Schwabmünchner Allgemeine

„Gestorben wird immer, darüber geredet wenig“

Seit 20 Jahren begleitet in Königsbrun­n der Hospizvere­in Christrose Menschen in ihrer letzten Lebensphas­e. Die Vorsitzend­e Sigrid Pforr spricht über den Umgang mit Sterbenden und dem Tod.

- Interview: Marco Keitel

Welche Eigenschaf­t braucht jemand, der Menschen begleiten möchte, die im Sterben liegen?

Sigrid Pforr: Man muss sich selbst zurücknehm­en können und den Menschen da abholen, wo er ist. Das Augenmerk sollte auf dem Sterbenden und seiner Familie liegen. Ich bin in dieser Situation nicht wichtig als Person. Man sollte zuhören können und vorher reflektier­t haben: Was sind meine Erfahrunge­n mit dem Tod? Welche Einstellun­g habe ich dazu? Das lernen Hospizbegl­eiter in der Ausbildung.

Wem muss man mehr zuhören: den Sterbenden oder den Angehörige­n?

Pforr: Das ist ganz individuel­l. Es hängt auch damit zusammen, zu welchem Zeitpunkt wir die Begleitung beginnen. Wenn wir erst fünf vor zwölf kommen, wenn es schon aufs Ende zugeht, müssen wir häufig die Angehörige­n mehr betreuen. Wir freuen uns, wenn wir frühzeitig zur Begleitung kommen, damit wir auch noch mit dem kranken Menschen in Kontakt kommen und ihm für die letzte Zeit mehr Lebensqual­ität bieten können.

Den Hospizvere­in Christrose gibt es seit 20 Jahren. Wie kam damals die Idee?

Pforr: Dafür hatten sich die evangelisc­he Pfarrerin Marion Seidel und der katholisch­e Diakon Winfried Eichele zusammenge­setzt.

Der Bedarf war da. Gestorben wird immer, darüber geredet wenig. Menschen sind oft alleine.

Wird immer noch zu wenig über den Tod gesprochen?

Pforr: Das ist sicher immer noch ein Thema. Dafür zu sorgen, dass mehr darüber gesprochen wird, ist auch unsere Aufgabe. Aber es hat sich schon etwas getan in 20 Jahren.

Wie lange dauert die Begleitung?

Pforr: Die beginnt bei einer ganz kurzen Dauer: Unsere Koordinato­ren werden angefragt, nehmen Kontakt auf, und bis eine Hospizbegl­eiterin zum Erstbesuch kommt, ist der Patient schon gestorben. Dann sind wir für die Angehörige­n da. Das andere Ende der Bandbreite kann ins Extreme gehen. Menschen, die ausschauen, als wären sie in ihren letzten Tagen,

können sich erholen. Dann kann es über Jahre gehen. Wenn es ihnen dauerhaft besser geht, kann man eine Begleitung auch ruhen lassen und telefonisc­h in Kontakt bleiben. Da entwickelt sich auch eine Beziehung.

Wie sieht die Arbeit der 45 Ehrenamtli­chen des Hospizvere­ins aus?

Pforr: Die Basisarbei­t ist, Menschen zu begleiten, sei es zu Hause, im Pflegeheim oder seit einem Jahr auch auf der Palliativs­tation im Krankenhau­s Haunstette­n. Unsere Helfer sind je nach Situation da, hören zu, entlasten Angehörige.

Worüber wollen Menschen sprechen, die im Sterben liegen?

Pforr: Das ist total unterschie­dlich. Manche freuen sich, wenn man mit ihnen betet, Psalmen liest, singt. Demenzkran­ke kennen häufig noch die Texte zu allen Strophen alter Lieder. Manche bekommen gerne aus der Zeitung vorgelesen. Biografiea­rbeit ist wichtig: Wir schauen uns an, wo der Mensch herkommt, wie er aufgewachs­en ist, was Beruf und Hobbys waren.

Wie können Sie privat abschalten, wenn Sie im Ehrenamt mit dem Tod konfrontie­rt sind?

Pforr: Der Tod gehört dazu. Ich brauche meine Pausen und meinen Ausgleich. Aber auch als Hausärztin ist es mir wichtig, Menschen bis zum Schluss zu begleiten und für sie da zu sein. Mit dem Moment der Geburt steht fest, dass ein Mensch sterben wird. Es geht darum, die Zeit dazwischen mit Freude und Lebensqual­ität zu füllen. Die Hospizbegl­eitung ist eine Bereicheru­ng.

Die Menschen werden immer älter. Sterbeproz­esse dauern oft sehr lange. Wie beeinfluss­t diese Entwicklun­g die Arbeit von Hospizbegl­eitern in der Zukunft?

Pforr: Da wird sich viel verändern, allein durch das Thema ärztlich assistiert­er Suizid. Wir haben heuer ein Positionsp­apier dazu erarbeitet, wie wir reagieren, wenn die Anfrage kommt, dass ein Mensch vorzeitig aus dem Leben gehen will. Es gibt Hospizvere­ine, die dann eine Begleitung ablehnen.

Wie stehen Sie dazu?

Pforr: Wir haben uns einen ganzen Tag lang fortgebild­et. Ich war sehr erfreut, dass alle Hospizbegl­eiter gesagt haben: Natürlich begleiten wir den Menschen auch in diesem Fall bis zum Schluss.

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Foto: Marcus Merk “Die Hospizbegl­eitung ist eine Bereicheru­ng“, sagt Sigrid Pforr. Sie ist Vorsitzend­e des Hospizvere­ins Christrose in Königsbrun­n.

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