Der Tesla des Lastverkehrs wird in Ulm gebaut
Fast zehn Jahre nachdem der letzte Laster mit Diesel-Antrieb bei Iveco in Ulm vom Band gelaufen ist, folgt dort jetzt die Produktion von Elektro-Lkws. Sie sollen bald das Straßenbild prägen. Mit an Bord ist das US-Start-up Nikola
Ulm/NeuUlm Es ist knapp zehn Jahre her, als Iveco die Produktion von Lastern von Ulm nach Madrid verlagerte. Jetzt sind die Brummis „made in Ulm“zurück. Bei der Eröffnung des Werks wurde geklotzt, nicht gekleckert: Von tiefen Bässen begleitet, beleuchtet wie auf einem Laufsteg und untermalt von VideoEinspielungen in Hollywoodmanier wurden in Ulm kürzlich die Laster inszeniert. Das passt eigentlich nicht zum aus dem Fiat-Konzern hervorgegangenen Iveco-Mutterunternehmen CNH Industrial. Aber es passt zu Nikola, einer jungen amerikanischen Firma, die sich ganz bewusst als die Lasterversion der US-Firma Tesla verkauft.
Das wird schon beim Namen deutlich: Tesla ist benannt nach dem Technikpionier Nikola Tesla. Der Tesla-Gründer Elon Musk nutzt den Nachnamen, die E-Laster-Pioniere um Chef Mark Russell den Vornamen. Der Unterschied: Während Tesla-Chef Elon Musk seinen eigenen Weg sucht, wählt Nikola die Partnerschaft mit Firmen aus der alten Lasterwelt.
So wie Iveco aus Ulm. Einem im Ulmer Donautal vermeintlich ausgestorbenen Dinosaurier der Laster-Welt, der seinen Ursprung in der 1866 in Ulm gegründeten Firma Magirus hat. Nun haucht das erst 2014 gegründete Start-up Nikola den lange brach liegenden Produktionshallen neues Leben ein. Für Wilfried Schmid, langjähriger Betriebsratsvorsitzender des Gemeinschaftsbetriebsrats der Iveco Magirus AG und der Magirus GmbH, schließt sich ein Kreis, weil Iveco in Ulm wieder komplett ist. „Das ganze Werk ist wieder belegt“, sagt Schmid.
Das bedeutet aber längst noch nicht die Rückkehr zu alter Größe: Zu Hochzeiten bauten bisweilen 1000 Menschen „die Bullen“, wie die Laster genannt wurden, als der Arbeitgeber noch Magirus-Deutz hieß. Zunächst sind nur 50 Menschen direkt mit der Produktion von E-Lastern beschäftigt. Doch wenn der Schichtbetrieb anläuft und 1000 Fahrzeuge im Jahr vom Band laufen, sollen es nach Angaben von Iveco schon bald 150 sein. Im DreiSchicht-Betrieb wären es bis zu 450 Beschäftigte, die allein mit der Montage befasst sind. Das Fernziel: 3000 Laster im Jahr. Auf die Ulmer Lasterkompetenz wollte Fiat auch nach Stilllegung der Bänder nicht gänzlich verzichten: Das Zentrum für Forschung und Entwicklung in sowie der Testbereich blieben in Ulm.
40 Millionen Euro investierte das Gemeinschaftsunternehmen von Iveco und dem US-Start-up nun in eine nagelneue Fabrik. Auf einer Fläche von 50 000 Quadratmetern, von denen 25 000 überdacht sind, verfügt das Ulmer Produktionswerk über einen Endmontageprozess, der speziell für elektrisch angetriebene Fahrzeuge konzipiert wurde. Die Kabine etwa wird fertig aus Madrid zugeliefert, die Batterien aus den USA und die Achse aus Turin. Das Joint-Venture listet 150 Lieferanten von 1500 Teilen auf, die in Ulm an Stationen in der kernsanierten, gleißend hellen Halle zusammengefügt werden.
