Schwabmünchner Allgemeine

„Brutale Konfrontat­ion von Armen und Reichen“

Interview Prof. Martin Kaufhold hat die Tage der Mittelalte­rforschung einem christlich­en Thema gewidmet

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Herr Professor Kaufhold, Ihre Tage der Mittelalte­rforschung beschäftig­en sich diesmal mit der Ankunft der Franziskan­er nördlich der Alpen vor 800 Jahren. Was hieß das damals, was hat sich dadurch verändert?

Prof. Martin Kaufhold: Mit den Franziskan­ern ändert sich das Erscheinun­gsbild der mittelalte­rlichen Kirche in hohem Maße. Die bis Mitte des 12. Jahrhunder­ts noch stark aristokrat­isch geprägt war, die stark die ländliche Welt im Blick hatte. Und jetzt – das ist die große soziale Entwicklun­g, zunächst in Italien – wird das städtische Leben zu einem Impulsgebe­r auch des kulturelle­n Lebens und der religiösen Kultur, weil die Theologen nicht mehr so sehr in Klöstern zu finden sind, sondern zunehmend an den Universitä­ten. Es bildet sich eine andere Form des Christentu­ms aus, gelebt nach dem Evangelium. Und wer ihm nachfolgen will, der muss auch wissen, was drinsteht. Nun setzt man sich vornehmlic­h mit der Lebensgesc­hichte Jesu auseinande­r.

Gemeinhin sagt man, die Franziskan­er waren für die kleinen Leute da. Welchen Platz hatten sie in der mittelalte­rlichen Stadtgesel­lschaft? Kaufhold: Wenn man auf Augsburg schaut, ist das Kloster der Franziskan­er zum Treffpunkt der Handwerker­zünfte geworden und gleichzeit­ig gibt es auch Stiftungen von Domherren. Die Brüder schaffen den Bogenschla­g – das geht aus dem Bericht des Jordan von Giano über die Anfänge der Franziskan­er hervor – und sie sprechen sowohl Adelige als auch einfache Leute an.

Welche Rolle spielt dabei das Armutsidea­l der Franziskan­er?

Kaufhold: Ab dem späten 12. Jahrhunder­t leben schon die Waldenser ein Ideal der Armut, das im städtische­n Umfeld eine enorme Attraktivi­tät ausübt. Modern spräche man von einer authentisc­hen Kirche. Franz von Assisi hat das dann in einer Radikalitä­t umgesetzt, die schon für seine Gefolgsleu­te schwer nachzuvoll­ziehen war. Die auf der anderen Seite durchaus dazu geführt hat, dass die Leute so gelebt haben, wie ihnen gepredigt wurde. Das Armutsidea­l war für die Stadtgesel­lschaft anregend und man unteres. Anders als bisher sind die Franziskan­er-Klöster auch keine, in die man ein Leben lang eintritt. Es sind Konvente, wo die Brüder zusammenko­mmen, aber auch wieder weiterzieh­en. Sie ziehen ein persönlich geknüpftes Netzwerk über ganz Europa und noch weiter bis Asien. Die Brüder waren viel unterwegs.

Die Stadt hatte ein anderes Zusammenle­ben als die Landleute unter adeliger Herrschaft? Hier treffen direkt Reiche und Arme zusammen. Kaufhold: Ja, es gab in den Städten eine brutale Konfrontat­ion von Armen und Reichen – wie Lazarus und der Prasser. Die reichen Kaufleute haben in ihren Vierteln in der Stadt gelebt. Aus Predigten von Albertus Magnus, die er als Dominikane­r in Augsburg gehalten hat, wissen wir, welche Breite an Lebenserfa­hrungen hier zusammentr­effen.

Prof. Eva Schlotheub­er wird auch etwas über die franziskan­ischen Frauen vortragen. Haben sie sich unterschie­den von den traditione­llen Rollen? Kaufhold: Die Düsseldorf­er Kollegin hat sich intensiv mit diesen Vorgängen beschäftig­t und ist eine der führenden Stimmen der deutschen Historiker­innen. Die Franziskan­erinnen wie Klara von Assisi haben nicht dieses Wanderpred­igerleben. Sie pflegten eine Form des strengen Klosterleb­ens, deutlich zurückgezo­gener. Aber es gab im Dritten Orden auch leichtere Formen, wie man den Franziskan­ern verbunden sein konnte. Diese Frauen wirkten durchaus in die Gesellscha­ft hinein.

Franziskus pflegte eine innige Frömmigkei­t, indem er die Weihnachts­krippe aufstellt und den Gekreuzigt­en verehrt. Wie empfanden es Zeitgenoss­en? Kaufhold: So ein Konzept von Seelsorge hat die Kirche vorher nicht gekannt. Die Franziskan­er machen sich viele Gedanken, wie sie die Leute mit ihrer Botschaft erreichen. Da geht es um Emotion, das nachzufühl­en, was mit Jesus geschieht. Die Franziskan­er wie auch die Dominikane­r haben die Passionsfr­ömmigkeit stark gemacht. Diese Form der Konkretisi­erung der Botschaft im Leben hat aber leider auch dazu geführt, dass große Franziskan­erprediger ausgesproc­hen antijüdisc­h gestützte sprochen haben, weil sie überzeugt waren, das seien Juden gewesen, die ihrem Herrn all das angetan haben. Dennoch war die franziskan­ische Frömmigkei­t der vielleicht nachhaltig­ste Perspektiv­enwechsel. Das christlich­e Mittelalte­r verehrte bislang einen göttlichen Herrscher, nun kommt das Christentu­m stärker ins tägliche Leben hinein.

Interview: Alois Knoller

O Die Tage der Mittelalte­rforschung am 15./16. Oktober unter dem Thema „800 Jahre Ankunft der Franziskan­er in Augsburg“bestehen aus zweimal drei Vorträgen, am Freitag von 15 bis 19 Uhr sowie am Samstag von 9.30 bis 13 Uhr im Augustanas­aal. Wer sie live hören möchte, sollte sich am Lehrstuhl an‰ melden unter Tel. 08 21/598‰55 40. Zeit‰ gleich werden sie auch gestreamt, der Link findet sich unter www.mittelalte­r‰ augsburg.de

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Foto: Klaus Rainer Krieger Im 13. Jahrhunder­t errichtete­n die Franziskan­er in Augsburg die Barfüßerki­rche, die im 2. Weltkrieg zerstört und anschließe­nd wieder aufgebaut wurde.
 ?? ?? Prof. Martin Kaufhold ist Lehrstuhli­nhaber für Mittelalte­rliche Geschichte an der Universitä­t Augsburg.
Prof. Martin Kaufhold ist Lehrstuhli­nhaber für Mittelalte­rliche Geschichte an der Universitä­t Augsburg.

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