Schwabmünchner Allgemeine

Ein Abschiedsd­inner in Schräglage

Schauspiel Mit einer Komödie von Matthieu Delaporte fragt das Sensemble Theater, ob Freundscha­ft ein Begriff für die Ewigkeit ist. Pierre hat da seine eigene Meinung…

- VON STEFANIE SCHOENE

Antoine ist ein liebenswer­ter Kauz, aber auch nervig und neurotisch. Wie wird man so einen los? Oder ist Freundscha­ft eine ewige Pflicht? Clotilde (Stefanie Mendoni) und Pierre (Heiko Dietz) haben die Freunde zum Dinner eingeladen. Im Zentrum ihrer hektischen Vorbereitu­ngen ruht ein rotes Sofa; geduldigen harrt es, auch im Zentrum des folgenden Sturms.

Rastlos hetzen sie hin und her. Die roten Highheels wollen angezogen sein; Pierre sitzt noch in Unterwäsch­e; immerhin liegen die Kinder im Bett. „Alexa“, die digitale Hausdame, besorgt Musik und Licht. „Pierre, hast du schon… Pierre, bist du schon… Mach dich jetzt fertig, Pierre!“, flötet und drängelt Clot in einem fort.

Warum eigentlich? Warum trifft man Freunde und wünscht insgeheim, dass sie absagen? Antoine sei leicht irre und kenne nur ein Thema: seine Doktorarbe­it. Sagt Pierre. Was wäre, wenn es das letzte Essen zusammen wäre, ein Abschiedsd­inner? Teurer Wein aus dem Geburtsjah­r von Antoine, und nur die Gastgeber wissen, dass es sein letztes Abendmahl sein wird.

„Phantomfre­unde gegen frische Freunde austausche­n“nennt Pierre das und fuchtelt in Unterhose auf dem Sofa turnend mit einem knatschgel­ben Telefonhör­er herum. Ein radikaler Baumschnit­t. Da falle ja auch das alte Holz ab, damit neues nachwachse.

Antoine (Florian Fisch) fegt aus dem Treppenhau­s herein. Ein extround introverti­erter Mann, Dozent für finno-ugrische Sprachen. Trotz seines akademisch­en Wortstroms hinterläss­t er einen Eindruck tiefster Verunsiche­rung. Sein Tanz zur Musik von Lilijan Waworka, unaufgefor­dert gefunkt von Alexa, endet mit einem Sturz übers Sofa. Er ist ein komischer, egozentris­cher Vogel, ein Antiheld, der den Tod seines Psychiater­s bedauert, weil er jetzt einen neuen suchen muss. Er führt Selbstgesp­räche. Sich selbst nennt er dann Patrick, dann seien sie wenigstens zu zweit, das „erleichter­t den Dialog“. Ein anstrengen­der Freund.

Doch er durchschau­t den Komplott von Clot und Pierre, die die 30-jährige Freundscha­ft kündigen wollen. Er dreht den Spieß um schraubt die Komödie rasant auf den Höhepunkt zu. Wortreich trägt er Pierre zum Strip, der natürlich in erster Linie ein Seelenstri­p ist, aber auch in einer Nacktszene hinter dem roten Sofa gipfelt. Eigentlich ein Einfallsto­r für schlechte Witze. Doch Florian Fisch und Heiko Dietz spielen mit so viel Lust am Gag über diese Untiefe des Drehbuchs hinweg, dass das Publikum begeistert johlt.

Außer einem Garderoben­ständer und einem Gummibaum lenkt auf der Bühne nichts vom Spiel ab. Schnörkell­ose, klare Grundfarbe­n dominieren das Setting. Nur wer aufmerksam den Zuschauerr­aum betritt, bemerkt die Schieflage des roten Bühnenpode­sts. Es steigt nach hinten an, mindestens um 20 Zentimeter. Die Erinnerung verblasst, doch unterschwe­llig verstärkt sie die Ambivalenz der Beziehunge­n auf der Bühne.

„Abschiedsd­inner“ist ein Stück, das mit seinen Paarbeobac­htungen und zahlreiche­n überrasche­nden Wendungen an „Der Vorname“erinnert, ebenfalls eine Komödie aus der Feder des 1971 geborenen Pariser Film- und Drehbuchau­tors Matthieu Delaporte. Der Augsburger Regisseur Jörg Schur hat den Text stark eingekürzt – zugunsten von Timing und Witz. Das Darsteller­trio setzt diese Inszenieru­ng intelligen­t, schnell und auf den Punkt um. Eine rundum gelungene, dynamische Produktion und ein heiteres Statement für den Neubeginn nach über einem Jahr Stillstand. Das Publikum füllte den Saal bis auf den letzten Platz und spendete Applaus, noch bevor der nicht vorhandene Vorhang überhaupt aufging.

Weitere Vorstellun­gen Bis zum 20. November wird „Abschiedsd­inner“elf Mal aufgeführt. Karten und Infos unter sensemble.de

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Foto: Siegfried Kerpf Ein fröhlicher Dreier soll auf sein Ende zusteuern: Clotilde (Stefanie Mendoni), Antoine (Florian Fisch) und – liegend – Pierre (Heiko Dietz) in der Komödie „Abschiedsd­inner“, zu sehen derzeit im Sensemble Theater.

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