Zoff um ein Stück Stoff
Immer wieder kommt es zum Streit, weil sich Menschen weigern, eine Maske zu tragen. Wie die Polizei die Situation einschätzt, wie groß das Problem bei der Bahn ist und wie dreist eine Supermarktmitarbeiterin angepöbelt wurde
Augsburg Der Feierabend naht, nur ein paar Regale müssen noch eingeräumt werden. Dass der Abend bald alles andere als entspannt sein wird, ahnt die junge Supermarktmitarbeiterin da noch nicht. Doch plötzlich kippt die Stimmung. „Ich wurde richtig angefeindet. Es musste sogar ein Kollege dazukommen“, erzählt die junge Frau aus dem Landkreis Augsburg, die ihren Namen lieber nicht nennen möchte.
Passiert ist das: Beim Einräumen der Regale fällt der 32-Jährigen ein Mann auf, der keine Maske trägt. „Wir waren vom Chef angehalten, Kunden ohne Maske auf die Maskenpflicht hinzuweisen“, sagt die Mitarbeiterin. Diesen Hinweis ignoriert der Mann aber. „Er hat ,jaja’ gesagt und ist weitergegangen. Ich habe ihm dann nochmals gesagt, dass er eine Maske aufsetzen muss und ihm auch angeboten, dass er hier eine kaufen kann.“Dann platzt dem Kunden der Kragen: „Er hat sich richtig groß vor mir aufgebaut und gemeint, ich hätte ihm gar nichts zu sagen und solle einfach meine Arbeit weiter machen.“Ein Kollege hört den Streit und eilt der Supermarkt-Mitarbeiterin zu Hilfe. „Letztendlich ist der Kunde dann gegangen“, erzählt sie. Der Schock sitzt trotzdem tief.
Immer wieder gibt es wegen der Maskenpflicht Ärger. Wie dramatisch die Situation im schlimmsten Fall enden kann, hat erst der schreckliche Vorfall im rheinlandpfälzischen Idar-Oberstein gezeigt: Ein Tankstellenmitarbeiter bittet einen Kunden, eine Maske aufzusetzen. Der verlässt wütend die Tankstelle, kehrt kurze Zeit später zurück und schießt dem jungen Mann mit einem Revolver in den Kopf. Freilich, das ist eine absolute Ausnahme. Doch es lässt sich nicht leugnen, dass die Zündschnur bei einigen Menschen ziemlich kurz ist.
Wie oft gibt es wegen der Maskenpflicht tatsächlich Ärger? Eine Nachfrage beim Polizeipräsidium Schwaben Nord zeigt: Seit Anfang Juni gab es in dessen Zuständigkeitsbereich eine „mittlere, zweistellige Zahl von polizeilich erfassten Vorfällen“, bei denen die Polizei aufgrund eines Verdachtes von
tätig wurde, und bei welchen ein Ermittlungsbeziehungsweise Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet wurde, wie ein Sprecher des Präsidiums gegenüber unserer Redaktion erklärt. Einsatzorte seien überwiegend Verbrauchermärkte oder sonstige Ladengeschäfte, Tankstellen, Spielhallen sowie der öffentliche Nahverkehr gewesen. „Unsere Einsatzkräfte suchen das Gespräch, um derartige Situationen mit einem kommunikativen und transparenten Ansatz zu lösen. Dies gelingt jedoch nicht in allen Situationen“, sagt der Polizeisprecher.
Ähnlich äußert sich sein Kollege vom Polizeipräsidium Schwaben Süd/West. Es werde „zunächst im kommunikativen Ansatz versucht, die Person dazu anzuhalten, den gesetzlichen Bestimmungen nachzukommen“. Wenn die Person sich allerdings nicht überzeugen lässt, könne es zur Einleitung eines Bußgeldverfahrens kommen. Generell müsse man aber sagen, so der Präsidiumssprecher, dass es sich um Einzelfälle handle.
Bei der Bahn indes ist nicht von Einzelfällen die Rede. Die Einführung der Maskenpflicht in Zügen und anderer Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie haben laut Betriebsrat der Deutschen Bahn zu vermehrten Übergriffen auf Mitarbeiter geführt. „Mit Entsetzen“habe man festgestellt, dass die Aggression zugenommen hat. Neben Beleidigungen und anderen verbalen Angriffen seien es häufig auch körperliche Angriffe, wie Bahn-Konzernbetriebsrat Jens Schwarz der Welt am Sonntag sagte. Inzwischen gebe es bei vielen Mitarbeitern eine große Verunsicherung. „Aus persönlichen Gesprächen weiß ich, dass manche Beschäftigte ihre Schicht mittlerweile mit steten Sorgen im Hinterkopf absolvieren.“
Zur Situation bei der Bahn gibt es auch konkrete Zahlen: Rund 230 000 Verstöße gegen die Maskenpflicht in Zügen hat die Bundespolizei dieses Jahr bisher erfasst. In den allermeisten Fällen konnten es die Beamten bei einer Belehrung belassen. In rund 11300 Fällen wurden aber zur Einleitung von BußgeldMaskentragepflichtverstößen verfahren die zuständigen Behörden vor Ort informiert. Und 745 Mal wurden sogenannte Beförderungsausschlüsse verhängt – die Maskenverweigerer mussten also den Zug verlassen.
In den öffentlichen Verkehrsmitteln der Stadtwerke Augsburg scheint die Situation deutlich weniger angespannt zu sein. „Die Fahrgäste halten sich nach wie vor an die Maskenpflicht“, sagt Jürgen Fergg, Sprecher der Stadtwerke. „Mit Einführung der FFP2-Maskenpflicht hatten wir stets unter ein Prozent von Fahrgästen, die keine Maske getragen haben.“Wenn jemand angesprochen werden musste, dann habe er auch sofort eine Maske aufgesetzt.
Dass es nicht immer so glimpflich ausgeht, zeigt ein Fall aus dem mittelfränkischen Ansbach. Dort eskaliert vor Kurzem die Situation in einem Einkaufszentrum derart, dass es eine handfeste Schlägerei gab. Ein 40-jähriger Mann sprach einen 76-Jährigen auf seine fehlende Maske an. Zunächst stritten sich die beiden nur – dann holte der Rentner aus und schlug auf den anderen Mann ein, boxte ihm in den Bauch.
Einen so krassen Fall hat der Pressesprecher von Edeka Südbayern noch nicht erlebt. Er räumt aber ein: „Es gibt schon einzelne Kunden, mit denen man ein tieferes Gespräch führen muss, um sie zu überzeugen, eine Maske aufzusetzen.“Wenn das Gespräch nicht fruchte, dann seien die Mitarbeiter angewiesen, die Polizei zu holen oder vom Hausrecht Gebrauch zu machen. Derlei komme aber nur sehr selten vor. „Im Allgemeinen kann man sagen, dass der Großteil der Kunden die Maskenpflicht sehr gut umsetzt. Und manchmal vergessen es die Leute auch einfach, eine Maske aufzusetzen. Wenn man sie dann anspricht, reagieren sie freundlich.“
Meistens jedenfalls. Was die 32-jährige Supermarktmitarbeiterin aus dem Landkreis Augsburg erlebt hat, wie sie sich von einem uneinsichtigen Kunden hat behandeln lassen müssen, das beschäftigt sie noch heute. Sie meint: „Ich finde, dass die Leute immer schneller aggressiv werden.“