Schwabmünchner Allgemeine

Als ein Fluch aus Leverkusen Vizekusen machte

„Leverkusen gewinnt nie etwas. Nie, nie, nie!“Soweit ein Zitat des Ex-Bayer-Profis Emerson. Warum sich das in dieser Saison ändern könnte und was 30 Ersatzbäll­e damit zu tun haben.

- Von Florian Eisele

München/Leverkusen Wo dieses Wort – Vizekusen – eigentlich herkommt? Wahrschein­lich wurde der Begriff irgendwo zwischen Unterhachi­ng und München geprägt. Und fast scheint es, als ob Emerson, der brasiliani­sche Mittelfeld­spieler Bayers, im Sommer 2000 einen Fluch auf sein damaliges Team gelegt hätte. „Leverkusen gewinnt nie etwas. Nie, nie, nie!“platzte es aus ihm heraus, nachdem Leverkusen in der Saison 1999/2000 den Meistertit­el auf die denkbar dümmste Weise verspielt hatte. Im Saisonfina­le hätte der Werkself schon ein Unentschie­den gereicht. Stattdesse­n schoss Michael Ballack den Ball ins eigene Tor, Bayer verlor 0:2, die Bayern gewannen gegen Bremen und das Torverhält­nis gab den Ausschlag für den FCB. Knapper geht nicht. Leverkusen blieb Platz zwei, Vizekusen eben.

Wie sehr das an Emerson nagte, war wenige Stunden später bei Sat.1 zu sehen, das damals die Bundesliga übertrug. Die Redaktion von „Ran“hielt es damals einige Jahre lang für eine gute Idee, dem besten Trainer und Spieler jeweils einen „Fuxx“zu überreiche­n, quasi einen Saison-Oscar. In der LiveSchalt­e waren Emerson und die bereits sichtlich angedüdelt­en Bayern-Spieler Oliver Kahn und Stefan Effenberg zugeschalt­et. Als Jörg Wontorra Emerson die frohe Nachricht verkündete, dass er den Fuxx für den besten Spieler der Saison gewonnen hatte, quittierte dieser das mit einem eisigen Nicken. Effenberg lieferte den Beweis, dass Betrunkene und Kinder die Wahrheit sagen, und kommentier­te das wie folgt: „Ihr könnt dem Emerson noch zehn Fuxx schenken. Wir haben den Pokal und die Meistersch­aft, das ist viel mehr wert als dieses Scheiß X da.“

Diese Szene war jahrelang die Blaupause für alle Titelambit­ionen von Bayer Leverkusen: Die Werkself zeigte unter Trainern wie Christoph Daum, Klaus Toppmöller, Jupp Heynckes oder Roger Schmidt tollen Fußball – jubeln

durften am Ende die anderen, im Zweifelsfa­ll immer die Bayern. Um nochmals Emerson zu zitieren: Leverkusen gewann nie etwas. Nie, nie, nie. Der letzte Titel – der DFBPokal-Sieg – datiert auf das Jahr 1993 zurück.

Und jetzt? Jetzt scheint tatsächlic­h etwas zu kippen. Wenn sich Bayer und die Bayern am Wochenende treffen (18.30 Uhr, Sky), ist Leverkusen der Tabellenfü­hrer und wartet nach 30 Pflichtspi­elen in dieser Saison immer noch auf die erste Niederlage. Nur wenn die Bayern das schaffen, überholen sie die Werkself in der Tabelle. Aus

München kommen bereits markige Sprüche. „Wir werden nach Leverkusen fahren mit dem Vorsatz, ihnen die erste Niederlage beizubring­en“, sagte etwa Trainer Thomas Tuchel. Und wenn es nach Manuel Neuer geht, kann das Topspiel nicht früh genug kommen: „Wir mögen ja solche Highlight-Spiele. Jetzt ist es mal anders als in der Vergangenh­eit, dass wir die Jäger sind.“Eben das soll geändert werden. „Jeder, der das Bayern-Trikot anhat, wartet gerade auf diese Spiele.“

Bei Bayer Leverkusen waren in der Vergangenh­eit durchaus Zweifel

angebracht, ob sich wirklich alle Spieler auf die großen Duelle freuten. Lange Zeit wirkte es, als ob man mit dem Zweitbeste­n auch zufrieden wäre. Das scheint nicht mehr der Fall zu sein. Stürmer Patrik Schick, immerhin auch schon in seiner vierten Saison bei Bayer, sagte dem Kölner Stadtanzei­ger kürzlich: „Die Mentalität des Klubs hat sich geändert. Jetzt kämpfen wir um Titel.“Und tatsächlic­h zeigt Leverkusen in jeder Hinsicht Merkmale einer Spitzenman­nschaft: Knappe Spiele wie unter der Woche das Pokal-Viertelfin­ale gegen Stuttgart gewinnt Bayer nun, gerne mit einem Tor in der Nachspielz­eit. Selbst das für den Erfolg nicht hinderlich­e Dusel scheint bei Leverkusen eingekehrt zu sein: Eigentlich hätte Robert Andrich nach seinem Foul per Platzverwe­is vom Feld gemusst – stattdesse­n schoss er den Ausgleich zum 1:1. Nun winkt nicht nur der Meistertit­el, sondern auch der Pokal.

Verantwort­lich für diesen Umschwung ist Trainer Xabi Alonso, in seiner Zeit als Mittelfeld­spieler bei Liverpool, Real und eben FC Bayern ein erklärter Verweigere­r von zweiten Plätzen. Alonso hat dem Team den Glauben gegeben. Ein kleines, aber vielsagend­es Detail: Am Spielfeldr­and der Leverkusen­er liegen rund 30 Bälle bereit. Hintergrun­d: Bei einem Einwurf soll so nicht erst gewartet werden müssen, bis ein Balljunge zur Stelle ist. Stattdesse­n soll es gleich weitergehe­n, ohne Unterlass. Alonso hat das nicht erfunden, aber begeistert aufgegriff­en: „Es hilft uns, ein hohes Tempo beizubehal­ten.“

Das soll auch gegen die Bayern so sein. Wenn Leverkusen gegen die Münchner gewinnt – es wäre ein großer Schritt dazu, das lästige Prädikat „Vizekusen“abzulegen, den sich die Bayer-AG als Mutterkonz­ern des Vereins 2010 als geschützte­s Markenzeic­hen hat eintragen lassen. Ist am Saisonende endlich Schluss mit Vizekusen? Emerson dürfte seinen Frieden mit den Titeln gemacht haben: Bei seinen späteren Vereinen Real Madrid und Juventus Turin hat er genug Trophäen in die Luft stemmen dürfen.

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Foto: Ulmer, Imago Ein Bild zum Heulen: Emerson nach dem verlorenen Saisonfina­le 2000 gegen Unterhachi­ng.

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