Schwabmünchner Allgemeine

„Ohne hohen CO2‰Preis wird es nicht gehen“

Schwabens IHK-Hauptgesch­äftsführer Marc Lucassen und Ifo-Präsident Clemens Fuest diskutiere­n nach der Wahl über die Risiken für die Konjunktur, den Umbau der Wirtschaft und darüber, wie der Staat nun zu mehr Geld kommt

- Interview: Michael Kerler und Matthias Zimmermann

Herr Fuest, der Export läuft gut, die Beschäftig­ung steigt, aber trotzdem schwächt sich das Wachstum ab. Was ist los mit der Konjunktur?

Clemens Fuest: Die Konjunktur­erholung wird etwas länger dauern, als wir das zuletzt erwartet haben. Wir haben unsere Prognose vor kurzem reduziert von 3,3 auf 2,5 Prozent für 2021, dann deutlich mehr nächstes Jahr. Es verschiebt sich alles nach hinten. Schuld ist die Materialkn­appheit. Es sind nicht nur die Halbleiter, die fehlen. Es fehlen elektronis­che Komponente­n, Stahl, Aluminium, alle möglichen Stoffe und Bauteile, Plastiktei­le, auch Verpackung­smateriali­en. Das ist sehr breit. Wir hatten vermutet, dass sich das über den Sommer etwas entspannt. Was wir aber sehen, ist eine Verschärfu­ng. In der letzten Umfrage haben uns im verarbeite­nden Gewerbe 80 Prozent der Firmen gesagt, wir haben Probleme mit Vorprodukt­en. Wenn man die letzten drei Jahrzehnte zurückscha­ut, war das Maximum 20 Prozent. Das zeigt die Dimension der Beschaffun­gskrise. Firmen aus der Automobili­ndustrie sagen uns, die Knappheit bei den Halbleiter­n wird noch weitergehe­n im Jahr 2022, vielleicht sogar bis 2023. Das ist ein großes Problem.

Herr Lucassen, wie ist es in der Region?

Marc Lucassen: Wir spüren, dass sich die Konjunktur erholt, allerdings dämpfen Nachwirkun­gen aus der Corona-Krise die Entwicklun­g. Die Unternehme­n der Region leiden auch unter den genannten Lieferengp­ässen zum Beispiel bei elektronis­chen Chips, Kunststoff oder Rohstoffen für den Bau. Wir befürchten, dass dies noch monatelang anhält. Aber der Arbeitsmar­kt hat sich erholt, es herrscht nahezu Vollbeschä­ftigung. Der Fachkräfte­mangel kommt mit Wucht zurück.

Wo fehlen besonders viele Fachkräfte?

Lucassen: Wir stellen einen drastische­n Mangel an Fachkräfte­n in den IT-Berufen sowie in der Elektround Metallindu­strie fest. Betroffen sind auch Hotels und Gaststätte­n, wo Küchen- und Servicekrä­fte fehlen. Hier haben sich viele Beschäftig­te in der Corona-Zeit andere Arbeitgebe­r gesucht. Viele Fachkräfte sind auf absehbare Zeit weder in der Region noch auf nationaler oder europäisch­er Ebene verfügbar. Hier müssen wir uns grundlegen­de Gedanken machen.

Welche Ideen zur Lösung des Fachkräfte­problems hat die Wirtschaft?

Lucassen: Wir müssen die duale Berufsausb­ildung noch prominente­r

Wir tun hier als IHK bereits sehr viel, die Corona-Krise hat den Trend zur Akademisie­rung aber leider nochmals verstärkt. In der Krise haben viele junge Menschen entschiede­n, weiter in die Schule zu gehen oder eine akademisch­e Ausbildung zu beginnen. Die neue Bundesregi­erung muss sich deshalb mehr für die Gleichwert­igkeit nichtakade­mischer und akademisch­er Bildung engagieren. Helfen kann unseren Unternehme­n auch das neue Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz, das es möglich macht, gezielter Fachkräfte aus dem nichteurop­äischen Ausland anzuwerben - vom Auszubilde­nden über den Koch bis zum IT-Spezialist­en. Das Interesse der regionalen Firmen ist groß.

Eine große Hürde für die Bildung einer neuen Regierungs­koalition dürfte die Frage sein, wie man es denn mit den Steuern hält: rauf oder runter? Fuest: Finanzpoli­tik sollte man nicht nach kurzfristi­ger Kassenlage gestalten. Auf lange Sicht kann man nur das ausgeben, was man einnimmt. Kurzfristi­g sollte Finanzpoli­tik aber konjunktur­gerecht sein. Die Politik muss sich derzeit also überlegen, wie man das Gleichgewi­cht findet zwischen dem Schutz der öffentlich­en Einnahmen und einer Steuerpoli­tik, die einen wirtschaft­lichen Aufschwung nicht abwürgt. Für größere Steuersenk­ungen haben wir derzeit nur sehr begrenzte Spielräume. Wenn man das macht, muss man auch Ausgaben kürzen oder zumindest einfrieren.

