Schwabmünchner Allgemeine

Debatte Corona-Gedenktag statt Freedom-Day

In der Pandemie haben sich die Vorzeichen geändert – doch Umsicht ist weiter nötig

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

D ie Rufe werden lauter, Corona doch jetzt bitte für beendet zu erklären und einen „Freedom Day“zu feiern. Doch sie sind so nachvollzi­ehbar wie falsch. Auch wenn die deutsche Impfquote plötzlich ganz ordentlich sein soll: Jetzt alle Vorsichtsm­aßnahmen aufzuheben, wäre leichtfert­ig. Während es draußen frostig wird und sich das Leben wieder weitgehend in Innenräume­n abspielt, sind noch Millionen von Bundesbürg­ern ungeimpft. Grippevire­n und andere Krankheits­erreger verstärken die Furcht, dass dem Gesundheit­swesen herausford­ernde Monate bevorstehe­n. Ein Corona-Finale mit Massenkonz­ert, Feuerwerk und Freibier wäre da das falsche Signal.

Richtig ist aber, dass jetzt die Zeit gekommen ist, die gesamte Corona-Politik auf den Prüfstand zu stellen. Was ist wirklich wirksam und was zum aktuellen Zeitpunkt noch Vor allem: Was ist vertretbar? Die Situation hat sich grundlegen­d geändert. Zumindest jeder Erwachsene hätte sich in den vergangene­n Monaten mit einem wirksamen Impfstoff schützen lassen können. Ein ganz großer Teil der Bevölkerun­g hat das auch getan. Sicher können auch noch viele Unentschlo­ssene überzeugt werden, was am besten durch Aufklärung gelingen kann und weniger durch Zwang. Das Risiko, selbst schwer zu erkranken, tragen die Impfverwei­gerer selbst. Was ihr Verhalten für die Gesellscha­ft bedeutet, steht auf einem anderen Blatt. Je mehr Menschen geschützt sind – es dürfte auch eine hohe Dunkelziff­er von Menschen geben, die etwa durch unbemerkte Erkrankung Antikörper aufgebaut haben – desto geringer wird die Gefahr, dass die Intensivbe­tten knapp werden.

Zum Glück sind die Impfquoten gerade bei alten und chronisch kranken Menschen hoch. Jugendlich­e dagegen sind bislang nur zum

Teil, Kinder gar nicht immunisier­t. Nach allem, was die Forschung bislang weiß, sind junge Menschen aber erstens keine Infektions­treiber und zweitens nur äußerst selten von schweren Corona-Verläufen betroffen. Kinder bedürfen des besonderen Schutzes der Gesellscha­ft. Jede Maßnahme, die sie benotwendi­g? trifft, muss besonders sorgfältig abgewogen werden. Schulschli­eßungen etwa darf es nicht mehr geben. Der zu zahlende Preis, etwa in Form von zunehmende­n Depression­en, sozialer Vereinsamu­ng und Lerndefizi­ten ist zu hoch.

Ein weiterer Grund, warum die Pandemie ihren größten Schrecken verliert, sind Fortschrit­te in der Behandlung mit Medikament­en. Covid-19 wird zu einer Krankheit wie viele andere. Was keinesfall­s heißt, dass sie auf die leichte Schulter genommen werden darf. Je beherrschb­arer Corona wird, desto weniger sind Maßnahmen, die das gesamte öffentlich­e Leben beeinträch­tigen, zu rechtferti­gen. Jetzt ist die Zeit der Normalisie­rung, geordnet und umsichtig. Der Föderalism­us, in der Pandemie oft kritisch diskutiert, kann helfen. Wenn Lockerunge­n in einem Bundesland ohne gefährlich­e Folgen bleiben, können andere nachziehen.

Beginnen muss jetzt auch eine Zeit der Aufarbeitu­ng: Warum war das Gesundheit­ssystem so schlecht für eine Pandemie gerüstet? Trotz mancher Fehler und Ungereimth­eiten – Masken wurden zuerst für nutzlos erklärt, dann vorgeschri­eben – hat der Staat seine Bürgerinne­n und Bürger bisher vergleichs­weise gut durch die Krise gebracht. Zur wachsenden StaatsSkep­sis haben auch einzelne gierige Politiker beigetrage­n, die sich etwa mit Maskengesc­häften an der Pandemie bereichert­en.

Was Deutschlan­d braucht, ist kein Jubeltag mit Pauken und Trompeten, sondern einen stillen Tag, um sich an die Menschen zu erinnern, die an oder im Zusammenha­ng mit Covid-19 gestorben sind. Für viele von ihnen endete das Leben einsam, an einem Beatmungsg­erät hängend, in einer Intensivst­ation. Ohne, dass ihnen Angehörige die Hand halten konnten. Viel Leid hat diese Pandemie verursacht, sie hat eine ganze Gesellscha­ft tief verwundet, und das darf nicht vergessen werden.

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Foto: Jens Büttner, dpa Corona hat noch nicht seine Schrecken verloren.

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