Katjas Flucht in die Wolga
Am Theater in Ulm startete die international gefeierte Angela Denoke ihre Sängerinnen-Laufbahn. Und dorthin kehrte sie jetzt zurück als Regie-Debütantin – mit einem Werk, das ihr Leben schicksalhaft beeinflusste
Ulm Opernengagements haben mitunter unerwartete Neben- und Nachwirkungen. Als Angela Denoke 1998 bei den Salzburger Festspielen als letztlich triumphierende, ja sensationelle Katja Kabanova verpflichtet worden war, lernte sie in ihrem Bühnenliebhaber Boris ihren späteren Mann, den Tenor David Kuebler, kennen und lieben. Einiges krempelte sich schicksalhaft dann um in ihrem Leben. Als eigentlich verheiratete Katja Kabanova hatte sie zwar wegen ihrer erfüllten Nächte mit Boris schuldbewusst in die Wolga zu gehen – aber in der Realität erhielt ihre Karriere den entscheidenden Schub, mit besagtem (Ehe-)Partner an der Seite.
Aber gehen wir schnell noch mal ein paar Jahre weiter zurück: 1992 startete die in Stade bei Hamburg geborene Angela Denoke ihre Bühnenlaufbahn am Theater Ulm, als Mozart- und lyrischer Sopran. Das war ihre erste, auch positiv in Erinnerung bleibende Station. Dann folgte 1996 die Staatsoper Stuttgart, schließlich der steile Aufstieg bis zu den ganz großen Häusern in Wien, New York, London, München, Paris .... Als dramatische Sopranistin, gerade in ihrer Paraderolle Katja Kabanova, war und ist sie gefragt – zuletzt auch in Aribert Reimanns „Lear“als Goneril an der Staatsoper München (Mai 2021).
Aber jetzt kehrte sie erst mal von den großen internationalen Bühnen an das kleine Theater Ulm zurück, wo ihre Laufbahn begann. Und zwar kehrte sie nicht als Dramatische zurück, sondern als debüttierende Regisseurin. Noch einmal steigt sie am selben Ort in einen ihr unbekannten
– sieht man von den mittlerweile vollzogenen Eigenerfahrungen mit stilbildenden Regisseuren wie etwa Konwitschny, Neuenfels und besonders Marthaler ab. Und sie steigt in diesen Fluss mit einem ihr bestens vertrauten Schicksalsstoff: Janaceks „Katja Kabanova“.
Am Donnerstag war Premiere im Großen Haus; Angela Denoke war, um gut ein Jahr coronaverspätet, wieder am Tatort. Und noch eine Auswirkung auf ihre erste Inszenierung hatte die Seuche: Statt eines großen Janacek-Orchesters spielte auf der Hinterbühne eine kleine Kammermusik, bestehend aus Klavier, geschichtsbewusst eingesetztem Harmonium, Harfe. Eine Stummfilm-Begleitung gleichsam, die eine häufige Musiktheatererfahrung durchweg umdrehte: Das Vokale (der Originalsprache) steht präsent im Vordergrund. So scharf konturiert aber dieses klangliche Erlebnis, letztlich fehlte dann doch der mitreißende musikdramatische Nachdruck, der suggestiv überhöhende, auch hymnische Intensitätsstrom, das Fleisch auf PartiturFluss
Rückgrat und Partitur-Rippen. Bedauerlich, situationsgeschuldet, jedoch die Produktion als Aufführung auch rettend.
Dass aber Angela Denokes erste Regie in ihrer szenischen Darstellung gleichfalls reduziert geraten wäre, lässt sich selbst bei kritischster Betrachtung nicht behaupten. Was sie tut, tut sie mit Haut und Haar und Wissen – und dies bedeutet im Falle der „Katja Kabanova“: mit detaillierter, präziser, psychologisierender Personenführung. Zur Betrachtung von insgesamt einsamen
Menschen kommt die Darstellung eines In-sich-Gefangenseins und einer Verstrickung in brutalem Beziehungsnetzwerk, dessen despotische Regeln die Alten diktieren.
Es bleibt die Flucht, und sei es, wie bei Katja Kabanova, die schuldbeladene Flucht in den Tod – bei dieser frommen, visionären, ekstatischen, stark liebenden Frauensperson, die doch so gerne fliegen würde, nicht krauchen in bösen Umständen. Wie sinnig, dass ihr die Schwägerin Varvara den Schlüssel zur Flucht in ein kurzes Glück auf eine Hängeschaukel legt, die dann Katja zum Finale ins Jenseits, in den (Bühnen-)Himmel hebt.
Da ist dann das Einheits-Abbruch-Bühnenbild der Ausstatter Timo Dentler und Okarina Peter nach einer Trockenperiode gleichsam überflutet durch die Wolga – und wir sehen das funktional-hässliche SperrmüllMobiliar aus dem Städtchen Kalinow wasserpflanzenbestückt wie im Wasser trei- bend. Mit Katjas Flucht zu Boris, mit Katjas Sehnsucht zum Tode und mit ihrem Suizid aber kann diese Kaufmannsgesellschaft gar nicht umgehen. Als marode Gesellschaft bleibt sie steif in ihren Gefühlen.
Indem jedoch die Passionsfigur Katja von der stimmlich schwärmerischen, körperlich glühenden Maria Rosendorfsky gegeben wird, stößt die Aufführung dann doch in ein musikalisches Zentrum vor.
Wieder am 3., 7., 16., 22., 30. Okt.