Das könnte schwierig werden, denn für die anstehende­n Aufgaben, etwa beim Klimaschut­z, braucht der Staat ja weiterhin viel Geld …

Fuest: Es gibt zwei grundlegen­de Fehler in der Debatte. Erstens: Ausgaben werden sakrosankt gesetzt und die Steuerpoli­tik muss sich dann anpassen. Tatsächlic­h gibt es kaum Ausgaben, die sakrosankt sind, das sind immer politische Entscheidu­ngen. Und zweitens: zu denken, die notwendige­n Investitio­nen wären immer öffentlich. Wir reden zu 85 Prozent über private Investitio­nen in Deutschlan­d, zu 15 Prozent über öffentlich­e.

Aber dennoch braucht der Staat doch Geld für die Transforma­tion …

Fuest: Es gibt ein aktuelles Gutachten von Agora Energiewen­de, in dem geschätzt wird, was wir an grünen staatliche­n Investitio­nen brauchen. Es sind etwa 460 Milliarden Euro bis 2030, also etwa 1,3 Prozent pro Jahr des BIP. Das ist für sich genommen gar nicht viel. Dazu werden allerdings Dinge gezählt wie Leitungsne­tze für Gas, sozialer Wohnungsba­u – das alles kann man auch privat finanziere­n. Das heißt, es ist nicht so sehr zutreffend, dass wir riesige öffentlich­e Ausgaben brauchen. Wir müssen auf intelligen­te Weise entscheide­n, was organisier­en wir öffentlich und was privat. Es ist ganz klar, dass ein ganz großer Teil der Transforma­tionsinves­titionen – in Digitalisi­erung, in Dekarbonis­ierung – in Unternehme­n stattfinde­t. Deswegen werden wir die Transforma­tion nicht schaffen, wenn wir den privaten Sektor abwürgen mit höheren Steuern. Lucassen: Da bin ich ganz bei Ihnen. Die Schuldenbr­emse hat sich bewährt. Wir müssen schauen, dass öffentlich­e Ausgaben nicht einfach nur den Konsum, sondern besonders Investitio­nen anregen.

Fuest: Die Schuldenbr­emse steht in der Verfassung. Wir werden keine Mehrheiten haben, die zu ändern. Aber die Schuldenbr­emse lässt erhebliche Spielräume für Investitio­nen. Der Bund kann die Bahn mit Kapital ausstatten, er kann öffentlich­e Unternehme­n mit Kapital ausstatten. Was nicht geht, ist öffentlich­e Konsumausg­aben immer weiter zu erhöhen, und das ist ja auch ganz gut so.

Dann sind steigende Staatsschu­lden derzeit kein Problem?

Fuest: Kurzfristi­g würde ich das Senken von Staatsschu­lden nicht als Priorität ansehen. Aber ich denke auch nicht, wir sollten die Schuldenbr­emse in die Luft sprengen. Ich glaube, dass vor der Krise die Schwarze Null schon richtig war. Aber wir haben negative Zinsen, wir haben eine Reihe von einmaligen Investitio­nsbedarfen jetzt. Die Zeit ist relativ günstig. Ich glaube, das größere Problem bei der Umsetzung aller Investitio­nen liegt darin, dass wir gar nicht die Kapazitäte­n haben. Lucassen: Das ist absolut richtig. Denken Sie nur an die sehr gut ausgelaste­te Bauwirtsch­aft.

Was würden Sie einer neuen Bundesregi­erung denn nun empfehlen, Steuern rauf oder Steuern runter?

Fuest: Meines Erachtens wäre ein guter Kompromiss für die Koalition, die nun ansteht, dass man auf große Steuersenk­ungen und -erhöhungen verzichtet und dafür durch beschleuni­gte steuerlich­e Abschreibu­ngen Anreize setzt für Investitio­bewerben. nen, etwa für Gebäudedäm­mung, für grüne Investitio­nen in den Unternehme­n, für die digitale Transforma­tion. Beschleuni­gte Abschreibu­ngen sind so etwas wie eine stille Beteiligun­g des Staates an den Unternehme­n. Das ist eine Win-winSituati­on. Der Staat setzt heute Geld ein, damit wir in Zukunft mehr Wohlstand und Klimaschut­z haben. Lucassen: Wir sind uns einig, dass wir den Klimaschut­z nach vorne bringen müssen. Dies sollte über marktwirts­chaftliche Mechanisme­n erfolgen. Verbote und Dirigismus sind fehl am Platz. Der Staat muss Anreize schaffen, damit in klimafreun­dliche Technologi­en investiert wird. Ein diskutiert­er Weg ist die Erhöhung des CO2-Preises. Wir bevorzugen die von Herrn Fuest erwähnten steuerlich­en Mechanisme­n, zum Beispiel Abschreibu­ngen auf klimafreun­dliche Investitio­nen. Wir brauchen zwingend eine europäisch­e Lösung, keine deutschen Alleingäng­e. Ansonsten verstärken wir den Trend, dass energieint­ensive Branchen abwandern. Werkstoffe aus Kohlefaser­n werden zwar noch in Deutschlan­d entwickelt, wegen der hohen Energiekos­ten aber in Übersee produziert. Das ist ein warnendes Beispiel.

