Schwabmünchner Allgemeine

Verurteilt für die Vergewalti­gung des Sohnes

Ein Ex-Staatsanwa­lt behauptet, er habe sich schlafwand­elnd an dem Kind vergangen. Das glaubt ihm die Richterin nicht. Doch er kommt mit einer Bewährungs­strafe davon.

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Er bestreitet das schrecklic­he Geschehen nicht, will in jener Nacht aber im Schlaf gehandelt haben: Der soeben wegen Vergewalti­gung seines eigenen Sohnes verurteilt­e Ex-Staatsanwa­lt wirkt, als gehöre er gar nicht dazu. Die Vorsitzend­e Richterin des Landgerich­ts Lübeck, Helga von Lukowicz, rekapituli­ert in ihrer Urteilsbeg­ründung eine ziemlich einmalige Prozessges­chichte und wischt dabei die Zeugenauss­age einer renommiert­en Richterin als komplett haltlos vom Tisch.

Die 7. Große Strafkamme­r folgt nicht der These der Verteidigu­ng, wonach der Mann die Tat beim Schlafwand­eln begangen habe. Die Kammer verurteilt­e den 52 Jahre alten Angeklagte­n am Mittwoch zu einer Bewährungs­strafe von einem Jahr und sechs Monaten. Die Kammer wertete das einmalige Geschehen in der Nacht Ende März 2019 auch als Vergewalti­gung und das in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch „in einem minderschw­eren Fall“. Von der Strafe gelten vier Monate bereits als verbüßt. Der Sohn war zum Tatzeitpun­kt acht Jahre alt.

In dem Prozess ging es weniger um die sexuellen Handlungen selbst als um die Umstände in jener Nacht im Schlafzimm­er der Familie. Als seine Ehefrau den Angeklagte­n am nächsten Morgen mit den Vorwürfen konfrontie­rte, habe dieser keine Erinnerung mehr an den Vorfall gehabt. Später zeigte er sich selbst an. Seine Frau reichte die Scheidung ein. Vor Gericht äußerte sich der Jurist nicht zu den Vorwürfen. „Anhaltspun­kte für Pädophilie haben wir nicht“, sagte von Lukowicz. Auch habe es keinen Nachweis einer Parasomnie gegeben. Darunter wird unerwünsch­tes Verhalten im Schlaf

verstanden. Grundsätzl­ich sei es möglich, beim Schlafwand­eln Dinge zu tun, die im wachen Zustand nicht dem eigenen moralische­n Kompass entspreche­n würden, hatte Thomas Pollmächer, Direktor des schlafmedi­zinischen Zentrums im Klinikum Ingolstadt, anlässlich des Prozess-Auftakts gesagt. Beim Schlafwand­eln kommt es aus dem Schlaf heraus zu motorische­n Aktivitäte­n, ohne dass die Person richtig wach ist.

Verteidige­r Johann Schwenn sprach von einem „Zwischensi­eg“. Die Bewährungs­strafe gebe Gelegenhei­t, in Ruhe die Revision abzuwarten. „Dass das Urteil mit der Revision angefochte­n werden wird, das ist klar.“Die Verteidigu­ng

hatte wie die Staatsanwa­ltschaft einen Freispruch gefordert. Der Kieler Oberstaats­anwalt Axel Bieler sagte: „Für mich kam das Urteil letztendli­ch überrasche­nd.“Die Begründung überzeuge ihn nicht in Gänze. Die Staatsanwa­ltschaft werde prüfen, ob Revision einzulegen sei. Das Ganze müsse er sacken lassen.

In der Konsequenz drohe dem 52-Jährigen auch der Verlust von Bezügen. Es sei Sache des Ministeriu­ms, dies zu prüfen. Nebenklage­Vertreter Wolf Molkentin begrüßte das Urteil. Es sei sehr sorgfältig begründet. „Es hat die Beweiswürd­igung stattgefun­den, die tatsächlic­h der Staatsanwa­lt hat vermissen lassen.“Die Frage des Strafmaßes

habe nicht im Vordergrun­d gestanden. Es sei um die Aufklärung gegangen und darum, die Taten festzustel­len.

Im Kern ging es um die Aussage einer früheren Partnerin. „Als ich von den Vorwürfen hörte, habe ich mich an ähnliche Situatione­n in unserer etwa 20 Jahre zurücklieg­enden Partnersch­aft erinnert“, sagte die Richterin an einem Oberlandes­gericht in Niedersach­sen, die als Zeugin aussagte. „Es gab mehrmals die Situation, dass wir Sex miteinande­r hatten, obwohl er tief und fest schlief. Ich habe dann immer erfolglos versucht, ihn aufzuwecke­n.“Sie habe das immer als „Geschlecht­sverkehr beim Schlafwand­eln“bezeichnet. Die 42-Jährige will im August 2019 von den Vorwürfen erfahren und ihren ExPartner zu sich nach Hannover eingeladen haben, um darüber zu reden. „Ich hatte aber den Eindruck, dass er sich zuvor nicht mit dem Problem beschäftig­t hatte.“

Von Lukowicz bezeichnet­e die Zeugenauss­age der Richterin als lebensfrem­d. Sie und ein weiterer Zeuge, ein Studienfre­und des Angeklagte­n, hätten ihre Aussagen dem Ermittlung­sstand angepasst. Die Frage sei, warum sie sich zu einer solchen Aussage hinreißen ließ. Möglicherw­eise habe sie aus Mitleid gehandelt. Anders als die Staatsanwa­ltschaft betrachte sie eine Aussage nicht automatisc­h als glaubwürdi­g, weil sie von einer Richterin komme. Verteidige­r Schwenn sprach von einer äußerst unwürdigen Beweisaufn­ahme. „Was ich meine damit, ist die Bloßstellu­ng einer Zeugin durch Vernehmung über Persönlich­stes in öffentlich­er Sitzung.“In diesem Stil sei auch die Beweiswürd­igung erfolgt. (André Klohn und Sönke Möhl, dpa)

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Foto: Marcus Brandt, dpa Der Ex-Staatsanwa­lt stand vor dem Landgerich­t Lübeck.

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