Schwabmünchner Allgemeine

Der Tesla des Lastverkeh­rs wird in Ulm gebaut

Fast zehn Jahre nachdem der letzte Laster mit Diesel-Antrieb bei Iveco in Ulm vom Band gelaufen ist, folgt dort jetzt die Produktion von Elektro-Lkws. Sie sollen bald das Straßenbil­d prägen. Mit an Bord ist das US-Start-up Nikola

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Ulm/Neu‰Ulm Es ist knapp zehn Jahre her, als Iveco die Produktion von Lastern von Ulm nach Madrid verlagerte. Jetzt sind die Brummis „made in Ulm“zurück. Bei der Eröffnung des Werks wurde geklotzt, nicht gekleckert: Von tiefen Bässen begleitet, beleuchtet wie auf einem Laufsteg und untermalt von VideoEinsp­ielungen in Hollywoodm­anier wurden in Ulm kürzlich die Laster inszeniert. Das passt eigentlich nicht zum aus dem Fiat-Konzern hervorgega­ngenen Iveco-Mutterunte­rnehmen CNH Industrial. Aber es passt zu Nikola, einer jungen amerikanis­chen Firma, die sich ganz bewusst als die Lastervers­ion der US-Firma Tesla verkauft.

Das wird schon beim Namen deutlich: Tesla ist benannt nach dem Technikpio­nier Nikola Tesla. Der Tesla-Gründer Elon Musk nutzt den Nachnamen, die E-Laster-Pioniere um Chef Mark Russell den Vornamen. Der Unterschie­d: Während Tesla-Chef Elon Musk seinen eigenen Weg sucht, wählt Nikola die Partnersch­aft mit Firmen aus der alten Lasterwelt.

So wie Iveco aus Ulm. Einem im Ulmer Donautal vermeintli­ch ausgestorb­enen Dinosaurie­r der Laster-Welt, der seinen Ursprung in der 1866 in Ulm gegründete­n Firma Magirus hat. Nun haucht das erst 2014 gegründete Start-up Nikola den lange brach liegenden Produktion­shallen neues Leben ein. Für Wilfried Schmid, langjährig­er Betriebsra­tsvorsitze­nder des Gemeinscha­ftsbetrieb­srats der Iveco Magirus AG und der Magirus GmbH, schließt sich ein Kreis, weil Iveco in Ulm wieder komplett ist. „Das ganze Werk ist wieder belegt“, sagt Schmid.

Das bedeutet aber längst noch nicht die Rückkehr zu alter Größe: Zu Hochzeiten bauten bisweilen 1000 Menschen „die Bullen“, wie die Laster genannt wurden, als der Arbeitgebe­r noch Magirus-Deutz hieß. Zunächst sind nur 50 Menschen direkt mit der Produktion von E-Lastern beschäftig­t. Doch wenn der Schichtbet­rieb anläuft und 1000 Fahrzeuge im Jahr vom Band laufen, sollen es nach Angaben von Iveco schon bald 150 sein. Im DreiSchich­t-Betrieb wären es bis zu 450 Beschäftig­te, die allein mit der Montage befasst sind. Das Fernziel: 3000 Laster im Jahr. Auf die Ulmer Lasterkomp­etenz wollte Fiat auch nach Stilllegun­g der Bänder nicht gänzlich verzichten: Das Zentrum für Forschung und Entwicklun­g in sowie der Testbereic­h blieben in Ulm.

40 Millionen Euro investiert­e das Gemeinscha­ftsunterne­hmen von Iveco und dem US-Start-up nun in eine nagelneue Fabrik. Auf einer Fläche von 50 000 Quadratmet­ern, von denen 25 000 überdacht sind, verfügt das Ulmer Produktion­swerk über einen Endmontage­prozess, der speziell für elektrisch angetriebe­ne Fahrzeuge konzipiert wurde. Die Kabine etwa wird fertig aus Madrid zugeliefer­t, die Batterien aus den USA und die Achse aus Turin. Das Joint-Venture listet 150 Lieferante­n von 1500 Teilen auf, die in Ulm an Stationen in der kernsanier­ten, gleißend hellen Halle zusammenge­fügt werden.

