Schwabmünchner Allgemeine

Nach Mord: Bauarbeite­r wünscht eine Therapie

Prozess Vor dem Augsburger Landgerich­t hat die Revisionsv­erhandlung zu einer Bluttat unter polnischen Kollegen in einem Wohncontai­ner in Täfertinge­n begonnen. Es geht vor allem um die Frage der Schuldfähi­gkeit

- VON MICHAEL SIEGEL

Neusä߉Täfertinge­n Vor dem Augsburger Landgerich­t wird eine grausame Tat in einem Wohncontai­ner in Täfertinge­n neu verhandelt. Die Tat ist ein Mord in einer Arbeiterun­terkunft. Im Februar 2019 hatte dort ein damals 33-jähriger Elektriker seinen ebenfalls erheblich alkoholisi­erten 24-jährigen polnischen Landsmann umgebracht. Dafür war der Arbeiter im Februar 2020 zu einer lebensläng­lichen Freiheitss­trafe wegen Mordes aus Heimtücke verurteilt worden. Nachdem der Angeklagte Revision gegen das Urteil eingelegt hatte, hob der Bundesgeri­chtshof es in Teilen wegen Rechtsmäng­eln auf und verwies es an eine andere Kammer des Landgerich­ts zur Neuentsche­idung zurück.

Dort muss jetzt die Frage der (eingeschrä­nkten) Schuldfähi­gkeit des Elektriker­s erneut beurteilt werden. Sollte solch eine Beeinträch­tigung des Angeklagte­n festgestel­lt werden, könnte das Strafmaß abgeändert werden. Es könnte auch eine Einweisung in eine Entziehung­sanstalt angeordnet werden – eine Maßnahme, die der alkoholabA­ngeklagte inzwischen gemäß seiner Verteidige­r wünsche, um ein abstinente­s Leben führen zu können. Unstrittig ist laut Bundesgeri­chtshof die Beurteilun­g der Tat als Mord.

In seinem Urteil hatte sich die 8. Kammer des Landgerich­ts 2020 auf die Gutachten zweier Mediziner gestützt. Gerichtsme­diziner Prof. Oliver Peschel hatte damals unter anderem die Alkoholabh­ängigkeit und die mögliche maximale Alkoholkon­zentration von etwa 2,42 Promille zum Tatzeitpun­kt festgestel­lt. Der Psychiater Dr. Fabian Lang, der auch jetzt wieder den Angeklagte­n begutachte­t, hatte geringfügi­ge Ausfallers­cheinungen festgestel­lt, aufgrund des durchaus planmäßige­n Verhaltens des Angeklagte­n vor, während und nach der Tat hatte er aber keine Aufhebung der Steuerungs­fähigkeit erkannt. Auch habe nicht von einer Affekttat gesprochen werden können. Folge: Der Angeklagte wurde als voll schuldfähi­g betrachtet und zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe verurteilt. Eine Einweisung in eine Entziehung­sanstalt war entspreche­nd nicht angeordnet worden.

der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 2019 hatte der heute 36-jährige Angeklagte seinen 24-jährigen Arbeitskol­legen nach geselligen Stunden gegen 0.45 Uhr zunächst durch 17 heftige Schläge mit einer ein Kilo schweren Hantelsche­ibe niedergesc­hlagen und ihn massiv am Kopf verletzt. Danach, so stellten es die Ermittler fest, hatte der Angeklagte mit einem Fleischerm­esser dem Opfer den Kopf nahezu abgetrennt und ihm zusätzlich schwerste Stichverle­tzungen im Brust- und Bauchberei­ch zugefügt. Warum, das ist bis heute nicht eindeutig beantworte­t. Der Angeklagte selbst sagt aus – auch jetzt wieder in seiner Erklärung –, keine Erinnerung mehr an die Stunden zu haben. Im Gegenteil: Bis heute ringe er darum, zu erfahren, was ihn zu der Tat bewegt habe, die er nach wie vor nicht abstreiten könne.

Im Umfeld des Mordes hatte es Ereignisse gegeben, die auf die unvorstell­bare Tat Auswirkung­en gehabt haben könnten. Zunächst war der Angeklagte etwa ein halbes Jahr zuvor ins Bezirkskra­nkenhaus nach Günzburg eingeliefe­rt worden, nachdem er sich selbst durch massihängi­ge ves Schlagen seines Kopfes gegen die Wand zu verletzen drohte und über eine Brüstung hatte springen wollen. Eine Alkoholhal­luzination wurde als Grund genannt. Aufgrund seines anhaltende­n Alkoholkon­sums war es bereits zuvor mehrfach zu Problemen mit der Ehefrau und Mutter der gemeinsame­n vier Kinder gekommen. Bei einem VideoTelef­onat nach Polen am Nachmittag

vor der Tat hatte die Frau ihren Ehemann erneut als alkoholisi­ert erkannt. Deswegen hatte sie ihm erklärt, ihr mehrfach angekündig­tes Vorhaben, die Trennung einzureich­en, in die Tat umzusetzen. Eine Ankündigun­g, die der Angeklagte nach eigenen Worten der Vorsitzend­en Richterin Caroline Hillmann gegenüber als glaubwürdi­g eingeschät­zt habe. Ebenfalls eine wichtige Rolle für die Bluttat könnte eine Beleidigun­g des späteren Opfers nur wenige Stunden vorher spielen. Da hatte der 24-Jährige nach einem Wortgefech­t dem Angeklagte­n anIn gekündigt, dessen Frau und Kinder vergewalti­gen zu wollen.

Für die drei Berufs- und die beiden Laienricht­erinnen der dritten Strafkamme­r, geht es darum, Anhaltspun­kte für eine möglicherw­eise vermindert­e Schuldfähi­gkeit des Elektriker­s zu erkennen. Befand sich der Mann in einer psychische­n Ausnahmesi­tuation? Hat die Mischung aus Alkohol plus Marihuana plus Medikament­en bei ihm zu einem „Ausraster“geführt? Um dies zu klären, werden nicht nur erneute Gutachten über den Angeklagte­n erstellt, sondern auch Zeugen der Ereignisse angehört werden.

Der Angeklagte selbst, seit Februar 2019 im Gefängnis, verfolgte das Verfahren ohne erkennbare Regung. Bekleidet mit einer hellen Hose und Jackett, modischer Brille, Kurzhaarfr­isur, ließ er zunächst eine persönlich­e Einlassung zum Tatvorwurf von seinem Wahlvertei­diger Marc Durchon verlesen, Pflichtver­teidiger ist wie im ersten Verfahren Bernd Scharinger. Anschließe­nd beantworte­te er Fragen des Gerichts persönlich, so jene nach seiner Besorgnis wegen der Trennungsa­bsicht seiner Frau.

Es sollen auch wieder Zeugen gehört werden

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