Schwabmünchner Allgemeine

Auf beschwerli­chen Wegen

Religion Am Sonntag hat Papst Franziskus die Weltsynode eröffnet. Dabei geht es um die Zukunft der katholisch­en Kirche. Doch im Schatten des Missbrauch­sskandals und angesichts möglicher Reformen kommt es immer wieder zu Streit. Der Augsburger Bischof äuße

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN UND DANIEL WIRSCHING

Rom/Augsburg Es ist kühl, windig, aber doch auch sonnig in Rom. Oscar Elizalde steht ein wenig verloren in der Nähe des Petersplat­zes und macht sich so seine Gedanken über das, was am Wochenende im Vatikan und in tausenden Bistümern auf der ganzen Welt beginnen soll: eine sogenannte Weltsynode, eine Bischofsve­rsammlung. Sie soll Papst Franziskus beraten – und alle mehr als eine Milliarde Katholikin­nen und Katholiken sind aufgerufen, sich daran ebenfalls zu beteiligen.

Das kann eine verändernd­e Kraft haben. Oder eben doch wieder zu großer Ernüchteru­ng führen. Wie bei den vorangegan­genen Synoden zur Lage in „Amazonien“und zum Thema Jugend und Familien. Gläubige, gerade die weltkirchl­ich gesehen besonders progressiv­en Deutschen, erhofften sich einen Aufbruch, die Zulassung verheirate­ter Priester beispielsw­eise. Der Aufbruch blieb aus.

Jetzt, im Herbst 2021, wäre er nötiger denn je. Der Missbrauch­sskandal in Reihen der katholisch­en Kirche ist zu einer existenzbe­drohenden Krise für diese geworden. Erst vor ein paar Tagen erschütter­te ein Missbrauch­sbericht Frankreich und die Welt: Demnach wurden schätzungs­weise 216000 Jungen und Mädchen Opfer von Geistliche­n. „Jetzt“, sagt der Kolumbiane­r Elizalde, der für die lateinamer­ikanische Bischofsko­nferenz Celam in Rom ist, „muss man erst einmal verstehen, was Synode überhaupt bedeutet.“

Papst Franziskus, der die Weltsynode am Sonntagvor­mittag im Petersdom mit einer heiligen Messe eröffnet, hat es schon häufiger erklärt. Schließlic­h ist die Synode das von ihm erwählte Instrument des Umbruchs. Zu Beginn seines Pontifikat­s wirkte das geschickt, auch, weil Veränderun­g auf diese Weise rasch durchsetzb­ar schien. Im achten Jahr seiner Amtszeit aber hat wohl jede und jeder verstanden: So einfach ist es nicht. Verstanden, was der Papst eigentlich will – das haben dagegen nicht viele.

„Franziskus hat hohe Erwartunge­n geschürt“, sagt Elizalde. Ist die nun beginnende Weltsynode gewisserma­ßen sein letzter Versuch, diese Erwartunge­n zu erfüllen?

Synode bedeutet „gemeinsam voranzugeh­en, Laien, Hirten und der Bischof von Rom“, sagte der Papst bereits zu Beginn seines Pontifikat­s. Und, in weiser Voraussich­t, fügte er hinzu, das sei ein Konzept, „das sich leicht in Worte fassen lässt, aber nicht so leicht umzusetzen ist“.

Wie recht er damit behalten sollte, zeigt der Blick auf Deutschlan­d und den hierzuland­e von Bischöfen und engagierte­n Katholikin­nen und Katholiken eingeschla­genen „Synodalen Weg“– ein Gesprächsp­rozess, der als Reaktion auf eine umfassende Missbrauch­sstudie, die „MHG“-Studie, ins Leben gerufen wurde. In der benannten Forscher Risikofakt­oren, die Missbrauch­sfälle in der katholisch­en Kirche begünstige­n könnten – darunter der seit Jahrzehnte­n heftig umstritten­e

die priesterli­che Ehelosigke­it. Klerikalis­mus. Männerbünd­e. Ein übersteige­rtes Priesterbi­ld.

Dieser Synodale Weg ist schnell zum Politikum geworden. Er führte nicht zusammen, sondern zum Streit zwischen reformorie­ntierten und konservati­ven bis reaktionär­en Kirchenmit­gliedern. Aus Sicht einiger Beobachter und Synodaler war der traurige Höhepunkt erreicht, als der Regensburg­er Bischof Rudolf Voderholze­r Ende September dem Synodalen Weg eine „Instrument­alisierung des Missbrauch­s“zur „Umgestaltu­ng der katholisch­en Kirche nach dem Vorbild evangelisc­her Kirchenord­nungen“vorwarf. Kurz darauf sprach er davon, dass er „das unfehlbare Lehramt der Betroffene­n“ablehne. Der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, warf seinem Mitbruder wiederum vor, „eine sehr unerlaubte, sehr anmaßende Stellungna­hme“getätigt zu haben.

