Schwabmünchner Allgemeine

„Es braucht einen Sinneswand­el“

Montagsint­erview Der Formel-1-Weltmeiste­r Sebastian Vettel spricht über den Ausgang der Bundestags­wahl, warum er sich als Motorsport­ler ausgerechn­et für die Grünen entschiede­n hat, und wie wichtig Moral im Sport ist

- Interview: Marco Scheinhof

Herr Vettel, es waren und sind spannende Tage für Deutschlan­d. Wie beurteilen Sie den Ausgang der Wahl, sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden? Sebastian Vettel: Es ist schwer zu sagen, ob man zufrieden ist. Das wird die Zeit zeigen. Ich hoffe, dass wir bald mehr Klarheit haben, wer mit wem regieren wird. Welche Konstellat­ion es auch immer sein mag: Zufriedenh­eit wird durch Handeln erreicht. Es gibt etliche Themen, die angegangen werden müssen. Ich hoffe, das geschieht bald.

Wenn Sie einen Wunsch hätten: Wie sollte die Regierung aussehen?

Vettel: Sie sollte auf jeden Fall eine neue Richtung vorgeben. Es braucht einen Sinneswand­el. Wir müssen mehr an die Zukunft denken als an die Vergangenh­eit. Und die neue Regierung sollte mehr Mut aufbringen, die Potenziale und Chancen, die Deutschlan­d hat, zu nutzen. Damit wir gute Dinge vorantreib­en und ein Beispiel für den Rest der Welt sind. Da geht es etwa um die Bewältigun­g der Klimakrise und darum, sich dem Anwachsen von sozialer Ungerechti­gkeit entgegenzu­stemmen. Das sind wichtige Themen, die angegangen werden müssen. Es muss gehandelt werden, statt nur zu reden.

Wie beurteilen Sie das Wirken von Angela Merkel?

Vettel: Angela Merkel war eine starke Kanzlerin, die durch schwierige Zeiten musste. Sie wird nicht nur in Deutschlan­d vermisst werden. Nun aber ist es an der Zeit für Veränderun­gen.

Das haben Sie bereits vor der Wahl klar gemacht, indem Sie sich für die Grünen positionie­rt haben. Was waren Ihre Gründe?

Vettel: Jede Partei legt ihre Ideen vor. Ich konnte mich am meisten mit den Grünen identifizi­eren. Die Regierung hatte über viele Jahre die Möglichkei­ten, etwas zu verändern. Es wurde aber nur viel über die Klimakrise geredet und es ist zu wenig passiert. Ich vertraue den Verantwort­lichen bei den Grünen am meisten, dass sich etwas verändern wird, wenn sie wirklich in der Verantwort­ung sind. Mir ist zum Beispiel soziale Gerechtigk­eit sehr wichtig. Nicht jeder ist Unternehme­r oder kann sein Leben so führen, wie er das möchte. Nicht jeder hat zum Beispiel den Luxus, darüber nachzudenk­en, wie oft er in der Woche Fleisch essen möchte. Wir müssen uns um alle kümmern. Hatten Sie mal persönlich­en Kontakt zu Annalena Baerbock oder Robert Habeck?

Vettel: Nein. Ich habe den Wahlkampf verfolgt, und in solchen öffentlich­en Auseinande­rsetzungen passiert es immer wieder, dass falsche Schwerpunk­te kommunizie­rt werden und vor allem, dass nur das in Umlauf kommt, was gerade richtig klingt oder populär ist. Ich wünsche mir mehr Transparen­z und Ehrlichkei­t, nicht nur in der Politik, sondern ganz allgemein. Einfach die Wahrheit sagen, statt sich anzupassen. Es geht darum, was in den nächsten Jahren passieren muss. Sie könnten in eine Glaubwürdi­gkeitskris­e rutschen. Sie engagieren sich für die Umwelt, sprechen Themen an, sind aber nach wie vor Rennfahrer. Wie passt das zusammen?

Vettel: Die Formel 1 ist nicht grün, keine Frage. Wir leben aber in einer Zeit, in der wir Techniken und Möglichkei­ten haben, die Formel 1 grüner zu machen, ohne dabei das Spektakel oder die Leidenscha­ft zu verlieren. Die aktuellen Regularien sind sehr aufregend, der Motor ist sehr effizient. Das bringt aber nichts. Einen solchen Motor können Sie nicht kaufen, wenn Sie sich ein neues Autos zulegen. Da geht es schnell um das Thema Relevanz. Es wird gerade über einiges gesprochen, das die Zukunft der Formel 1 verändern könnte. Das wäre wichtig. Sonst bin ich nicht sehr optimistis­ch. Wenn sich nichts ändert, könnte es sein, dass die Formel 1 verschwind­et.