Die nagelneue, klinisch rein wirkende Produktionslinie ist in der Lage, im Einschichtbetrieb 1000 Einheiten pro Jahr zu fertigen, und wird in den kommenden Jahren schrittweise hochgefahren. Anfang 2022 soll der Nikola Tre (norwegisch für „Drei“) als Elektro-Lkw in Europa und den USA auf den Markt kommen. Damit kann Nikola endlich Handfestes vorweiUlm sen, nachdem das Unternehmen lange als Sprücheklopfer mit wenig Inhalt galt. Die US-Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde nahm Vorwürfe gegen Nikola wegen angeblicher Anlegerirreführung und Betrug unter die Lupe. Bisher habe das LkwStart-up noch keine nennenswerten Umsätze erzielt, verkauft lediglich T-Shirts und Kappen auf der Homepage, wie Kritiker bemängeln. Firmengründer Trevor Milton ging 2020 von Bord, nicht zuletzt wegen eines gefälsch14 ten Werbevideos. Die Nikola-Aktie setzte zum Sturzflug an. Zuvor überstieg der Börsenwert von Nikola zeitweise den von Ford – obwohl noch gar nichts produziert wurde.
Nun soll alles besser werden: Die Serienproduktion des „Tre“, so der norwegische Namen des Lasters, starte pünktlich zum Jahresende, hieß es bei der Werkseröffnung diesen September. Der erste Kunde in Deutschland steht auch schon fest: der Hamburger Hafen. Der nächste Schritt ist der Nikola-Laster mit Brennstoffzelle, der in Zusammenarbeit mit Bosch entwickelt wird und 2023 folgen soll. Das Verkaufsargument
ist hier die Reichweite: Nach Unternehmensangaben kann in 15 Minuten Wasserstoff für eine Strecke von bis zu 800 Kilometern getankt werden. Auch der Batterielaster soll aber mit Reichweite überzeugen: 560 Kilometer pro Batterieladung gibt der Hersteller an. Damit übertreffe der Neuling sämtliche Mitbewerber. Die heißen Renault, Volvo oder Scania und sind schon auf dem Markt. Der erste Elektrolaster von Daimler geht ebenfalls demnächst in Produktion. Auch der Münchner Lkw-Hersteller MAN steigt in den Markt für E-Laster ein, in Augsburg rüsten das Unternehmen Quantron Lkw und andere Nutzfahrzeuge auf Elektroantrieb um.
Mark Russell, der Nikola-Chef, ist überzeugt, mit diesem Konzept das ganz große Rad zu drehen: „Dies ist ein weiterer wichtiger Meilenstein für Nikola bei der Umsetzung unserer Strategie und unseres Zukunftsbilds, ein weltweit führender Anbieter von emissionsfreien Transportlösungen zu werden.“Eine „Schwesterfabrik“soll nach den Worten von Nikola-Chef Mark
„Dies ist ein wichtiger Meilenstein für Nikola, ein weltweit führender Anbieter emissionsfreier Transport lösungen zu werden.“
NikolaChef Mark Russell zum Ulmer Werk
Russell noch im Oktober im USBundesstaat Arizona eröffnen.
Dass „es wohl kaum einen besseren Standort als Ulm für den Schwerlastbau“geben könne, betont Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU): Große Tradition, viele gut ausgebildete Fachkräfte und zahlreiche Forschungsinstitute in der Nähe böten ideale Voraussetzungen. In der Tat hat sich Ulm in den vergangenen Jahren und Monaten zu einem Hotspot der Elektromobilität gemausert, von dem nun die Lasterversion von Tesla profitieren will.
Anfang des kommenden Jahres wird in Ulm eine Forschungsfabrik für Wasserstoff und Brennstoffzellen in Betrieb gehen, die das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie realisiert. Und das Helmholtz-Institut in Ulm, das jüngst sein zehntes Jubiläum feierte, gilt als eine der weltweiten Speerspitzen der Batterieforschung.