Schwabmünchner Allgemeine

Mit Köpfchen und Kettenhemd

Vor 50 Jahren lief die Kinderseri­e „Wickie und die starken Männer“zum ersten Mal und machte einen kleinen Wikinger zur Kultfigur.

- Von Cornelia Wystrichow­ski

Er hat feuerrote Haare, einen Helm mit kecken Hörnern und löst Probleme mit Grips statt Gewalt: Wickie, der Wikingerju­nge aus der Zeichentri­ckserie „Wickie und die starken Männer“, ist seit 50 Jahren der sanfte und sensible Held ganzer Zuschauerg­eneratione­n. In der waffenstar­renden Welt des mittelalte­rlichen Kriegervol­ks ist der Dreikäseho­ch der wichtigste Mann an Bord, wenn es mal wieder auf große Fahrt geht: Ohne Wickies tolle Ideen wären Wikingerhä­uptling Halvar und seine vermeintli­ch starken Männer aus dem Dorf Flake bei ihren Raubzügen oft verloren. Kein Wunder, dass sich der aufgeweckt­e Kerl rasch zum Star des Kinderfern­sehens mauserte, als am 31. Januar 1974 die erste „Wickie“-Folge über deutsche Bildschirm­e flimmerte.

„Hey, hey, Wickie! Hey, Wickie, hey! Zieh’ fest das Segel an!“: Wer kann das Titellied nicht bis heute auswendig mitsingen? Der Klassiker aus den 70ern gehört für viele heutige Erwachsene zu den prägenden ersten Fernseherl­ebnissen. Wickies prahlerisc­her Vater Halvar, die Streithähn­e Snorre und Tjure, der verhindert­e Bänkelsäng­er Ulme, der uralte Urobe, Gorm mit seinem Lieblingsa­usruf „Ich bin entzückt“oder der sanftmütig­e dicke Faxe: Sie alle haben Fernsehges­chichte geschriebe­n. Vor allem aber der etwa achtjährig­e Junge Wickie – wobei eine Studie 2013 ergab, dass viele Kinder ihn für ein Mädchen halten, was unter anderem am langen Haar und an dem Kettenhemd liegt, das wie ein Röckchen aussieht.

Die Vorlage zu der Serie lieferte der schwedisch­e Schriftste­ller Runer Jonsson mit seinem 1963 erschienen­en Kinderbuch „Vicke Viking“über einen Wikingerju­ngen, der etwas aus der Art geschlagen ist: Er ist kein Raufbold mit Streitaxt, sondern ziemlich ängstlich – doch aus dieser Not macht er eine Tugend und nutzt seine Furcht kreativ. Wenn Halvars Truppe in die Patsche gerät, hat sein cleverer Sohn Wickie stets rettende Einfälle, die sich in der Zeichentri­ckfassung so ankündigen: Der kluge kleine Kerl reibt sich erst nachdenkli­ch an der Nase und verkündet schließlic­h jubelnd: „Ich hab’s!“Dann nutzt er zum Beispiel einen Sägefisch, um für die eingekerke­rten Wikinger ein Fluchtloch in die Gefängnist­ür zu sägen.

Josef Göhlen, der damalige Leiter des ZDF-Kinderprog­ramms, wollte Wickie zunächst als Puppenspie­l-Mehrteiler realisiere­n, stattdesse­n wurde daraus die heute legendäre Zeichentri­ckserie, eine Kooperatio­n von ZDF und ORF. Damit es nicht zu teuer würde, wurde ein japanische­s Zeichentri­ckstudio mit der Umsetzung der Buchvorlag­e als Anime beauftragt, damals eine Neuheit im deutschen Fernsehen. Mit dem Abstand von einem halben Jahrhunder­t betrachtet muss man sagen: Sonderlich schön gezeichnet war das damals nicht, sondern recht plakativ und simpel – aber das nimmt der Serie mit den fantasievo­llen Geschichte­n nichts von ihrem Charme.

Beim ZDF stießen die Abenteuer der Wikingertr­uppe zunächst auf Skepsis, erinnerte sich Göhlen vor einigen Jahren in einem Interview: „In dieser Zeit, als alles irgendwie sozialkrit­isch sein musste, kam unsere heile Wikingerwe­lt im Sender erst gar nicht so gut an.“Doch die 78 Folgen, die von 1974 bis April 1976 erstmals liefen, wurden zum sagenhafte­n Erfolg.

Zu den größten Wickie-Fans zählt übrigens Comedian und Regisseur Michael „Bully“Herbig: 2009 machte er aus der Kultserie einen Kinofilm. Nicht als Parodie, sondern als Hommage – mit Erfolg: „Wickie und die starken Männer“lockte um die fünf Millionen Zuschauer ins Kino und heimste zahlreiche Preise ein. Seit 2014 bietet das ZDF auch eine computeran­imierte Neuauflage der Trickserie – sie kommt bei Kindern gut an, ist für Nostalgike­r aber ungeeignet.

 ?? Foto: ZDF/Studio 100 Media ?? Wickie ist nicht gerade furchtlos. Aber Angst ist ja nun auch ein Zeichen von Intelligen­z.
Foto: ZDF/Studio 100 Media Wickie ist nicht gerade furchtlos. Aber Angst ist ja nun auch ein Zeichen von Intelligen­z.

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