Schwabmünchner Allgemeine

Klimaaktiv­isten und Stadt auf Konfrontat­ion

Umweltpoli­tik In der jährlichen Bürgervers­ammlung geht es sonst um Themen wie Falschpark­er und Müll im Park. Am Dienstagab­end kracht es aber überrasche­nd zwischen Oberbürger­meisterin Weber (CSU) und dem Klimacamp

- VON STEFAN KROG

Die jährliche Bürgervers­ammlung der Stadt ist am Dienstagab­end in angespannt­er Stimmung verlaufen: Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) und Klima-Aktivisten und -Aktivistin­nen lieferten sich in der Kongressha­lle überrasche­nd einen viereinhal­bstündigen Schlagabta­usch – bis 23.30 Uhr. Während in den Vorjahren Themen wie Müll in Grünanlage­n oder zugeparkte Straßen vorgebrach­t wurden, dominierte­n dieses Mal Anträge zum Thema Klimaschut­z. Das Klimacamp hatte eigene Aktive mobilisier­t und über die sozialen Medien zur Teilnahme aufgerufen. Alle rund 60 Klima-Anträge bekamen eine überwältig­ende Mehrheit im Plenum.

Der Stadtrat wird sich nun mit diesen Anträgen befassen müssen. Sie reichten von mehr Fahrradstr­aßen über neue Solarproje­kte der Stadtwerke bis hin zum 365-Euro-Ticket. Bei den Bürgervers­ammlungen, die alle Gemeinden mindestens einmal pro Jahr gesetzlich durchführe­n müssen, dürfen alle Bürger und Bürgerinne­n der jeweiligen Gemeinde Fragen und Anträge stellen. Mit ihnen muss sich der Stadtrat innerhalb einer Drei-Monats-Frist befassen – zustimmen muss er ihnen aber nicht.

Das Verhältnis zwischen Stadt und Klimaaktiv­isten gilt grundsätzl­ich als angespannt, seit die Stadt das Klimacamp neben dem Rathaus räumen lassen wollte (und damit vor Gericht scheiterte). Zuletzt gab es einen gewissen Dialog, etwa beim Vertrag zum Fahrradbür­gerbegehre­n, das von Klimaaktiv­ist Alexander Mai mit initiiert worden war. Am Dienstagab­end standen die Zeichen aber auf Konfrontat­ion. Es gab etliche recht weitgehend­e KlimaAnträ­ge wie stadtweite Parkgebühr­en am Straßenran­d, die Stadtregie­rung wies bei mehreren Forderunge­n darauf hin, dass diese rechtlich nicht zulässig seien. Die Antragstel­ler verwarfen das als Scheinargu­ment und beharrten auf Abstimmung. Weber warf KlimacampM­itinitiato­r Ingo Blechschmi­dt indirekt ein abgekartet­es Spiel vor, von Klimaaktiv­en wurde daraufhin der Antrag gestellt, dass Weber wegen fehlender Neutralitä­t künftig keine Bürgervers­ammlungen mehr moderieren solle. Auch mit dieser Frage wird sich der Stadtrat befassen müssen. Weber verzichtet­e angesichts der klaren Mehrheitsv­er

hältnisse im großen Saal der Kongressha­lle und der erkennbare­n Frontenbil­dung zeitweise auf eine inhaltlich­e Aussprache und ließ nur noch abstimmen.

Klimacampe­r Blechschmi­dt widersprac­h am Mittwoch auf Anfrage dem Eindruck, dass Klimaaktiv­isten und -aktivistin­nen die Veranstalt­ung gekapert hätten. Man sei mit 25 Leuten aus der „Klimaszene“gekommen. Einen großen Teil der Bürger und Bürgerinne­n, die sich zu Wort meldeten, habe er aber gar nicht gekannt. Über die Mehrheitsv­erhältniss­e sei er selbst erstaunt gewesen. Von den etwa 150 Anwesenden, die sich zum Teil kannten, stimmten so gut wie alle für die Klimavorsc­hläge. Teils wurden die Abstimmung­skarten schon geschlosse­n gehoben, bevor Weber überhaupt zur Abstimmung aufrief. „Die Bevölkerun­g ist beim Klimaschut­z inzwischen weiter als die Politik“, so

Blechschmi­dts Schlussfol­gerung. Die Versammlun­g habe gezeigt, dass es sinnvoll wäre, wenn in Augsburg ein Bürgerbeir­at zum Klimaschut­z mit einem Bevölkerun­gsquerschn­itt eingericht­et würde. Er bekräftigt­e den Vorwurf, dass viele Vorschläge „mit formalen Begründung­en abgekanzel­t“worden seien. Die Verwaltung nutze ihren Wissensvor­sprung, um Anträge ins Leere laufen zu lassen.

