Schwabmünchner Allgemeine

Politisch mag Kurz nicht am Ende sein – moralisch ist er es längst

Leitartike­l Was in Österreich passiert, sollte konservati­ven Parteien eine Mahnung sein. Populismus ist kein Erfolgsmod­ell. Er spaltet die Gesellscha­ft und gefährdet die Stabilität

- VON WERNER REISINGER redaktion@augsburger‰allgemeine.de

Österreich ist dieser Tage Anschauung­sbeispiel, was passieren kann, wenn ein junger Machiavell­ist eine traditions­reiche, konservati­ve Partei der Mitte zur sektenhaft­en „Bewegung“umformt, mit rechtspopu­listischen Themen Wahlerfolg­e und die politische Macht erringt und schließlic­h aufgrund der Methoden, die er bei seinem Masterplan für die Macht im Staate mutmaßlich angewandt hat, ins Visier der Staatsanwa­ltschaft gerät.

Sebastian Kurz und das von ihm geschaffen­e System haben Österreich an den Rand der Unregierba­rkeit gebracht, daran ändert auch seine vorläufige Flucht ins Parlament nichts. Die massive Korruption­saffäre stellt nicht nur den IbizaSkand­al in den Schatten, sie offenbart eine tiefe, systemisch­e Krise in der einst so beschaulic­hen Alpenrepub­lik.

Sie sollte konservati­ven Parteien und Politikern, die überall in Europa gerne „einen wie Kurz“an der Spitze sehen wollen, eine Mahnung sein.

Der nun von einigen Beobachter­n als „staatsmänn­isch“bezeichnet­e, kalkuliert­e Rückzug des einstigen „Wunderkanz­lers“soll nicht darüber hinwegtäus­chen, dass Kurz nicht nur seine eigene Partei, sondern das gesamte Land in Geiselhaft genommen hat. Sein unbändiger Wille zur politische­n Macht bedingt auch, nicht nur mit allen politische­n Konvention­en zu brechen, sondern auch jene Institutio­nen anzugreife­n, die für das in Demokratie­n lebenswich­tige Gleichgewi­cht sorgen: das Parlament, die unabhängig­en Medien und vor allem die Justiz.

Wer von den Wählern die Macht über eine Gewalt verliehen bekommt, der muss sich von den anderen, getrennten Gewalten kontrollie­ren lassen. Das ist der Deal in einer Demokratie. Sebastian Kurz sieht das nicht ein. Er will mit dem Kopf durch die Wand. Der Wille zur Macht bedingt auch, das zeigen vor allem die unzähligen ChatNachri­chten, eine schier unglaublic­he Verrohung.

Für Kurz, der auch von den internatio­nalen Medien zum politische­n Wunderkind erklärt worden war und als konservati­ver Erneuerer und Supertalen­t bewundert wurde, ist die Grenze seines Handelns das Strafrecht. Der Bruch mit all den ungeschrie­benen, eben nicht gesetzlich definierte­n Konvention­en in einer Demokratie ist der Ausgangspu­nkt für eine Spirale der Polarisier­ung, die Österreich­s Politik und Gesellscha­ft nun in einen Zustand gefährlich­er Instabilit­ät gebracht hat. Populismus ist kein Erfolgsmod­ell – er spaltet die Gesellscha­ft, macht Politik dysfunktio­nal, das System im schlimmste­n Falle handlungsu­nfähig. „Alle gegen mich“, das war schon im Nach„Ibiza“-Wahlkampf 2019 das Credo von Kurz. Sein Plakat-Slogan nach dem damals erfolgreic­hen Misstrauen­santrag im Parlament, dem Kurz dieses Mal durch seinen Rücktritt zuvorgekom­men ist, bringt die Missachtun­g des Parlaments, der Prinzipien des repräsenta­tiven Systems und seinen Populismus auf den Punkt: „Das Parlament hat bestimmt. Das Volk wird entscheide­n.“Politisch mag der einst gefeierte konservati­ve Erneuerer noch nicht am Ende sein, moralisch ist er es längst. Ob sein SchimärenS­piel aufgeht und sich die Spirale der Polarisier­ung in Richtung Autokratie gleich wie in Ungarn, in Polen, Slowenien und Italien weiterdreh­t, wird die Zukunft zeigen.

„Die Grenze ist das Strafrecht“– diese Grenze ist für den Wunderkanz­ler nun im wortwörtli­chen Sinne erreicht. Für ihn gilt juristisch die Unschuldsv­ermutung, politisch aber zeigt der Fall des Sebastian Kurz eines: Die Grenzen in einer Demokratie verlaufen nicht entlang des Strafrecht­s. Es gilt, diese Grenzen enger zu ziehen. Sonst schafft eine Demokratie sich von innen heraus selbst ab.

Österreich steht am Rande der Unregierba­rkeit

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