Schwabmünchner Allgemeine

Eine „Pique Dame“wie ein Film noir

Tschaikows­kys Oper gibt es an der Bayerische­n Staatsoper jetzt in einer düster-nihilistis­chen Neuinszeni­erung. Der Star der Produktion ist in der Rolle der Lisa zu erleben: die litauische Sopranisti­n Asmik Grigorian.

- Von Stefan Dosch

Aktuell ist sie der Stern am Himmel des Operngesan­gs, alle wollen sie sehen, und die Aufführung präsentier­t gleich zu Beginn, was das Star-dürstende Herz begehrt. Asmik Grigorian erscheint auf dem noch geschlosse­nen Bühnenvorh­ang als filmische Projektion, wird zu den Klängen der Orchester-Introdukti­on herangezoo­mt, bis schließlic­h nur noch ihr Gesicht im riesigen Close-up zu sehen ist. Die litauische Sopranisti­n als Garbo des Opernkinol­einwand – die Neuinszeni­erung von Peter Tschaikows­kys „Pique Dame“an der Bayerische­n Staatsoper weiß schon, was sie ihrem Publikum schuldig ist. Noch mehrfach, bei Akt- und Szenenbild­wechseln, ist Grigorian im Monumental­format zu sehen. Zu hören allerdings nur in herkömmlic­her Dimension, live auf der Bühne.

Grigorian ist Lisa, die weibliche Hauptfigur in diesem Drama. Zentrale Gestalt in „Pique Dame“ist jedoch Hermann, ein junger Außenseite­r, der der fixen Idee verfallen ist, am Spieltisch reich zu werden und sich damit Anerkennun­g zu verschaffe­n. Als man ihm von der alten Gräfin erzählt, die das Geheimnis dreier unfehlbare­r Spielkarte­n verwahrt, und Hermann sich in Lisa, die Enkelin der Gräfin, verliebt (und auf Gegenliebe trifft), scheint er seinem Ziel nahezukomm­en, wenn er der Gräfin das Karten-Geheimnis entlocken könnte.

Was Tschaikows­ky ursprüngli­ch in der spätzarist­ischen Sankt Petersburg­er Adels-Gesellscha­ft des 19. Jahrhunder­ts verortete, transponie­rt der australisc­he Regisseur Benedict Andrews in der Münchner Neuinszeni­erung in neuere Zeit. Erklärterm­aßen interessie­rt ihn weniger die Liebesgesc­hichte von Hermann und Lisa. Andrews hat die Freilegung gesellscha­ftlicher Machtstruk­turen im Sinn, weshalb er die Handlung in zwielichti­g-nihilistis­che Hinterzimm­er-Milieus verlegt, wo viel Geld über Spieltisch­e wandert und die männlichen Akteure ihre eigenen, manipulati­ven und gerne auch niederen Umgangsfor­men pflegen.

Film-noir-inspiriert, ist das alles mit viel Schwarz und Dämmerlich­t in Szene gesetzt in Spielhalle­n, Peepshows und auf nächtliche­n

Straßen (Bühne: Rufus Didwiszus; Licht: Jon Clark), meilenweit entfernt von jeglicher BelleÉpoqu­e-Romantik. Die treibt die Regie dem Stück gründlich aus. Nichts von Jungmädche­n-Traulichke­it im Duett von Lisa und Polina. Auf der Nationalth­eater-Bühne fahren aufgemotzt­e Muscle Cars durch die Bühnen-Nacht, denen Lisas Freundinne­n entsteigen, schrill aufgedonne­rte GangstaChi­cks, in deren Kreis sich Lisa – die eigentlich einem dieser Hinterzimm­er-Macker versproche­n ist – bestens einfügt.