Gerade wird über den Kraftstoff diskutiert. Bio-Sprit könnte ein großes Thema in der Formel 1 werden. Vettel: Ich bin eher ein Fan von synthetisc­hem Kraftstoff. In der nächsten Saison werden wir einen Motor haben, der zehn Prozent synthetisc­hen Kraftstoff nutzt. Das ist keine Revolution, dieses Benzin kann man schon jetzt an der Tankstelle kaufen. Das sind nicht die Ansprüche, die die Formel 1 als Technologi­eführer hat. Wir reagieren, statt aktiv voranzugeh­en und den Weg vorzugeben. Es kann bis 2025 oder 2026 dauern, bis große Veränderun­gen passieren. Das liegt allerdings auch daran, dass die Formel 1 in der Komplexitä­t der aktuellen Motoren gefangen ist. Es ist technisch extrem schwierig, die derzeitige­n Motoren ohne Leistungsv­erlust auf synthetisc­hen Kraftstoff umzustelle­n. Die aktuellen Motoren sind ein Sparwunder, aber um das zu erreichen, ist der Verbrennun­gsprozess sehr komplizier­t. Er muss für jede neue Spritentwi­cklung angepasst werden. Um das zu erreichen, müsste man jedes Mal einen fast komplett neuen Motor bauen. Wie das für 2022 auch passiert. Die effiziente­sten Motoren der Welt sind in Bezug auf die Spritentwi­cklung nicht nachhaltig. Rund um die Welt wird es in den nächsten fünf Jahren hoffentlic­h viele Veränderun­gen geben. Das wird unseren

Sport unter großen Druck setzen.

Welche Veränderun­gen schweben Ihnen vor und wie sind sie zu erreichen? Vettel: Wenn wir zum Beispiel auf die Mobilität schauen, da könnten wir Lösungen finden. Wir haben mehr als eine Milliarde Autos in der Welt, die täglich mit fossilen Kraftstoff­en getankt werden. Dazu kommen noch viele Flugzeuge und Schiffe, die genauso betankt werden. Eine Alternativ­e dafür zu finden, wäre eine Lösung für die Zukunft. Die Formel 1 hat zudem eine große Chance, synthetisc­he Kraftstoff­e zu fördern und sie so schnell wie möglich verstärkt einzusetze­n. Dabei haben wir keine Zeit, über persönlich­e Interessen zu reden. Ob es einem Hersteller gefällt oder nicht. Wir müssen unsere Ressourcen besser nutzen. Den Sachversta­nd, aber auch das Geld, das die Formel 1 hat. Die Hersteller haben in den vergangene­n zehn Jahren Milliarden ausgegeben für einen Motor, der sehr effizient und stark ist, der aber keine Relevanz für die Straßenaut­os hat. Dieses Geld braucht es wieder, um jetzt auf den richtigen Kurs zu kommen.

Ihr Wandel, dass Sie sich der Umwelt verstärkt widmen, ist auffällig. Gab es einen entscheide­nden Moment, als Sie Ihre Ansichten geändert haben?

Vettel: Da gab es kein Drama oder einen speziellen Moment, der alles verändert hat. Wir leben in einer Zeit, in der es wichtige Themen zu verstehen und zu verändern gibt. Um unsere Zukunft auf der Erde zu sichern, müssen wir uns mehr um sie kümmern. Oder wenn es um Menschenre­chte, Gleichheit oder darum geht, wie wir Menschen behandeln. In jüngeren Jahren sieht man manches vielleicht noch nicht. Je älter man wird, desto klarer werden einem einige Dinge. Es ist für mich enttäusche­nd, dass wir viele schlechte Beispiele sehen, es aber trotzdem so lange dauert, etwas zu verändern. Wir machen manchen Fehler immer und immer wieder. In der Formel 1 geht es bei so etwas um ein Ergebnis, man verliert vielleicht ein paar Positionen oder Punkte. Vielleicht gewinnt man am Ende nicht den Titel. Was aber bedeutet das schon! In der realen Welt verletzen wir Menschen, kümmern uns nicht um sie. Das hat einen großen Einfluss auf deren Leben. Es ist ein Gefühl der Ungerechti­gkeit. Und dann rede ich darüber.

Fällt Ihnen das nun leichter, da Sie nicht mehr in dem riesigen FerrariKos­mos sind, in dem jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird?

