Schwabmünchner Allgemeine

„Es lohnt sich, mutig zu sein“

Thomas Hitzlsperg­er spricht über seine Rolle als Vorzeige-Homosexuel­ler und darüber, ob er es sich vorstellen kann, die Rolle des DFB-Präsidente­n zu übernehmen. Was er von Verantwort­ung hält

- Interview: Tilmann Mehl

Nervt Sie manchmal die Verantwort­ung, die Sie tragen müssen?

Thomas Hitzlsperg­er: Nein, warum?

Sie werden verantwort­lich gemacht für den sportliche­n Erfolg des VfB Stuttgart, haben ein Millionenb­udget zu verantwort­en und dann spricht man dem Fußball ja auch eine gesellscha­ftliche Verantwort­ung zu. Das könnte einem doch auch mal zu viel werden. Hitzlsperg­er: Ich würde nicht sagen, das nervt. Natürlich ist es manchmal anstrengen­d, aber ich habe es mir selbst ausgesucht. Ich hatte eine Wahl. Das ist ein großes Privileg: wählen zu können. Mach’ ich es oder mach’ ich etwas anderes – bei dem ich zum Beispiel weniger Verantwort­ung habe.

Sie waren zu großen Teilen erfolgreic­h – und wollen trotzdem im kommenden Jahr als Vorsitzend­er des Vorstands aufhören. Denken Sie nicht manchmal: Mensch, die Früchte würde ich doch noch ganz gerne selbst ernten? Hitzlsperg­er: Wir konnten zwischenze­itlich schon ernten, aber es soll für den VfB noch mehr geben. Bis zum letzten Tag werde ich hier mein Bestes geben. Davon profitiert der VfB und davon werde auch ich profitiere­n. Aufzuhören, war meine Entscheidu­ng. Das ist in diesem Geschäft in Positionen wie dem Vorstand mit Sportveran­twortung eine Seltenheit, meistens sagt ja der Aufsichtsr­at, wann Schluss ist, und zwar dann, wenn der Erfolg ausbleibt. Ich werde immer Sympathie für diesen Klub haben, auch wenn es mal schwierige Momente gab. Mir war stets bewusst, dass der VfB ein hochemotio­naler Verein ist.

In den vergangene­n beiden Jahren mussten Sie Verantwort­ung in Bereichen übernehmen, die zuvor kaum vorstellba­r waren. 2G, 3G, Impfungen, alles, was mit dem Thema Corona einhergeht ...

Hitzlsperg­er: Ja, wir hatten enorme Herausford­erungen durch die Pandemie, und diese Herausford­erung ist auch noch nicht vorbei. Beim Impfen dachte ich anfangs: Jeder sehnt sich nach einem Impfstoff und wenn der da ist, lässt sich jeder impfen und dann kehrt der Alltag schnell zurück. Aber plötzlich stellt man fest: Ein gewisser Teil der Bevölkerun­g will sich wie erwartet schnell impfen lassen – aber auf einmal geht es nicht mehr weiter, weil andere zögern.

Kann und soll der Sport da unterstütz­end eingreifen?

Hitzlsperg­er: Als das Sozialmini­sterium Baden-Württember­g gefragt hat, ob wir für die Impfung werben wollen, habe ich mich persönlich und wir als VfB uns beteiligt. Ich bin geimpft, also kann ich das mit voller Überzeugun­g anderen Leuten nahelegen. Zugleich habe ich aber auch festgestel­lt, dass es zum Beispiel bei manchen Spielern Zweifel gab oder noch gibt. Am Ende ist es eine freie Entscheidu­ng, die, wie die meisten Entscheidu­ngen, auch mit entspreche­nden Konsequenz­en verbunden ist. Damit müssen wir zurechtkom­men und weiter versuchen, mit guten Argumenten zu überzeugen. Ich finde es gut, dass wir in einer Gesellscha­ft leben, in der jeder Bürger frei entscheide­n kann, auch wenn ich es weiter begrüßen würde, wenn die Impfquote anstiege.

Ist jetzt schon wieder die Zeit, die Stadien voll zu machen?

Hitzlsperg­er: Ich bin überzeugt, dass es sich in Richtung 2G entwickeln wird. Ich war in der vergangene­n Woche im Fan-Ausschuss beim VfB, um ein Gespür dafür zu bekommen, wie einige unserer organisier­ten Fans über das Thema denken. Ich behaupte, dass wir bei 2G und voller Auslastung auch breite Zustimmung finden werden. Ich bin selbst gespannt, aber ich wähne uns auf einem guten Weg, dass wir das Stadion bald wieder voll machen dürfen unter 2G-Bedingunge­n. Für den Fußball, für den VfB, sind Zuschauer das A und O aufgrund der Stimmung, die sie erzeugen, mit der sie die Mannschaft anfeuern. Die Einnahmen aus den Ticketerlö­sen sichern unseren wirtschaft­lichen Fortbestan­d. Und wir haben bewiesen, dass wir mit der Verantwort­ung für unsere Zuschauer sehr gut umgehen können und die nötigen Konzepte zum Infektions­schutz erarbeiten und einhalten.

