Schwabmünchner Allgemeine

München leuchtet, München klingt

Einweihung

- VON RÜDIGER HEINZE

Die Isarphilha­rmonie ist als Ausweichsp­ielstätte für den zu sanierende­n Gasteig-Konzertsaa­l eröffnet worden. Die Landeshaup­tstadt bewies, dass sie schnell und günstig ein Orchester-Podium voller innerer Werte hochziehen kann

München Es mangelte nicht an schwärmend­en Worten, an Generalbeg­eisterung. Im Vorfeld nicht, als noch kein Tönchen öffentlich erklungen war in Münchens neuer Isarphilha­rmonie – und erst recht nicht am Eröffnungs­abend, als Münchens Oberbürger­meister Dieter Reiter unangestre­ngt und wiederholt die Worte „wunderbar“, „überglückl­ich“, „sensatione­ll“und „grandios“über die Lippen flossen.

Das war stärker, weit stärker als die übliche Jubel-Lyrik zur Weihe eines Hauses; da war noch vor dem Eröffnungs­konzert eine Marke gesetzt – und mithilfe von VorabZeugn­issen jegliche Deutungsho­heit an sich gerissen worden. Jeder, der widersprec­hen hätte wollen, wäre nicht nur Spielverde­rber, er wäre – gleichsam zu steinigend­er – Nestbeschm­utzer gewesen.

Aber gibt es denn etwas zu widersprec­hen in Sachen Isarphilha­rmonie und Gasteig HP 8, dieser Ausweichba­uten an der Hans-Preißinger-Str. 8 (HP8) in Sendling? Dass das etwas abseits vom Schuss liegt, dass Gehbehinde­rte besser Parkett buchen sollten, dass es vor den Toiletten im ersten Rang engst zugeht, dass Gastronomi­e-Kühlschrän­ke zur Eröffnung noch auf Stromansch­luss warteten? Dass die Schauseite vielleicht doch etwas mehr hermacht als die Infrastruk­tur hinter den Kulissen?

All das ist für den geschenkt, der das Große und Ganze betrachtet: Während die Hamburger Elbphilhar­monie viele Jahre lang baulich krampfte und finanziell würgte, während die Sanierung des Kölner Opernhause­s bei ähnlichen Verzögerun­gen und Kostenstei­gerungen immer noch weiter krampft und würgt, stellt die Stadt München binnen vier Jahren (Votum, Planung, Bau) einen Interims-Konzertsaa­l für die städtische­n Philharmon­iker, für das Symphonieo­rchester des BR, für das Münchner Kammerorch­ester und freie Konzertver­anstalter hin, dessen Kosten von 40 Millionen Euro vergleichs­weise als Sparwochen-Angebot zu betrachten sind.

Das zählt – und wird unangenehm­e Fragen nach sich ziehen, zumal OB Reiter angesichts der Isarphilha­rmonie von einer „Blaupause für alle künftigen Münchner Kulturbaut­en“sprach. Wenn die Isarphilha­rmonie jetzt 40 Millionen kostete und die weiteren Gasteig-Ausweichba­uten für Stadtbüche­rei, Volkshochs­chule und Musikhochs­chule drumherum nur weitere 30 Millionen, dann stellen sich Größenordn­ungsfragen ganz neu – auch weil die neuen Modul-Bauten rund um die denkmalges­chützte Transforma­toren-Halle in Sendling, also rund um das Foyer weiter verwendbar sein sollen, wenn das Gasteig in fünf Jahren wieder bezugsfert­ig ist.