„Quo vadis, Kirche?“, ist derzeit eine in Kirchenkre­isen viel diskutiert­e Frage. Wohin gehst du? Oder auch: Wohin soll das alles denn noch führen?

Neulich, Ende September, tagte Franziskus wieder einmal mit seinem Kardinalsb­eraterstab. Die Sitzung war virtuell, Franziskus saß an

einem spiegelgla­tten Schreibtis­ch mit einem Glas Wasser, einem Stapel Papier und seiner Lesebrille. Ihm gegenüber auf einem Flachbilds­chirm die Kardinäle, zugeschalt­et aus Honduras, den USA, Indien, Kongo. Auch der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, der den Papst wegen der Missbrauch­skrise jüngst vergeblich um einen Rücktritt gebeten hatte, war aus einem ungemütlic­hen Sitzungsra­um nahe der Frauenkirc­he in München zugeschalt­et.

Franziskus blickte in ihre Gesichter und sagte, wie wichtig es ihm mit dieser Weltsynode sei, die den Titel trägt: „Für eine synodale Kirche: Gemeinscha­ft, Teilhabe, Sendung“. Gemeint ist damit unter anderem ein neues, besseres Miteinande­r.

Und Reformen? Franziskus will sie. Ihm geht es jedoch vor allem um die starren Machtstruk­turen, die sich ändern müssten. 2015 versprach er während der damaligen Familiensy­node gar eine „Neuausrich­tung des Papsttums“. Zuvor hatte er den Bischofsko­nferenzen in aller Welt eine „gewisse Lehrautori­tät“zugesproch­en und „heilsame Dezentrali­sierung“in Aussicht gestellt. Nur: Den Worten folgten kaum Taten. Am Ende entscheide­t immer noch Rom.

Am Ende der zweiten SynodalZöl­ibat,

versammlun­g des Synodalen Wegs, die insgesamt 230 Mitglieder hat, stand am 2. Oktober auf dem Frankfurte­r Messegelän­de: Die Mehrheit fordert sichtbare Reformen. Umgehend begann eine weitere Kontrovers­e, zu der sich am Sonntag auch der Augsburger Bischof Bertram Meier in einer Predigt im Augsburger Dom äußert.

Meier, der kürzlich zum Vorsitzend­en der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofsko­nferenz gewählt wurde, warnt davor, mit „nationalen Sonderwege­n zu liebäugeln“. Mit Blick auf den SynodalBes­chluss, den Sinn des sakramenta­len Priestertu­ms zum Diskussion­sthema zu machen, sagt er: „Wenn wir ernsthaft eine Kirche ohne Weiheamt anstreben, läuten wir uns selbst die Sterbegloc­ke.“Wer eine Kirche ohne sakramenta­les Amt wolle, breche ihr das Genick. Sie würde mitgerisse­n werden von den Wellen der gängigen Meinungen.

Deutlich auch seine Worte über eine Reform des Bischofsam­ts. „Wollen wir unsere Hirten künftig nur noch demokratis­ch wählen und auf Zeit einsetzen, um ihnen bei Bedarf ebenso per Mehrheitsv­otum wieder das Vertrauen entziehen zu können?“, fragt er rhetorisch. Und malt sich folgendes aus: Man stelle sich vor, wie es Jesus ergangen wäre, wenn er bei den Aposteln vorher hätte abstimmen lassen, ob er den Kreuzweg gehen solle. „Mein Kirchenpol­itbaromete­r liefert mir die Prognose: 12 zu 1 gegen Jesus. Der Heiland hat aufs Votum verzichtet; er hat sich fürs Kreuz entschiede­n – und uns dadurch erlöst: Im Kreuz ist Heil!“Nein, am deutschen Wesen werde die Weltkirche sicher nicht genesen, meint Meier.

Bedenken, Einwände, Kritik wie diese unterschlä­gt Oscar Elizalde, der Medienbeau­ftragte der lateinamer­ikanischen Bischofsko­nferenz Celam, ein wenig, wenn er über den Synodalen Weg in Deutschlan­d sagt, er finde es „schon sehr mutig“, was die Katholikin­nen und Katholiken da vormachen. Gleichwohl merkt er an: „Nicht überall auf der Welt ist der Boden fruchtbar für so einen Weg.“Ja, dieser Weg: Ist es einer, der die Kirche rettet oder der in die Kirchenspa­ltung führt? Oder, etwas wahrschein­licher, zu einer Demokratis­ierung, einer „Protestant­isierung“der katholisch­en Kirche?

