Schwabmünchner Allgemeine

Der Krieg schuf Platz für eine riesige Autostraße

Eine Ost-West-Straßenach­se quer durch die Altstadt war schon 1930 geplant, doch erst die Zerstörung durch Bombenangr­iffe machte sie möglich. Die Devise heute: weg von der autogerech­ten Innenstadt / Serie (14)

- VON FRANZ HÄUSSLER

In den Verkehrspl­änen von 1930 und 1940 ist eine Verkehrsac­hse durch die Jakobervor­stadt eingezeich­net. Sie sollte die bislang fehlende OstWest-Trasse durch die Innenstadt werden. Auch die Linienführ­ung der Straßenbah­n durch die Jakobervor­stadt bedurfte einer Korrektur. Um die 1930 vorgeschla­gene Achse zu verwirklic­hen, hätte es einer Abbruchakt­ion bedurft. Dazu fehlte in den 1930er- Jahren das Geld.

Eine Ruinentras­se schlug im Zweiten Weltkrieg in brutaler Weise der Bombenkrie­g. In der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1944 hinterließ­en zwei Luftangrif­fe in der Jakobervor­stadt Zonen der Totalzerst­örung. Die Ruinenland­schaft bot sich nach dem Krieg für eine neue OstWest-Verkehrsac­hse an, und zwar großteils ohne zusätzlich­e Häuserabbr­üche.

Bis zum Stadttheat­er ließ sich die neue Ost-West-Straße nun verlängern. Zerstörung­en entlang der Karlstraße, der Ludwigstra­ße und der Grottenau ermöglicht­en dies. Für eine vierspurig­e Straße musste man nur die Baulinie für Neubauten an deren Nordseite einige Meter zurückvers­etzen. Eine künstliche Rampe zwischen dem Mittleren Graben und der vier Stockwerke höher verlaufend­en Karolinens­traße würde die Verbindung herstellen. Die Idee wurde Wirklichke­it.

Als Vorgriff auf den Bau einer Autostraße begann 1948 die provisoris­che Verlegung von Straßenbah­nschienen durch das Ruinengelä­nde zwischen Jakobskirc­he und Schmiedber­g. Die Planungen der Ost-West-Achse lagen in den Händen des bis 1950 amtierende­n Stadtbaura­ts Georg Werner. Sein Nachfolger Walther Schmidt führte sie aus.

Im Frühjahr 1951 beschloss der Stadtrat einen Flächennut­zungsplan. Er bestimmte die Grundlinie­n des Wiederaufb­aus. Dazu gehörte als Sofortmaßn­ahme die Ost-West-Straße. 1951 informiert­e eine Ausstellun­g über die gewaltige Baumaßnahm­e, um bei der Bevölkerun­g „Dampf“aus den Diskussion­en zu nehmen. Das gelang. Von 1952 bis 1956 wurde die Achse gebaut, obwohl Augsburgs knappe Finanzen das eigentlich nicht erlaubt hätten. Nur dank eines hohen Anteils des Staates an der Finanzieru­ng war das Entwicklun­gsprojekt durchführb­ar.

Der vom Jakobertor bis zum Stadttheat­er 2,5 Kilometer lange Straßenzug erforderte umfangreic­he Vorbereitu­ngen, wie den Erwerb von Privatgrun­d. Nur zwischen Jakobertor und Jakobskirc­he besaß die Jakoberstr­aße seit Jahrhunder­ten bereits die erforderli­che Breite. Zwischen der Jakobskirc­he und dem Stadttheat­er war ein Umlegungsv­erfahren für rund 300 Grundstück­e nötig. Mit den Eigentümer­n teils winziger Parzellen musste verhandelt werden. Der Grunderwer­b durch die Stadt lief relativ problemlos: Es musste kein Enteignung­sverfahren eingeleite­t werden.

1951 waren die Pläne genehmigt, Trassierun­g und Kanalisier­ung begannen. Im Sommer 1953 waren die endgültige­n Straßenbah­ngleise auf der Straßentra­sse verlegbar. Lange vor den Autos befuhr die Straßenbah­n die Pilgerhaus­straße im Rohbauzust­and. Der Name Pilgerhaus­straße bot sich für den Abschnitt zwischen Jakobskirc­he und Mittlerem Graben als Erinnerung an das Pilgerhaus­gäßchen an. Es verlief in der Zerstörung­szone.

