Glanz und Düsternis zur Eröffnung
Berlinale: Auf der Eröffnungsgala von Deutschlands wichtigstem Filmfest feiert sich die Branche selbst. Doch dann kommt der Eröffnungsfilm mit Superstar Cillian Murphy in der Hauptrolle.
Schlechte Zeiten sind die besten Zeiten für das Kino. Et voilà, in Berlin sind diese Zeiten zu bestaunen. Auf dem roten Teppich vor dem Berlinale-Palast am Potsdamer Platz geben Stars den Fans und Fotografen, was sie erwarten. Der ergraute Ulrich Matthes beherrscht das Spiel, folgt den Kommandos der Blitzlichter. Einen Moment später ist er abgemeldet. „Hannah, dreh dich noch mal“, rufen die Bildermacher Hannah Herzsprung zu, die tut, was ihr aufgetragen wird. Und Jürgen Vogel vertrödelt gefühlt eine halbe Stunde bei der Einlasszeremonie, ehe er die 50 Meter bis zum Eingang geschafft hat.
Ein paar Gläser Champagner später kommen die Großen. USSuperstar Matt Damon schreitet mit dem irischen Superstar Cillian Murphy („Oppenheimer“) heran. Die beiden werden von den bekannten deutschen Schauspielern ehrfürchtig angeschaut, wie sie sonst selbst angeschaut werden.
Sie haben zusammen den Eröffnungsfilm der Berlinale gemacht, Damon als einer der Produzenten, Murphy als Hauptdarsteller. Die Gäste sitzen schon samt und sonders im Kinosaal, als die zwei und ihre Mannschaft Einzug halten.
Doch bevor die Bilder über die Leinwand laufen, so will es das Ritual, kommen die Reden. Iris Berben erschrickt, als sie der Moderator zur Grande Dame des deutschen
Kinos erklärt. Die Moderatorin schäkert ironisch mit Matt Damon, der nur noch sagen kann, wie fantastisch Berlin ist. Dann aber Kulturstaatsministerin Claudia Roth, sie darf offiziell eröffnen. Im glitzernd-floralen Kleid spricht sie von der Kraft des Kinos, Geschichten zu erzählen. Am stärksten sind ihre Worte, wenn sie sich mit ihrer eigenen Geschichte verbinden. Dem Kampf für Anerkennung,
Verschiedenheit und gegen rechts. In den Tagen vor der Eröffnung hatte das Festival einen kleinen Skandal. Abgeordnete der AfD wurden von der Gala ausgeladen. „Gegen ihren Rassismus und ihren Hass setzen wir die Schönheit der Verschiedenheit, setzen wir Respekt und Mut, setzen wir Freude und Verständigung“, ruft Roth. Sie brandmarkt die aufflammende Judenfeindlichkeit, die der Krieg im Gazastreifen auch in Deutschland zeigt. Aber die Grünen-Politikerin zeigt auch Mitgefühl mit den Tausenden Toten, die die Palästinenser zu beklagen haben.
Die erste Geschichte dieser 74. Berlinale heißt „Small Things Like These“(etwa „Kleine Dinge wie diese“) und erzählt von einem Kohlenhändler aus der irischen Provinz. Tief katholisch und arm ist dieses Irland Mitte der 80er-Jahre. Cillian Murphy spielt diesen sensiblen, Kohlensäcke schleppenden Mann, der den moralischen Abgrund der mächtigsten Organisation des Landes erkennt – der katholischen Kirche. Er beliefert mit seiner Kohle auch ein Nonnenkloster, in dem sich die Dienerinnen des Herrn gefallener Mädchen annehmen, die ungewollt schwanger geworden sind. Der Kohlenmann ist selbst Kind eines solchen Mädchens.
Er entdeckt ein im Kohlenschuppen eingesperrtes Mädchen, erfährt den Psychoterror, dem die Frauen unter der diabolischen Oberin ausgesetzt sind. Schließlich rettet er eines der Mädchen und nimmt es mit zu seiner Familie nach Hause. Den Rat seiner Frau, sich nicht mit der Kirche anzulegen, übergeht er, weil er es mit seinem Gewissen nicht mehr aushält. Der Film arbeitet mit der klassischen Symbolik des Bösen. Die Raben als Totenvögel, die Kaminflammen als Höllenfeuer, die Hände, die der Kohlenmann abends schrubbt, aber sich die Schuld nicht mehr abwaschen kann.
Nach gut zwei Stunden spendet ein bewegtes Publikum Applaus, aber er ist gedämpft, nicht euphorisch. Die Geschichte aus Irland wirkt, die Herzen sind weich. Zurück zum glitzernden Glanz ist es nicht ganz so leicht. Champagner und Drinks helfen dabei.