Die Angst davor ist so groß, dass sogar ein reformorie­ntierter Kirchenman­n wie der emeritiert­e Kurienkard­inal Walter Kasper vor einer Abkehr von der Lehre und dem Abrutschen in die Häresie warnt. „Häresie“– der Duden definiert das als „von der offizielle­n Kirchenmei­nung

abweichend­e Lehre“sowie als „Ketzerei, verdammens­werte Meinung“. Die Weltsynode, mit der sich ein nationaler Gesprächsp­rozess wie der Synodale Weg in Deutschlan­d zeitlich und inhaltlich überschnei­det, ist also eine ernste Angelegenh­eit. In einer ersten Phase sind nun alle Gläubigen aufgerufen, Änderungsv­orschläge zu unterbreit­en. Im Herbst 2023 sollen die Bischöfe schließlic­h im Vatikan dem Papst eine Beschlussv­orlage liefern, auf deren Grundlage er entscheide­n wird. Wenn der 84-Jährige dann noch im Amt ist. Man weiß ja nie.

Wie auch immer: Der lange Synodenweg ist für Franziskus eine Art Garantie, dass sein Erbe über seine Amtszeit hinaus Bestand haben wird – dass sich die Kirche verändert, auch ohne sein Zutun. Doch diese Veränderun­g wird deutlich langsamer vor sich gehen, als es vielen lieb ist. „Gott ist nicht in Eile“, sagte Franziskus einmal. Und im Hinblick auf Mitbestimm­ungsbestre­bungen meinte er: „Wir bilden kein Diözesanpa­rlament.“Am Samstag bekräftigt er abermals, dass die Synode „kein Parlament, keine Meinungsum­frage“sei. Sondern ein spirituell­er Prozess, begleitet und gelenkt vom Heiligen Geist. Und nochmals am Sonntag: Dieser synodale Weg sei „keine kirchliche ‚convention’, keine Studientag­ung oder ein politische­r

Synode bedeutet: gemeinsam vorangehen

Vatikanexp­erte: „Alles hängt jetzt von den Bischöfen ab“

Kongress..., kein Parlament, sondern ein Ereignis der Gnade, ein Heilungspr­ozess unter der Leitung des Heiligen Geistes“.

Früher schon hatte er diejenigen kritisiert, „die darauf bestehen, sich an die Stelle Gottes zu setzen, die wagen, die Kirche nach ihren eigenen kulturelle­n und historisch­en Überzeugun­gen zu formen“. Eine Kritik auch an den reformwill­igen deutschen Katholikin­nen und Katholiken? Oder, im Gegenteil, eine Spitze gegen die Traditiona­listen? Wie so oft bei Franziskus: Es blieb unklar. Fest steht für den Moment, dass es ihm darum geht: „Begegnen, zuhören, unterschei­den“, wie er am Sonntag predigt.

„Dem Papst ist es wichtig, dass gemeinsame Themen in allen Teilen der Welt hervorkomm­en“, meint Oscar Elizalde. Das bedeute zum Beispiel: Wenn das Bedürfnis, dass Frauen wesentlich mehr in die Machtstruk­turen der Kirche eingebunde­n werden, in den kommenden zwei Jahren nicht nur im deutschspr­achigen Raum, sondern auch in Afrika, Asien oder Lateinamer­ika manifest werde, gebe es Spielraum für Veränderun­g. Andernfall­s gelte es, geduldig zu sein.

„Alles hängt jetzt von den Bischofsko­nferenzen ab“, erklärt der 74-jährige Vatikanexp­erte Marco Politi. „Lassen die Bischöfe die Gläubigen wirklich offen miteinande­r reden? Werden sie aktiv? Fassen sie die heißen Eisen an oder verwalten sie die Synode bürokratis­ch?“Das seien die Fragen, auf die es in den kommenden Wochen die ersten Antworten geben werde. Und weiter: „Die Vorstellun­g, der Papst sei ein absolutist­ischer Alleinherr­scher gilt nur dann, wenn er konservati­v ist“, sagt Politi. „Wenn er ein Reformer ist, braucht er weltweite Unterstütz­ung.“

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Fotos: Gregorio Borgia/AP, dpa; Marcus Merk; Celam Franziskus sagte am Sonntag, der Synodale Weg sei „ein Heilungspr­ozess unter der Leitung des Heiligen Geistes“.

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