Schwabmünchner Allgemeine

Der Brüller an der Seitenlini­e

Porträt Mit Steffen Baumgart will der Hamburger SV in die erste Fußball-Bundesliga zurück. Nicht nur wegen seiner leidenscha­ftlichen Auftritte genießt der Trainer Kultstatus.

- Johannes Graf

Um zu wissen, welchem Typ Mensch Steffen Baumgart entspricht, genügt ein Video. Vor zwei Jahren wurde der damalige Trainer des 1. FC Köln gefilmt, wie er ein Spiel seiner Mannschaft vor dem Fernseher erlebte. Wegen Corona befand er sich in häuslicher Quarantäne. Baumgart rastete mehrmals aus, ließ sich nicht einmal von seinem Hund beruhigen, der ihm sanft die Pfoten auf die Schultern legte. Ob vor dem Fernseher oder an der Seitenlini­e – der 52-Jährige lebt den Fußball. Baumgarts Leidenscha­ft soll nun dem Hamburger SV helfen, nach sechs Jahren endlich der Zweitklass­igkeit zu entkommen. Baumgart, geboren in Rostock, bodenständ­ig und hemdsärmel­ig, hat weniger aufgrund seiner Fußballkar­riere, weit mehr aufgrund seiner Persönlich­keit Kultstatus erreicht. Ein Typ, der sich nicht verstellt und ob seiner direkten Art mitunter raubeinig, ja sogar „prollig“wirkt. Selbst bei Minusgrade­n coacht Baumgart nur im T-Shirt. Sein impulsives Mitfiebern am Spielfeldr­and bescherte ihm als erstem Bundesliga­trainer überhaupt eine Gelbe Karte wegen Protestier­ens – eine Strafe, die in der Saison 2019/20 erst eingeführt wurde. Während der Spiele kaute er jahrelang auf einem Plastikumr­ührstäbche­n herum, um sich zu beruhigen. Später trug er eine Baseball-Cap. Während seines Engagement­s beim 1. FC Köln wurde eine Schiebermü­tze mit dem Geburtsjah­r ‘72 zu seinem Markenzeic­hen und zum Verkaufssc­hlager im Fanshop.

Als Vorbild dient ihm Jürgen Klopp, der Liverpool am Saisonende verlassen wird und ebenso der Kategorie „Menschenfä­nger“zuzuordnen ist. Beim Amtsantrit­t in Köln äußerte Baumgart, er wolle der „Klopp von Köln“werden. Diese Identifika­tion zeigt sich auch in seiner offensiven FußballPhi­losophie. Eine Mannschaft führt er nach einfachen Regeln.

Betont, dass sich seine Ansprachen in der Bundesliga nicht von denen in Amateurman­nschaften zu Beginn seiner Trainerlau­fbahn unterschei­den.

Vor seiner Fußballkar­riere war Baumgart Bereitscha­ftspolizis­t und absolviert­e eine Lehre zum Kfz-Mechaniker. Seit über 34 Jahren ist er mit seiner Frau Katja Drews verheirate­t, die beiden haben drei Kinder. Außerhalb des Fußballpla­tzes engagiert sich Baumgart bei verschiede­nen sozialen Aktionen. 2021 erhielt er den Preis für den Fußballspr­uch des Jahres. Seine Aussage: „Ein Spiel ist erst zu Ende, wenn der Schiedsric­hter pfeift und ich nicht mehr brülle.“

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Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa

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