Reicht denn die CO2-Bepreisung, um den Klimaschut­z zu finanziere­n?

Fuest: Nochmal, es ist eine Fehlannahm­e bei der Dekarbonis­ierung, dass da zunächst so viel Geld benötigt würde. Erst einmal nimmt man ja Geld ein, denn es sollte ja der Grundsatz gelten: Wer verschmutz­t, muss dafür bezahlen. Wenn es allerdings bei uns einen hohen CO2-Preis gibt und im Ausland nicht, dann haben wir ein Problem der Wettbewerb­sfähigkeit unserer Industrie. Die Pläne, das auszugleic­hen, gehen zwar in die richtige Richtung, aber sie werden letztlich nur teilweise funktionie­ren. Insofern muss man, was die Industrie angeht, jetzt schon aufpassen, dass die Energiever­sorgung und die CO2-Bepreisung keine Verwerfung­en auslösen. Aber ohne einen hohen CO2-Preis wird es nicht gehen. Im Wahlkampf gab es große Aufregung, als Frau Baerbock gesagt hat: ,Leute, das Benzin wird teurer.’ Tatsächlic­h muss es noch viel teurer werden, wenn wir wirklich Klimaneutr­alität wollen! Der CO2-Preis muss im Mittelpunk­t aller Konzepte zum Klimaschut­z stehen. Natürlich muss man das ergänzen um Ausgleich, auch um sozialen Ausgleich, wo es erforderli­ch ist. Aber man hat dann ja erst einmal Einnahmen.

Die Schuldenbr­emse lässt Spielraum für Investitio­nen

Soziale Fragen stellen sich beim Kampf gegen den Klimawande­l möglicherw­eise auch, wenn Unternehme­n ins Schlingern geraten, weil sie Produkte herstellen, die keiner mehr braucht, Teile für Verbrenner­motoren etwa. Für wie groß halten Sie das Problem? Fuest: Das Problem halte ich für ernst, aber zu bewältigen. Wir haben am Ifo-Institut eine Studie gemacht, in der wir angeschaut haben, wie viele Menschen arbeiten bei Verbrenner­n? Und wie viele Menschen gehen in den nächsten Jahren in Rente, wie hoch ist also die natürliche Fluktuatio­n? Und wie viele Menschen brauchen andere Jobs? In den Szenarien, die wir da anschauen, kommt heraus, dass wir etwa für 100000 Menschen bis 2030 Umschulung­en brauchen, neue Jobs. Das sind qualifizie­rte Leute. Das ist viel, aber das ist zu schaffen. Das größte Problem ist wahrschein­lich, dass es regional konzentrie­rt ist. In Regionen wie dem Saarland, teilweise Sauerland, Südwestfal­en. Hier in Bayern ist die Automobili­ndustrie natürlich auch stark. Aber hier gibt es viel mehr Strukturen, in denen auch neue Jobs entstehen. Lucassen: Unsere Tochterges­ellschaft im Bereich der Weiterbild­ung, die IHK Akademie Schwaben, arbeitet eng mit den Arbeitsage­nturen zusammen. Auf die gemeldeten Bedarfe reagieren wir mit modernen Weiterbild­ungsangebo­ten. Dass Berufsbild­er sich wandeln oder ganz neue entstehen, ist nichts Außergewöh­nliches. Viele der Technologi­en, die jetzt bei der Transforma­tion zur Elektromob­ilität gefragt sind, gibt es bereits, ebenso wie die mit ihnen verbundene­n Berufsbild­er, wie beispielsw­eise den Elektrotec­hniker oder den Mechatroni­ker. Dennoch ist die Umstellung für die Unternehme­n groß, denn im Unterschie­d zu vielen anderen Komponente­n gehörte es zum Selbstvers­tändnis der deutschen Automobilh­ersteller, den Motor selbst zu entwickeln und herzustell­en. Die Umstellung auf den elektrisch­en Antrieb entspricht damit natürlich einer fundamenta­len Veränderun­g in dieser Industrie.

Der Preis für CO2 muss noch viel stärker steigen

● Clemens Fuest, 53, ist seit 2016 Präsident des Münchner Ifo‰Insti‰ tuts und Experte für Steuerpoli­tik.

● Marc Lucassen, 49, ist seit Janu‰ ar 2020 Hauptgesch­äftsführer der IHK Schwaben.

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Fotos: Rico Grund, IHK Schwaben Clemens Fuest und Marc Lucassen sind sich einig in der Bewertung der Schuldenbr­emse: Der Staat dürfe nicht immer mehr Geld für laufende Ausgaben verwenden.
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