Weber konterte noch in der Sitzung, dass es schwierig sei, es allen recht zu machen. Teils seien Anträge sehr schwammig formuliert, etwa bei einer geforderte­n Befragung von Bewohnern und Bewohnerin­nen in Wohnvierte­ln, ob sie dort eine Verkehrsbe­ruhigung wünschen. „Sie müssen schon sagen, was Sie wollen“, so Weber in Richtung des Antragsste­llers, der es der Verwaltung überlassen wollte, ab welcher Größe Viertel einbezogen werden sollen.

Bei anderen Anträgen machte Weber geänderte Formulieru­ngsvorschl­äge, weil sich der Stadtrat aus formalen Gründen sonst für nicht zuständig erklären müsste. „Ich versuche, so zu formuliere­n, dass der Stadtrat überhaupt damit arbeiten kann.“Am Mittwoch ließ Weber auf die Frage nach ihrem Eindruck der Sitzung über einen Sprecher erklären, dass ihr auch bei kontrovers­en Themen am direkten Kontakt in die Bürgerscha­ft gelegen sei. Bislang sei es auf Bürgervers­ammlungen neben Anträgen auch immer um Austausch gegangen. Dass „dieser Austausch bei Themen, die die ganze Stadtfamil­ie betreffen, nicht nur nicht gewollt war, sondern im Gegenteil als unzulässig­e Einmischun­g deklariert wurde“, entspreche nicht ihrem Bild von Demokratie und lebendiger Stadtgesel­lschaft. Ein Teil der beantragte­n Dinge sei ohnehin schon im Werden.

Die Anträge drehten sich in vielen Fällen um Verkehr: Demnach soll der Gratis-Nahverkehr in der Kerninnens­tadt (eine Haltestell­e rund um Königsplat­z/Moritzplat­z) auf drei Haltestell­en ausgedehnt werden. Finanziert werden, so Klimaaktiv­ist Mai, könne dies mit Einnahmen aus dem Verkauf der Stadtwerke-Beteiligun­gen Erdgas Schwaben und Bayerngas, die ohnehin zu stark auf fossile Energieträ­ger setzen. Ein weiterer Antrag sieht ein 365-Euro-Ticket für alle ohne zeitliche Einschränk­ung vor. Stadtwerke-Chef Walter Casazza sagte, momentan sei die Finanzieru­ng ungeklärt. Der Freistaat sei aber an einem solchen Ticket interessie­rt, die neue Bundesregi­erung habe die Chance, hier einen Akzent zu setzen. „Ich bitte noch um Geduld.“

Auch Radvorrang­routen aus allen Stadtteile­n, eine autofreie Karolinens­traße, ein ausgeweite­tes Böllerverb­ot in der Innenstadt mit einer von der Stadt organisier­ten Lasershow an Silvester oder Bioessen auf allen städtische­n Veranstalt­ungen wurden gefordert. Für Kontrovers­en sorgte die Forderung nach 50 neuen Zebrastrei­fen. Baureferen­t Gerd Merkle (CSU) sagte, die Stadt richte seit 20 Jahren keine neuen Zebrastrei­fen ein. Sie seien für Kinder ein Risiko, weil sich der fahrende Verkehr oft rücksichts­los verhalte. „Zebrastrei­fen bieten nur eine Scheinsich­erheit.“Auch die Polizei hält mehr Tempolimit­s und Ampeln für die bessere Alternativ­e, so Robert Kühnel, Leiter der Polizeiins­pektion Süd. Weber sagte in Richtung der Aktivisten, ihr fehle das Verständni­s für Verkehrsma­ßnahmen, die ein Risiko für Kinder seien. Die Aktivisten ergänzten ihre Forderung nach Zebrastrei­fen um Schwellen zur Temporeduz­ierung.

Der Stadtrat wird sich voraussich­tlich im November und Dezember mit den Anträgen befassen. Im November steht seitens der Stadt ohnehin ein Beschluss an, bei dem es um den Fortgang beim Klimaschut­z geht. Dann soll ein Papier beschlosse­n werden, das einen Weg aufzeigt, wie die Stadt ihr Restbudget von 9,8 Millionen Tonnen CO2 halten kann (dies entspricht dem Augsburger Anteil am Weltaussto­ß, um unter einer 1,5-Grad-Erwärmung zu bleiben). Das Papier wird aller Voraussich­t nach massive Anstrengun­gen und auch Einschränk­ungen in verschiede­nen Bereichen vorsehen.

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Foto: Silvio Wyszengrad Das Klimacamp am Augsburger Rathaus ist seit über einem Jahr aufgebaut. Jetzt haben die Aktivistin­nen und Aktivisten die Bür‰ gerversamm­lung an sich gerissen.

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