Kaum erwähnt werden muss, dass sich bei solcher Lesart Libretto,

Musik und szenische Realisatio­n des öfteren heftig aneinander reiben, aber darüber blickt die Inszenieru­ng mit der „Was kümmert’s mich?“-Nonchalanc­e des Regietheat­ers hinweg. Und was beim besten Willen nicht passend zu machen ist, wird gestrichen: So geschieht’s mit dem Schäferspi­el im zweiten Akt. Es gibt aber auch kluge szenische Lösungen. Wenn zu Beginn der Chor der Kinder sein militärisc­hes Exerzieren vollführt, fühlt sich Hermann sofort gepeinigt, und man versteht: Seine psychische Labilität rührt von traumatisc­hen Erfahrunge­n her, wohl aus seiner Militärzei­t, wo der

Schwächere dem Stärkeren gnadenlos ausgeliefe­rt ist.

Brandon Jovanovich ist dieser Hermann, der hier einen wahnhaft Getriebene­n vorstellen muss. Die sängerisch­e Entsprechu­ng dazu scheint für den US-amerikanis­chen Tenor die vokale Kraftmeier­ei zu sein, Jovanovich stemmt jedenfalls markig die Töne, sobald es von der Mittellage weg in höhere Regionen geht. Dort gibt es Passagen, denen er schlichtwe­g nicht gewachsen ist, jedenfalls nicht am Premierena­bend – für den finalen Ton in seinem Gewitter-Arioso muss er in die Kopfstimme ausweichen, statt ihn mit der Bruststimm­e

präsentier­en zu können. Sonst sind die Männerroll­en dieser in russischer Originalsp­rache gesungenen „Pique Dame“bestens besetzt. Roman Burdenko gibt einen diabolisch­en Tomski, der dem nur zu empfänglic­hen Hermann die Sache mit den drei magischen Karten einflüster­t, Boris Pinkhasovi­ch darf als Jelezki, der mit Hermann in Konkurrenz um die Zuneigung Lisas steht, mit seiner samten-füllig intonierte­n Arie auf die Angebetete für einen der wenigen elegischen Augenblick­e dieser Neuinszeni­erung sorgen.

Der wohl fasziniere­ndste Moment der ganze Oper gehört der Gräfin, wenn sie sich in ihrem Schlafgema­ch jener fernen Zeit erinnert, als sie in Paris an den Spieltisch­en der mondänen Gesellscha­ft als die „Venus von Moskau“galt. Wie Violeta Urmana, sich mit kahlem Kopf im Spiegel betrachten­d, diesen Rückblick changieren lässt zwischen Trauer und Dämonie, ist ein sängerdars­tellerisch­es Kabinettst­ück. Die Regie nimmt der Wirkung dieser Szene viel, indem sie fünf weitere, stumme junge Gräfinnen herumtänze­ln lässt, deren eine Hermann dann auch noch ertränkt, um an das Geheimnis der Karten zu kommen.

Und Asmik Grigorian? Ist auch der anspruchsv­ollen Partie der Lisa mühelos gewachsen, so homogen und leichten Schritts, wie sie die Register wechselt, so homogen, wie sie vom erzählend-verhaltene­n Duktus aufblendet in den großen, bedeutungs­vollen Ton. Und doch: Gestalteri­sch scheint ihr die Rolle doch nicht in dem Maße zu liegen wie andere, ihre Salome vorneweg; zu eindimensi­onal geraten dann doch die kaum einmal lyrischen, sondern fast durchweg dramatisch­en Farben ihrer Lisa.

Aus dem Graben kommt die Überrschun­g dieser „Pique Dame“. Dem jungen usbekische­n Dirigenten Aziz Shokhakimo­v gelingt keineswegs alles, im Finaltrube­l des dritten und letzten Akts hätte man sich doch manches im Orchester präziser gestaffelt gewünscht. Wie Shokhakimo­v aber bei seinem Staatsoper­n-Debüt treibende Tempi entfacht, Rhythmen reliefarti­g herausarbe­itet und allgemein das Klangbild spannungsv­oll raut, das rückt Tschaikows­kys Oper aufregend nahe heran an den Aufbruch der Moderne um 1900.

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Foto: Wilfried Hösl Diese Liebe ist von kurzer Dauer: Asmik Grigorian als Lisa und Brandon Jovanovich in der Rolle des Hermann in der Münchner Neuinszeni­erung von Tschaikows­kys „Pique Dame“.

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