Die nagelneue, klinisch rein wirkende Produktion­slinie ist in der Lage, im Einschicht­betrieb 1000 Einheiten pro Jahr zu fertigen, und wird in den kommenden Jahren schrittwei­se hochgefahr­en. Anfang 2022 soll der Nikola Tre (norwegisch für „Drei“) als Elektro-Lkw in Europa und den USA auf den Markt kommen. Damit kann Nikola endlich Handfestes vorweiUlm sen, nachdem das Unternehme­n lange als Sprücheklo­pfer mit wenig Inhalt galt. Die US-Wertpapier- und Börsenaufs­ichtsbehör­de nahm Vorwürfe gegen Nikola wegen angebliche­r Anlegerirr­eführung und Betrug unter die Lupe. Bisher habe das LkwStart-up noch keine nennenswer­ten Umsätze erzielt, verkauft lediglich T-Shirts und Kappen auf der Homepage, wie Kritiker bemängeln. Firmengrün­der Trevor Milton ging 2020 von Bord, nicht zuletzt wegen eines gefälsch14 ten Werbevideo­s. Die Nikola-Aktie setzte zum Sturzflug an. Zuvor überstieg der Börsenwert von Nikola zeitweise den von Ford – obwohl noch gar nichts produziert wurde.

Nun soll alles besser werden: Die Serienprod­uktion des „Tre“, so der norwegisch­e Namen des Lasters, starte pünktlich zum Jahresende, hieß es bei der Werkseröff­nung diesen September. Der erste Kunde in Deutschlan­d steht auch schon fest: der Hamburger Hafen. Der nächste Schritt ist der Nikola-Laster mit Brennstoff­zelle, der in Zusammenar­beit mit Bosch entwickelt wird und 2023 folgen soll. Das Verkaufsar­gument

ist hier die Reichweite: Nach Unternehme­nsangaben kann in 15 Minuten Wasserstof­f für eine Strecke von bis zu 800 Kilometern getankt werden. Auch der Batteriela­ster soll aber mit Reichweite überzeugen: 560 Kilometer pro Batteriela­dung gibt der Hersteller an. Damit übertreffe der Neuling sämtliche Mitbewerbe­r. Die heißen Renault, Volvo oder Scania und sind schon auf dem Markt. Der erste Elektrolas­ter von Daimler geht ebenfalls demnächst in Produktion. Auch der Münchner Lkw-Hersteller MAN steigt in den Markt für E-Laster ein, in Augsburg rüsten das Unternehme­n Quantron Lkw und andere Nutzfahrze­uge auf Elektroant­rieb um.

Mark Russell, der Nikola-Chef, ist überzeugt, mit diesem Konzept das ganz große Rad zu drehen: „Dies ist ein weiterer wichtiger Meilenstei­n für Nikola bei der Umsetzung unserer Strategie und unseres Zukunftsbi­lds, ein weltweit führender Anbieter von emissionsf­reien Transportl­ösungen zu werden.“Eine „Schwesterf­abrik“soll nach den Worten von Nikola-Chef Mark

„Dies ist ein wichtiger Meilenstei­n für Nikola, ein weltweit führender Anbieter emissionsf­reier Transport‰ lösungen zu werden.“

Nikola‰Chef Mark Russell zum Ulmer Werk

Russell noch im Oktober im USBundesst­aat Arizona eröffnen.

Dass „es wohl kaum einen besseren Standort als Ulm für den Schwerlast­bau“geben könne, betont Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU): Große Tradition, viele gut ausgebilde­te Fachkräfte und zahlreiche Forschungs­institute in der Nähe böten ideale Voraussetz­ungen. In der Tat hat sich Ulm in den vergangene­n Jahren und Monaten zu einem Hotspot der Elektromob­ilität gemausert, von dem nun die Lastervers­ion von Tesla profitiere­n will.

Anfang des kommenden Jahres wird in Ulm eine Forschungs­fabrik für Wasserstof­f und Brennstoff­zellen in Betrieb gehen, die das Zentrum für Sonnenener­gie- und Wasserstof­f-Forschung Baden-Württember­g (ZSW) in Zusammenar­beit mit Partnern aus der Industrie realisiert. Und das Helmholtz-Institut in Ulm, das jüngst sein zehntes Jubiläum feierte, gilt als eine der weltweiten Speerspitz­en der Batteriefo­rschung.

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Fotos: Alexander Kaya Nikola und Iveco fertigen in Ulm: Auf einer Fläche von 50 000 Quadratmet­ern verfügt das Ulmer Produktion­swerk über einen Endmontage­prozess, der speziell für elektrisch angetriebe­ne Fahrzeuge konzipiert ist. Im Bild Iveco‰Chef Gerrit Marx (links) und Nikola‰Chef Mark Russell.
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