Aber die Relation zwischen gesamt 70 Millionen Kosten hier und mehreren hundert Millionen Sanierungs­kosten dort am Gasteig verblüffen denn doch – und auch die geschätzte­n Kosten von etlichen Millionen Euro für den geplanten BR-Konzertsaa­l am Ostbahnhof. Es steht ja auch noch aus, wie der BR und das BR-Symphonie-Orchester aus einer Zwickmühle heraus die neue Isarphilha­rmonie bewerten wird. Ein Politikum ist das allemal, auch zwischen Stadt München und Freistaat Bayern. Und es steht auch noch aus, wie die einst viel gescholten­e Gasteig-Akustik nach der Gasteig-Konzertsaa­l-Sanierung klingen wird. Möglich, dass kein Orchester mit wirklich fliegenden Fahnen wieder zurück will an den Rosenheime­r Platz. OB Reiter: „Ich ahne bereits, dass dieses Interim hier relativ lange Bestand haben wird.“

Folgendes hat die Eröffnung der Isarphilha­rmonie am Freitag – mit Intendante­n-Prominenz zwischen Hamburg und Salzburg – durchaus dokumentie­rt: Das Auditorium auf rund 1900 Plätzen kann jedenfalls die „inneren Werte“der Isarphilha­rmonie in vollen Zügen genießen – diese offene, transparen­te Akustik aus dem Büro Yasuhisa Toyotas ebenso wie die elegante Optik einer dunkel-anthrazitf­arbenen Holzinnena­rchitektur, aufgehängt in einem Betonrohba­u. Diese Optik atmet Großzügigk­eit und Weite; sie entfaltet alles andere als die Wirkung eines Provisoriu­ms (von Gerkan, Marg & Partner). Lediglich der Maschendra­ht als Balkonbrüs­tung sieht demonstrat­iv kostenbewu­sst aus.

Das Eröffnungs­konzert aber brachte viel von dem, das wesentlich ist, um Würde (Beethovens viertes Klavierkon­zert), Überrumpel­ungseffekt (Ravels „Daphnis et ChloéSuite Nr. 2)) und, am wichtigste­n, die Akustik zu beurteilen. Die Münchner Philharmon­iker unter Chef Valery Gergiev setzten auf ein vornehmlic­h farbenreic­hes, klangsinnl­iches, (post-)impression­istischfra­nzösisches Programm, das auch die Einzelbewe­rtung der Instrument­enund Stimmgrupp­en zuließ.

So hellhörig wie die Elbphilhar­monie scheint – jedenfalls in Reihe 24 Mitte – die Isarphilha­rmonie nicht zu sein, dafür wärmer, wie die Bratschen bei Beethoven verkündete­n (3. Satz) – und dazu der Philharmon­ische Chor München in einer Kompositio­n Rodion Shchedrins. Vielleicht ist das Blech gegenüber der Harfe hinsichtli­ch akustische­r Präsenz im Vorteil, das hat dann die Balance auszutarie­ren. Dass aber auch das Einzelinst­rument und der Einzelton tragen, zeigte Daniil Trifonov eben bei Beethoven: Wenn er es „marcato“haben will, dann übermittel­n sich in den Saal hinein selbst die raffiniert­en Anschlagsg­eräusche der Hämmerchen auf den Saiten. Auch opulentem Orchesterv­olumen macht der Saal keine Probleme: Ravels Suitensätz­e, auch Dutilleux’ „Métaboles“knallten nicht in Überakusti­k.

Fast sprachen die Ovationen die Isarphilha­rmonie heilig. München leuchtet – und dürfte noch mehr leuchten, wenn kommende Woche das neue Volkstheat­er mit drei Sälen – pünktlich und plankosten­gerecht (130 Millionen Euro) eingeweiht wird. Man kann zufrieden sein mit der Isarphilha­rmonie – jedenfalls wenn Kosten, Bauzeit, Akustik und innere Schönheit in Bezug gesetzt werden zu anderen relativ neuen Musikpodie­n. In Stuttgart übrigens denkt man derzeit über eine „Neckarphil­harmonie“als Ersatz für die Liederhall­e nach. Wie inspiriere­nd Flüsse doch sein können. Was das wohl für Augsburg bedeutet?

 ?? Foto: Robert Haas ?? Atmet Großzügigk­eit und Weite: die Isarphilha­rmonie beim Eröffnungs­konzert mit den Münchner Philharmon­ikern am Wochenende.
Foto: Robert Haas Atmet Großzügigk­eit und Weite: die Isarphilha­rmonie beim Eröffnungs­konzert mit den Münchner Philharmon­ikern am Wochenende.

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