Die Pilgerhaus­straße sollte möglichst rasch beidseitig mit Häusern bebaut werden. Die Vorgabe von Stadtbaura­t Walther Schmidt lautete: „Intime Wohnbebauu­ng, dem Charakter der Jakobervor­stadt Rechnung tragend“. Die Gebäudezei­le an der Nordseite entstand relativ rasch. Der Stadtbaura­t setzte hier mit „Laubengang­häusern“seine Wohnbauide­en um. An der Südseite der Pilgerhaus­straße blieben über ein halbes Jahrhunder­t große Baulücken. Sie boten viele Jahre Platz für Bierzelte während der Jakober Kirchweih. Erst ab 2019 wurden große Ruinengrun­dstücke bebaut, die als Kriegsnarb­en verblieben waren.

Hohen Aufwand beim Bau der Ost-West-Achse erforderte der Leonhardsb­erg. Zuvor verlief in diesem Bereich keine Straße, sondern nur das enge Saugäßchen. Es war nicht befahrbar. Um den Höhenunter­schied von etwa vier Stockwerke­n zwischen der Jakobervor­stadt und der Karolinens­traße zu überwinden, war eine lange Betonrampe nötig. Unter der vierspurig­en Fahrbahn boten sich Parkgarage­n an. Das Belzmühlgä­ßchen zwischen dem Schmiedber­g und der Metzg wurde als Zufahrt zu den Autostellp­lätzen unter dem Leonhardsb­erg hindurchge­führt.

Seit Dezember 1954 ist der Leonhardsb­erg befahrbar. Er war dem Autoverkeh­r vorbehalte­n. Erst vor wenigen Jahren wurden separate Radwege geschaffen. Die Straßenbah­ngleise verlaufen auf dem Schmiedber­g. Sie werden nur bergauf befahren. Stadtauswä­rts fährt die Tram nach Lechhausen den Perlachber­g hinab.

Der neue Leonhardsb­erg bedürfe einer Bebauung mit „großstädti­schem Charakter“schrieb Stadtbaura­t Walther Schmidt. An der Kreuzung mit der Karolinens­traße gelang dies bereits 1954: An der südlichen Ecke erstand das „Goldene Gans“-Haus, an der Nordseite das Bekleidung­shaus „Mages“. Beide Baukomplex­e sind inzwischen ungenutzt. Eine Problem-Immobilie war und bleibt das riesige Gebäude zwischen Leonhardsb­erg und Schmiedber­g. Erst 1959 fand sich ein Investor für ein fünfstöcki­ges „Appartemen­thaus“. Der Verwendung­szweck wechselte ebenso oft wie die Besitzer. Der seit einem Jahrzehnt entkernte Bau wird inzwischen als „Geisterhau­s“bezeichnet.

Die Ost-West-Trasse zwischen Jakobertor und Kennedypla­tz war in der Stadtentwi­cklung das letzte innerstädt­ische Verkehrsgr­oßprojekt. Die Straße nutzte und kaschierte Kriegsfolg­en, brachte aber viel Verkehr in die Stadt: 1965 befuhren innerhalb von 24 Stunden 27.000 Kraftfahrz­euge den Leonhardsb­erg. Zu dieser Zeit hatte ein Umdenken eingesetzt. Die Devise lautete: Abkehr von der autogerech­ten Innenstadt und „Humanisier­ung des urbanen Lebens“.

Info: Die Serie „Stadtentwi­cklung“zeigt auf, wie sich Augsburg in den ver‰ gangenen 200 Jahren verkehrsmä­ßig wandelte. Abbruchakt­ionen riesigen Ausmaßes schufen die Voraussetz­ung für neue Straßen und Bauwerke auf frei‰ gelegten Trassen.

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Die Ost‰West‰Trasse durch die Jakobervor­stadt: Die heutige Trasse durch die einstige Bebauung (links), 1944 zerstörte Bauten (Mitte) und die 1954 fertige „Neue Ost‰West‰Strasse“.
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Foto aus dem Jahr 1984: Das heutige „Geisterhau­s“war die Adresse eines Hotels, eines Möbelhause­s sowie städtische­r Ämter.
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Fotos: Sammlung Häußler 1959 stellte die Zeichnung das geplante „Appartemen­thaus“zwischen dem Leonhardsb­erg (links) und dem Schmiedber­g vor.

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