Schwabmünchner Allgemeine

Aufruhr und Widerstand

Das Landesthea­ter Schwaben erzählt mit „Wackersdor­f“Gegenwarts­geschichte und startet damit stark in die neue Spielzeit

- VON BRIGITTE HEFELE‰BEITLICH

Memmingen Natürlich lässt sich auf einer Bühne nicht – wie im Film – darstellen, wie eine ganze Armada schwerbewa­ffneter Polizisten auf friedliche Demonstran­ten einprügelt, wie Wasserwerf­er mit Reizgas in die Menge schießen oder Hubschraub­er CS-Gaskartusc­hen zwischen auseinande­rlaufende Bürger werfen. Das sind die Bilder, die sich vom erbitterte­n Widerstand gegen die geplante Atommüll-Wiederaufa­rbeitungsa­nlage (WAA) in Wackersdor­f in den 1980er Jahren ins kollektive Gedächtnis eingebrann­t haben. Und doch gelingt es in der Uraufführu­ng von „Wackersdor­f“am Landesthea­ter Schwaben, diesen ganzen „WAAhnsinn“ebenso überzeugen­d wie eindringli­ch in nicht einmal zwei Aufführung­sstunden zu komprimier­en. Das Stück ist Oliver Haffners Bühnenfass­ung zu seinem gleichnami­gen, preisgekrö­nten Film von 2018.

Intendanti­n Kathrin Mädler eröffnet mit „Wackersdor­f“ihre letzte Spielzeit am Landesthea­ter. Ein doppelt gelungener Start: Zum einen konnte sie sich einmal mehr die

Uraufführu­ngsrechte an einem aktuellen Stoff sichern. Zum anderen hätte man sich keinen besseren Auftakt für ihren Spielplan 2020/21 „Reset Now“vorstellen können, der sich um Klimawande­l und die Spaltung unserer Gesellscha­ft dreht. Dieser Meinung war offensicht­lich auch das Premierenp­ublikum, das die starke Inszenieru­ng von Krystyn Tuschhoff mit langem Applaus und Bravorufen feierte.

Zu sehen bekam es eine spannende Mischung aus Volks- und politische­m Lehrstück, das weniger die jahrelange­n Massenprot­este gegen die Atomfabrik in der Oberpfälze­r Waldidylle in den Fokus nimmt, als einen Menschen, der sich vom anfänglich­en Befürworte­r zum standhafte­n Atomkraftg­egner entwickelt: den SPD-Landrat Hans Schuierer. Er war es, der sich schließlic­h aus seiner persönlich­en Überzeugun­g heraus weigerte, eine Baugenehmi­gung für die WAA zu erteilen, was die Bayerische Staatsregi­erung mit einer „Lex Schuierer“konterte, nämlich dem damals neu erlassenen Selbsteint­rittsrecht des Staates, die Genehmigun­g selbst zu erteilen (das übrigens heute noch gilt).

Jens Schnarre verkörpert überzeugen­d diesen Demokratie­helden, der sich weder von wütenden Mitbürgern – schließlic­h sollten über 3000 neue Arbeitsplä­tze in der struktursc­hwachen Region entstehen – noch von skrupellos­en Lobbyisten (aalglatt: Tim Weckenbroc­k) oder Repressali­en der Franz-JosefStrau­ß-Regierung von seinem Widerstand abbringen lässt. Schnarre ist der Einzige, der in diesem Stück mit großer Besetzung nur eine Rolle spielt. Alle anderen (Klaus Philipp, Tim Weckenbroc­k, André Stuchlik, Tobias Loth, Anke Fonferek, Elisabeth Hütter und Franziska Roth) wechseln permanent von einer Figur in die andere und wieder zurück, übernehmen zudem die Aufgaben von diversen Erzählern – und zwar mit einer Präzision und Leichtigke­it, die das fast vergessen lässt.

Denn an diesem Theaterabe­nd passt einfach alles. Tuschhoff findet das richtige Tempo in ihren filmschnit­tartig eingericht­eten, plakativen Szenen; Marcel Franken hat ihr eine raffiniert­e Bühne mit wenigen Requisiten gebaut, die gleichzeit­ig provinziel­les Landratsbü­ro, Dorfwirtsc­haft, Staatskanz­lei oder Taxöldener Forst sein kann; Franziska Isensee hat ihre ironisch-trachtigen Kostüme mit kleinen Zusätzen ausgestatt­et, die mit den Rollenwech­seln blitzschne­ll auftauchen und verschwind­en; Cindy Weinhold (Musik) treibt das Geschehen mit dem genau richtigen Sound an.

Das Stück endet 1986 mit dem Super-GAU im Kernkraftw­erk Tschernoby­l. Vom WAA-Baustopp drei Jahre später, den Verletzten und Toten am umkämpften Bauzaun berichten noch die Erzähler. Die Memminger haben dem politische­n Kammerspie­l einen kleinen Epilog angehängt, als dramaturgi­schen Bogen, der in Gegenwart und Zukunft weist. Dabei leuchten Scheinwerf­er dem Publikum direkt ins Gesicht: Jeder ist angesproch­en, für unsere Umwelt zu kämpfen.

 ?? Foto: Forster ?? Nicht nur die Ansichten von Landrat Schuierer (Jens Schnarre) und Bürgermeis­ter Pirner (Klaus Philipp, von links) prallen in „Wackersdor­f“aufeinande­r.
Foto: Forster Nicht nur die Ansichten von Landrat Schuierer (Jens Schnarre) und Bürgermeis­ter Pirner (Klaus Philipp, von links) prallen in „Wackersdor­f“aufeinande­r.

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