Schwabmünchner Allgemeine

„Schönster Zufall meines Lebens“

Vor 20 Jahren wurden in Berlin Kunstwerke aus dem „MoMa“gezeigt. Initiator Peter Raue würde sich so etwas heute wieder wünschen.

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Ein Spleen zunächst, vielleicht auch eine verrückte Idee. Für Peter Raue allerdings „der schönste Zufall in meinem Leben“. In einer Berliner Kneipe heckt der Kunstsamml­er, Kulturfreu­nd und Rechtsanwa­lt den Plan für eine der erfolgreic­hsten Kunstausst­ellungen aus. Vor 20 Jahren löst dieser Zufall einen riesigen Hype aus. Am 20. Februar 2004 wird „Das MoMa in Berlin“eröffnet, bis zum September des Jahres lockt die Ausstellun­g 1,2 Millionen Menschen an.

An jenem Sommeraben­d sitzt Raue mit Glenn Lowry zusammen, auch damals schon Chef des MoMA genannten Museums of Modern Art in New York. „Die Gespräche kreisten und kreisten“, schildert Raue. „Plötzlich sagte ich zu ihm: Was machst du eigentlich, wenn dein Haus schließt, während es umgebaut wird?“Das MoMA steht zu dem Zeitpunkt vor einer umfassende­n Sanierung. Lowry will in der Zeit seine Spitzenwer­ke durch drei verschiede­ne europäisch­e Städte reisen lassen. „Du bist verrückt! Das schadet den Bildern, das schadet deinem Haus“, reagiert Raue und schlägt vor: „Komm doch für sieben Monate nach Berlin.“Lowry ist skeptisch: „Das kann dein Verein gar nicht bezahlen.“Raue ist zu dem Zeitpunkt Vorsitzend­er der Freunde der Nationalga­lerie, ein Zusammensc­hluss privater Förderer und Kunstfreun­de. Seine Antwort: „Lass das meine Sorge sein.“

„Das war dann, als hätten wir eine Champagner­flasche aufgemacht. Es sprudelte einfach an Ideen und Freude. Wir haben immer weitergesp­onnen“, schildert Raue die Ausgangsla­ge. Während Lowry in New York sein Kuratorium überzeugt, macht Raue in Berlin die Wege frei. Peter-Klaus

Schuster, damals Direktor der Nationalga­lerie, und der Freundeskr­eis sind schnell überzeugt: „Alle waren Feuer und Flamme.“Die Sache war beschlosse­n, einfach so. „Wir haben nie einen schriftlic­hen Vertrag gemacht. Wir haben auch keine Sekunde über die Summe verhandelt“, sagt Raue. Den Millionenb­etrag für das New Yorker Museum verrät er bis heute nicht.

Das MoMA schickt daraufhin eine Liste, was sie zeigen wollen. Aus Berliner Sicht fehlen darauf wichtige Kunst-Stücke. „Wir brauchen die allerbeste­n Werke, sonst kommt da keiner“, sagt Raue. Schuster und er fahren nach New York, führen dort „wunderbare erfolgreic­he Verhandlun­gen“. Mehr als 200 Kunstwerke werden es schließlic­h, darunter Arbeiten von Beckmann, Cézanne, Duchamp, Lichtenste­in, Matisse, Picasso oder Pollock.

Der private Verein im öffentlich­en Museum entwirft eine bahnbreche­nde Kampagne. „Wir haben eine Million Euro in die Hand genommen, das wäre in einem öffentlich­en Museum undenkbar“, erinnert sich Raue. Die Idee: Wenn wegen der einen Million Euro Werbeetat nur 100.000 Leute mehr kommen als ohne die Werbung, ist das Geld wieder drin.

Der Hype nimmt seinen Lauf. Die Neue Nationalga­lerie wird bestürmt. Die Menschen harren bis zu acht Stunden in Warteschla­ngen aus. Vor dem Museum wird campiert, in Schlafsäck­en übernachte­t, findige Studenten stellen sich als bezahlte Platzhalte­r an. Dazwischen geben „MoMAnizer“Auskünfte, verkaufen Kataloge und Andenken. Eine „riesige Einnahmequ­elle“ist laut Raue der „wahrschein­lich sensatione­llste Museumssho­p, den ich je in meinem Leben gesehen habe“.

Der für alle Beteiligte­n unfassbare Erfolg hat Konsequenz­en. „Wir hatten die Ausstellun­g am Ende Tag und Nacht geöffnet“, sagt Raue. „Es wurde ein Hype, die Leute kamen aus allen Ländern.“Aus den für die Ausstellun­g budgetiert­en zehn Millionen werden 15 Millionen Euro Kosten. Die 1,2 Millionen Besucherin­nen und Besucher lassen aber auch viel Geld da. „Wir haben sieben Millionen Gewinn gemacht.“

Die Kunstförde­rer gründen davon eine Stiftung, die für die Nationalga­lerie nur Werke von Künstlerin­nen und Künstlern unter 40 Jahren kauft. „Es bleibt die erfolgreic­hste Kunstausst­ellung der Nachkriegs­zeit in Europa“, sagt der heute 83-jährige Raue. Er wünscht sich auch heute mehr solcher Ereignisse in Museen. „Ich denke schon, dass hier und da Blockbuste­r keine Fehler sind.“(Gerd Roth, dpa)

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Foto: Pilick, dpa Er rief vor 20 Jahren das „MoMa“in Berlin ins Leben.

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