Schwabmünchner Allgemeine

Was Trauer mit dem Körper macht

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, wirbelt das für Hinterblie­bene nicht nur die Gefühle durcheinan­der

- Ratgeber

Wer einen geliebten Menschen verliert, für den stellt sich alles auf den Kopf. Und auch der Körper funktionie­rt in einer Trauerphas­e manchmal nicht mehr wie gewohnt. Etwa, wenn sich der Brustkorb gefühlt so eng zusammensc­hnürt, dass tiefe Atemzüge kaum möglich sind. Oder wenn beim Kämmen deutlich mehr Haare in der Bürste hängen bleiben als vorher. „Im Verlustfal­l hängt alles zusammen. Körper und Geist sind kaum zu trennen“, sagt Heidi Müller, Wissenscha­ftlerin im Bereich der Trauerfors­chung.

„Jeder Mensch trauert anders“, sagt Susanne Haller, Leiterin der Elisabeth-Kübler-Ross-Akademie am Hospiz Stuttgart. Dementspre­chend vielfältig seien körperlich­e Reaktionen auf einen einschneid­enden Verlust. Ob Migräne, Schwindel, Enge in der Brust, Herzrasen, Rückenschm­erzen oder Durchfall: Die Bandbreite ist groß. Einige Symptome sind für Außenstehe­nde unsichtbar, andere fallen direkt ins Auge. Zum Beispiel die Körperhalt­ung: „Viele Trauernde gehen nicht mehr so aufrecht, der Kopf hängt ein wenig, sie bewegen sich langsamer“, beschreibt Annette Wagner. Sie ist Vorstandsm­itglied des Bundesverb­andes Trauerbegl­eitung (BVT) und unter anderem auch als Klinikseel­sorgerin tätig.

Oft wird erzählt, dass das Haar mit der Trauer im Zeitraffer grau werden kann. So wird etwa dem Philosophe­n Karl Marx nachgesagt, nach dem Tod seines achtjährig­en Sohnes über Nacht ergraut zu sein. Allzu häufig kommt dieses Phänomen jedoch nicht vor. Annette Wagner hat es nach eigenen Worten in 20 Jahren Trauerbegl­eitung nur einmal erlebt, bei einer Witwe: „Ihre Haare sind binnen drei Tagen schlohweiß geworden“, erzählt sie. Selbst wenn die Haare nicht ergrauen, wirken viele Trauernde für Außenstehe­nde dennoch wie gealtert. „Die Mundwinkel fallen, die Haut ist aschig, unter den Augen sind dunkle Ringe – so sieht ein trauriger Mensch aus“, sagt Wagner. Das habe auch mit den Lebensumst­änden in der Trauerphas­e zu tun, erläutert die Expertin: Nach einem Verlust rattert der Kopf oft so sehr, dass Trauernde schlecht in den Schlaf finden. Dazu kommt häufig Appetitlos­igkeit. Wenn dann auch noch die Bewegung im Alltag zu kurz kommt, fehlt dem Körper eine gute Durchblutu­ng – all das sieht man einem trauernden Menschen manchmal an.

Die Ursachen für die teils heftigen Reaktionen des Organismus bei Trauerfäll­en sind nicht vollends ergründet. Belegt ist, dass der Todesfall eines geliebten Menschen das Risiko für bestimmte Herz-Kreislaufe­rkrankunge­n zeitweise erhöhen kann. Es sei wichtig, sagt Susanne Haller vom Hospiz Stuttgart, dass Trauernde körperlich­e Beschwerde­n nicht einfach mit Aussagen wie „Das ist eben die Trauer“abtun, sondern sich nicht scheuen, damit zum Arzt oder zur Ärztin zu gehen.

Viele Trauernde verspüren Druck, am Arbeitspla­tz und abseits davon schnell wieder volle Leistung erbringen zu müssen. Wenn Körper und Psyche das nicht mitmachen, sorgt das für Frust. Trauerfors­cherin Heidi Müller nimmt dabei auch die Anforderun­gen der Gesellscha­ft kritisch in den Blick: „Früher kam die Welt nach einem Todesfall für einen Menschen zum Stillstand. Heutzutage – in einer dynamische­n Zeit mit einem hohen Tempo – ist das nicht mehr so.“Auch wenn es nicht immer leicht ist, sich den gesellscha­ftlichen Erwartunge­n zu entziehen: Laut Müller ist es wichtig, dass sich Trauernde Pausen erlauben und Zeit für Dinge nehmen, die ihnen guttun.

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Foto: Klose, dpa Nicht nur die Psyche leidet im Trauerfall, auch der Körper leidet.

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