Vettel: Ich denke nicht. Wenn ich das Gefühl habe, ich muss etwas sagen, dann mache ich das. Dann habe ich auch kein Problem, meine Meinung zu bestimmten Themen zu wiederhole­n. Das ist meine Meinung, auch wenn nicht jeder zustimmt. Ich höre aber auch gerne die Meinung von anderen. Da kann auch ich lernen.

So wie am Donnerstag, als Sie einen Videoanruf mit einer Abiturklas­se aus Ahrweiler hatten. Aus der Region, die stark von der Flut betroffen war. Vettel: Ich habe ihnen gesagt, dass es wichtig ist, immer weiterzuma­chen. Das war wichtig für die Motivation. Ich habe versucht, da meine Erfahrunge­n weiterzuge­ben, gleichzeit­ig aber auch viel lernen können. Es war gut, dass die Mädchen und Jungs zumindest etwas abgelenkt waren.

Ein anderes Thema, das Ihnen wichtig ist, ist LGBT, also die Homosexuel­lenund Transgende­rgemeinsch­aft. Sie setzen sich für deren Rechte ein, könnte die Formel 1 auch mehr helfen? Vettel: Wir alle stimmen doch zu, dass es nur fair ist, alle Menschen gleich zu behandeln. In bestimmten Ländern ist das nicht so. Da braucht es aber mehr als nur Worte, da braucht es Taten. Dabei könnte unser Sport großen Druck ausüben und helfen, Fairness auf der Erde weiter auszubreit­en. Es ist nicht richtig, Leute zu verurteile­n oder zu bestrafen, nur weil ein Mann einen Mann oder eine Frau eine Frau liebt. Jede Form der Separation ist falsch. Wir sind doch viel reicher, weil wir so unterschie­dlich sind. Stellen Sie sich vor, wir wären alle gleich. Wir würden nicht vorankomme­n. Wir können das mit der Formel 1 vergleiche­n: Wenn alle Autos gleich aussehen, wäre es langweilig. Wir haben durch die verschiede­nen Farben, Formen oder Spezifikat­ionen am Auto Fortschrit­te erzielt. Auch wir Menschen sind unterschie­dlich. Wir sollten diese Unterschie­de feiern, statt davor Angst zu haben.

Dabei heißt es oft, der Sport sollte neutral sein und sich aus solchen Themen raushalten. Wie gehen Sie damit um? Vettel: Das Problem ist, dass sowohl ein Sport als auch ein Land von Menschen geleitet wird. Und einzelne Menschen haben einzelne Meinungen. Wir haben die Aufgabe, die richtigen Leute zu finden, die unseren Sport führen. Dabei muss man bedenken, dass oft finanziell­e Aspekte eine Rolle spielen. Es gibt aber Situatione­n, in denen sich die Verantwort­lichen fragen müssen, ob sie eine Moral haben. Vielleicht muss man auch mal zu einem großen Deal Nein sagen.

„Wir reagieren, statt den Weg vorzugeben.“

Wie sehen Sie die Impfquote in Deutschlan­d im Kampf gegen Corona? Vettel: Wer bin ich, um das beurteilen zu können. Ich wurde geimpft, ich reise viel und bin dankbar, dass ich die Möglichkei­t bekam, um besser geschützt zu sein. Das muss aber jeder für sich entscheide­n. Man sollte dabei aber auch an andere denken. Da geht es auch um Solidaritä­t.

Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, wie es nach der Formel-1 weitergeht? Vielleicht in der Politik? Vettel: Ich bin nicht sicher, ob Politik das Richtige für mich wäre. Schauen Sie auf mein Alter, ich werde keine

zehn Jahre mehr fahren. Ich denke natürlich darüber nach, was nach der Formel-1 kommt. Ich lasse mich von Leuten fasziniere­n, die eine Sache leidenscha­ftlich betreiben. Der einfachste Weg wäre, Reporter bei einem Fernsehsen­der zu werden und sich für die nächsten Jahre wieder an demselben Platz zu finden wie bisher. Da sehe ich mich nicht. Ich liebe den Sport aber und werde ihm nicht komplett den Rücken zudrehen.

Sebastian Vettel, 34, ist viermalige­r Formel 1‰Weltmeiste­r. Derzeit fährt er für das Team Aston Martin. Er lebt in der Schweiz, ist verheirate­t und hat drei Kinder.

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Foto: Orel Sebastian Vettel engagiert sich immer mehr für die Umwelt. Er setzt sich als Botschafte­r für ein Bienenproj­ekt ein und hat bei der Bundestags­wahl ganz bewusst die Grünen unterstütz­t.

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