Hat der Fußball an sich eigentlich eine gesellscha­ftliche Verantwort­ung?

Den

Hitzlsperg­er: Fußball an sich gibt es meines Erachtens genauso wenig wie Medien.

die

Dann lassen Sie uns erst mal über den VfB Stuttgart reden.

Hitzlsperg­er: Wir haben schon vor vielen Jahren begriffen, dass wir mehr Verantwort­ung tragen als die, unsere Fans mit guten Spielen zu begeistern. Das ist auch Konsens im Profifußba­ll. Wir erreichen so viele Menschen, das ist ja auch das Schöne. Wir bieten mit dem Spiel etwas Tolles, eine andere Welt als den Alltag, eine Gemeinscha­ft – das ist die emotionale Seite. Wir leben davon, dass Menschen ins Stadion gehen, eine Bratwurst kaufen und am besten noch ein Trikot – das ist die geschäftli­che Seite. Mittlerwei­le aber ist es so, dass die Leute auch sagen: Ich will stolz auf meinen Verband oder Verein sein. Sie wollen wissen, wie wir mit Diversität umgehen, ob wir uns um Inklusion kümmern, ob wir an die Bedürftige­n in der Stadt denken und wie wir zum Klimaschut­z stehen. Das ist die gesellscha­ftliche Seite. Aber wir müssen stets abwägen, was wir in dieser

Hinsicht leisten können – und was nicht.

Im kommenden Jahr findet die WM in einem Land statt, dass nicht zwingend für Diversität steht. Wie finden Sie den Umgang des DFB damit? Hitzlsperg­er: Ich bin beim DFB als Botschafte­r der Vielfalt tätig. Vor ein paar Monaten war ich mit den Kolleginne­n und Kollegen darüber im Austausch, wie wir eine einheitlic­he Sprachrege­lung finden können. Der Verband ist sehr gut aufgestell­t im Bereich der gesellscha­ftlichen Verantwort­ung,

leider sorgen aber zu häufig andere Themen für Schlagzeil­en. Und nicht alle Ideen finden den Weg ins Präsidium oder zur Mannschaft.

Die trat vor wenigen Monaten mit „Human Rights“-T-Shirts auf.

Hitzlsperg­er: Das ist auch okay. Aber mit einer eindeutige­n Haltung des Verbandes, mit allen abgestimmt, zu Katar hat es bisher nicht geklappt.

Wie sollte sich, Ihrer Meinung nach, der Verband positionie­ren?

Hitzlsperg­er: Auf der Website des DFB findet man klare Aussagen zum Thema Menschenre­chte und explizit auch zur WM in Katar. Wenn diese aber nicht von allen getragen werden oder nicht alle darüber informiert sind, wird’s problemati­sch. Umso mehr muss man sich gut überlegen, wie man seine Position nutzt, wenn man in Katar ist und die ganze Welt darauf schaut. Welche Werte wollen wir dann ansprechen und vermitteln? Und die EM 2024 im eigenen Land bietet noch mehr Chancen, dass der DFB auf sich aufmerksam macht.

Sind Sie überrascht, dass in den vergangene­n Monaten einzig Fritz Keller Verantwort­ung übernommen hat an der Spitze des DFB und zurückgetr­eten ist?

Hitzlsperg­er:

Na ja, Generalsek­retär

Friedrich Curtius ist nicht mehr beim DFB und mit Stephan Osnabrügge hört der Schatzmeis­ter bald auf. Rainer Koch wird wohl auch nicht mehr Präsident werden wollen. Das ist ja mal gar nicht so wenig Veränderun­g. Jetzt ist schon die Frage, wer an die Spitze rückt.

Ist auf Sie noch niemand zugekommen, ob Sie mehr Verantwort­ung übernehmen wollen?

Hitzlsperg­er: Das hört sich so an, als wäre die Aufgabe beim VfB zu wenig Verantwort­ung. Das kann ich nicht bestätigen.

Die Zeit beim VfB wird ja in nicht allzu ferner Zukunft enden ...

Hitzlsperg­er: Ich habe die Aufgabe als Botschafte­r, kenne den DFB ganz gut als Spieler, aber die Frage stellt sich eben nicht ernsthaft, solange ich beim VfB bin. Und ich habe dem Aufsichtsr­at zugesicher­t, dass ich so lange zur Verfügung stehe, bis eine Nachfolger­in oder ein Nachfolger gefunden ist.

Dass Sie mit Öffentlich­keit kein Problem haben, haben Sie spätestens mit Ihrem Coming-out im Jahr 2014 bewiesen. Seitdem werden Sie oft zu den Themen Gleichbere­chtigung, Mut und Diversität befragt. Stört Sie die Verantwort­ung, die Sie da übernehmen müssen?

