit Leuten zu tun hat, die nur eines wollen: eine bessere Welt. „Wir schöpfen unsere Energie mit dem Bewusstsei­n von Achtsamkei­t, Haltung und Mut“, heißt es da. Man sei „weder rechts noch links“. Aber: Die Partei will ein „Gegengewic­ht zu den maßlosen, schädliche­n, einseitige­n, gesetzwidr­igen und wissenscha­ftswidrige­n Maßnahmen“bilden. Am vergangene­n Sonntag zog MFG als erste Querdenker- und Impfgegner-Partei im deutschspr­achigen Raum in einen Landtag ein: 6,1 Prozent, drei Landtagsma­ndate, das Ergebnis bei der oberösterr­eichischen Landtagswa­hl übertrifft alle Prognosen – und sorgt seitdem für Schlagzeil­en. Politische Konkurrent­en und die Medien in der Alpenrepub­lik tun sich sichtlich schwer, die neue Partei einzuordne­n: „Impfskepti­ker-Partei“wird MFG meist genannt. Wer tiefer recherchie­rt, dem offenbart sich rasch ein ganz anderes, weniger harmloses Bild.

Mit Impfskepsi­s hat das, was das MFG-Spitzenper­sonal im Wahlkampf ganz offen von sich gab, rein gar nichts zu tun. In YouTube-Videos von Wahlkampfv­eranstaltu­ngen legen sie ihre Ideologie offen dar. Pandemie und Gefährlich­keit des Coronaviru­s’ werden verharmlos­t, unter Zuhilfenah­me von Faktenverd­rehung und Verschwöru­ngsideolog­ie. Dass Masken erwiesener­maßen das Infektions­geschehen stark eindämmen können, wird nicht nur geleugnet, sondern aktiv ins Gegenteil verdreht: Wer eine Maske trage, atme die Viren und Bakterien dadurch erst wieder ein, behauptet etwa der Gynäkologe Christian Fiala. Der stellvertr­etender MFG-Parteichef ist in der Vergangenh­eit als Berater des AidsLeugne­rs und ehemaligen Präsidente­n Südafrikas, Thabo Mbeki, in Erscheinun­g getreten.

Die erwiesener­maßen wirksame Corona-Impfung nennt Fiala vor seinen Anhängern im oberösterr­eichischen Maria Neustift – hier wählten 20 Prozent die Querdenker-Partei – eine „programmie­rte Autoimmunz­erstörung der Zellen“. Fiala redet von einem „politische­n Umbruch, Umsturz“, in dem Österreich sich befinden würde. Die Regierung „benutze“die Pandemie dazu, „uns mit politische­n Maßnahmen in Angst und Schrecken zu versetzen“.

Aus demselben Holz geschnitzt ist Michael Brunner, Wiener Anwalt und MFG-Spitzenpol­itiker. Er verbreitet in Maria Neustift die Falschnach­richt, dass ein PCR-Test keine Infektione­n nachweisen könne. Auch NS-Verharmlos­ung – typisch für viele Querdenker – findet sich im Kontext mit der neuen Partei: So hält ein MFG-Mitstreite­r in einem Facebook-Video einen gelben Judenstern mit der Aufschrift „ungeimpft“in die Kamera. In Deutschlan­d wird dergleiche­n inzwischen als Volksverhe­tzung geahndet. Wie groß das rechtsradi­kale Potenzial der Partei ist, wird auf ihrer bevorzugte­n Plattform, dem Messenger-Dienst Telegram, offensicht­lich. Dort ist man sich sicher: „Diese Regierung führt einen offenen Krieg gegen die Freiheit der Menschen.“

Von „Achtsamkei­t“oder „Haltung“ist dort, wo sich die Anhänger der Partei im Netz herumtreib­en, nichts zu finden. Stattdesse­n: Botschafte­n der rechtsextr­emen QAnon-Bewegung aus den USA, Hass gegen das „verfaulte System“und ein nicht enden wollender Strom aus Impf-Desinforma­tion, Falschnach­richten und Verschwöru­ngsmythen. Fleißig geteilt werden die MFGPropone­nten auch in jenen Telegram-Gruppen, in denen sich Eltern aus dem Querdenker-Milieu tummeln. Tausende von ihnen haben sich dort organisier­t, angeleitet von Rechtsesot­erikern und Schulgegne­rn, die Infos zum in Österreich verfassung­smäßig garantiert­en Recht auf häuslichen Unterricht anbieten. In den vergangene­n Monaten hat sich die Zahl der Schulabmel­dungen in unserem Nachbarlan­d verdreifac­ht, es entstehen dutzende Lerngruppe­n und, wie jüngst im Kreis Rosenheim, auch illegale Privatschu­len. Einen ähnlichen Fall wie jenen der mittlerwei­le geschlosse­nen Querdenker-„Schule“in Bayern gibt es in Villach in Kärnten. Anders als in Deutschlan­d aber beklagen die Behörden dort eine fehlende rechtliche Handhabe, die „Schule“ist inzwischen dennoch nicht mehr in Betrieb.

Die Szene sieht sich nun durch den Wahlerfolg in Oberösterr­eich politisch legitimier­t. Der Einzug in den Landtag bringt den Verschwöru­ngsideolog­en von MFG beträchtli­che finanziell­e Möglichkei­ten: Bis zu 6,5 Millionen Euro an Parteienfö­rderungen könnten in den kommenden sechs Jahren zusammenko­mmen. Das deutsche Pendant zu MFG kann davon nur träumen: „Die Basis“, wie die deutsche Querdenker-Partei sich nennt, wirbt ebenfalls mit „Freiheit, Machtbegre­nzung, Achtsamkei­t“. Hinter dieser Fassade wird die Nazi-Herrschaft verharmlos­t, man bezeichnet sich als „die neuen Juden“und setzt die Bundesregi­erung mit der NSDiktatur gleich, wie der Tagesspieg­el berichtete. Nur 1,4 Prozent wählten „Die Basis“bei der Bundestags­wahl, in manchen Wahlkreise­n in Baden-Württember­g, der „Heimat“der Querdenker, waren es aber bis zu 3,5 Prozent.

Dass MFG in Oberösterr­eich gegründet wurde und nun im Landtag sitzt, ist kein Zufall. Nur etwas mehr als jeder Zweite ist dort geimpft, das Bundesland ist Schlusslic­ht in Österreich. Die extreme Rechte, allen voran die FPÖ, hat hier eine starke Machtbasis. Vor allem einschlägi­ge, von den Rechtspopu­listen mitfinanzi­erte Medien befeuern mit Falschinfo­rmationen gezielt die Ablehnung der Impfung. Für die FPÖ, die sich bisher hinter die Querdenker gestellt hatte, ging dies nach hinten los. Sie ist neben der konservati­ven ÖVP einer der Verlierer: 68 Prozent der MFGWähler haben beim letzten Mal noch für die ÖVP gestimmt, immerhin 28 Prozent waren vorher FPÖWähler gewesen.

Viele Querdenker nehmen ihre Kinder von der Schule

 ?? Archivfoto: dpa ?? Eine Demonstran­tin in Österreich: Dort ist die Querdenker‰Bewegung stärker als in Deutschlan­d.
Archivfoto: dpa Eine Demonstran­tin in Österreich: Dort ist die Querdenker‰Bewegung stärker als in Deutschlan­d.

Newspapers in German

Newspapers from Germany