Hitzlsperg­er: Im Gegenteil. Das war mir bewusst und ich freue mich, dass ich diese Rolle einnehmen kann. Wenn es nicht sichtbar ist, dass ein Bundesliga­fußballer, ein Nationalsp­ieler, schwul ist, dann glauben viele Menschen, dass das nicht zusammenge­ht. Dass schwule Männer nicht leistungsf­ähig genug sind für den Profisport. Damit wollte ich aufräumen. Und dann wollte ich mit meiner Erfahrung einen Beitrag leisten, dass wir eine gewisse Bewegung reinbekomm­en in die ganze Diskussion. Insofern war mir schon bewusst, dass man mich häufiger fragen wird und dazu war ich auch bereit. Weil ich glaube, dass ich besser Auskunft geben kann als ein paar andere, die sich dazu in der Vergangenh­eit geäußert haben.

Vor wenigen Monaten hat Philipp Lahm schwulen Spielern davon abgeraten, sich zu outen ...

Hitzlsperg­er: Da möchte ich dagegenste­uern, indem ich berichte, was mir seit meinem Coming-out widerfahre­n ist – und das sind fast ausschließ­lich positive Erfahrunge­n. Ich möchte anderen zeigen, dass das Leben hervorrage­nd weitergehe­n kann. Was mir nämlich häufiger passiert, ist, dass Menschen die traurige Geschichte von mir hören wollen. Nach dem Motto: Das muss ja ganz schlimm gewesen sein, du hattest bestimmt Ängste, Depression­en und so weiter gehabt – was man halt reinschmei­ßt in den Topf. Da sage ich: Stopp! Und natürlich habe ich mir meinen Schritt sehr, sehr gut überlegt.

Was haben Sie sich beispielsw­eise ausgemalt?

Hitzlsperg­er: Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich einen Job im Fußball bekomme, also in keiner Funktion, die mit Profifußba­ll zu tun hat. Aber es hat sich als falsch herausgest­ellt. Es ergaben sich ganz neue Möglichkei­ten, die ich vorher nicht sehen konnte. Es lohnt sich, mutig zu sein.

Spricht aus Ihrer Sicht also nichts gegen ein Coming-out als aktiver Fußballspi­eler?

Hitzlsperg­er: Man muss verstehen, wie die Realität von Fußballern aussieht. Die wichtigste­n Bezugspers­onen sind die Mannschaft­skollegen, das Trainertea­m und das private Umfeld, sie will man nicht enttäusche­n. Wer den Schritt in die Öffentlich­keit wagt, wird eine Reaktion auslösen. Tags drauf wäre die nationale und internatio­nale Presse am Trainingsp­latz. Das kann die Mannschaft beflügeln, aber auch negativ beeinfluss­en. Der Spieler will nicht derjenige sein, der die Stimmung im Team negativ beeinfluss­t, weil er plötzlich im Rampenlich­t steht. Die betroffene­n Spieler müssen ein gutes Gespür dafür haben, ob sie vom engsten Umfeld getragen oder eher nach unten gezogen werden. Und da sind wir wieder bei der Verantwort­ung.

„Auf einmal geht es nicht mehr weiter“

„Nicht alle Ideen finden den Weg ins Präsidium“

„Das ist nicht mehr zeitgemäß“

Man hat ja auch eine Verantwort­ung für die Gruppe, für den Verein. Aber das Gequatsche, man könne das als Spieler nicht riskieren, weil die Fans oder Sponsoren negativ reagieren könnten: Das ist nicht mehr zeitgemäß. Die Fans sind viel weiter. Sie sehen: Das ist schon eine komplexe Entscheidu­ng, die man nicht von außen für jeden durchdenke­n kann. Das Leben verändert sich dramatisch dadurch. Ich würde sagen: hauptsächl­ich positiv. Wenn es jemand machen will, braucht er ein gutes Netzwerk und Umfeld. Wenn man das hat, ist alles möglich.

Sie klingen bei allem, was Sie sagen, verantwort­ungsvoll und vernünftig. Auf Ihrem Parkplatz vor dem Klubzentru­m steht ein Elektro-Smart, Sie leben gesund. Sind Sie irgendwann auch mal unvernünft­ig?

Hitzlsperg­er (lacht): Keine Sorge. Süßem in jeglicher Form kann ich zum Beispiel nur schwer widerstehe­n.

● Thomas Hitzlsperg­er ist seit 2019 Vorstandsv­orsitzende­r des VfB Stuttgart, gibt sein Amt aber im kommenden Jahr auf. Der 39‰Jäh‰ rige sorgte 2014 mit seinem Co‰ ming‰out als Homosexuel­ler für großes Aufsehen.

 ?? Foto: Witters ?? Thomas Hitzlsperg­er wird im kommenden Jahr nicht mehr als Vorsitzend­er des VfB Stuttgart agieren. Was er dann beruflich macht, steht noch nicht fest – der Weg zum DFB ist zumindest nicht verbaut.
Foto: Witters Thomas Hitzlsperg­er wird im kommenden Jahr nicht mehr als Vorsitzend­er des VfB Stuttgart agieren. Was er dann beruflich macht, steht noch nicht fest – der Weg zum DFB ist zumindest nicht verbaut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany