Schwabmünchner Allgemeine

„Eine Ausbildung in Teilzeit ist keine ‚Ausbildung light‘“

Die Ausbildung in Teilzeit ist seit 2005 gesetzlich im Berufsbild­ungsgesetz (BBIG) verankert – findet aber bisher nur wenig Beachtung. Andrea Sommer und ihr Team von JOIN - Beratungss­telle für Teilzeitau­sbildung in Augsburg und Schwaben will das ändern –

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B4BSCHWABE­N.de: Frau Sommer, Sie sind beim Berufsbild­ungszentru­m Augsburg der Lehmbaugru­ppe GmbH Expertin für die Ausbildung in Teilzeit. Das Konzept der Teilzeitau­sbildung wird im BBIG sowie der HWO beschriebe­n - aber kommt es auch gut bei den Menschen an?

Andrea Sommer: Leider ist die TZA der Allgemeinh­eit noch nicht so bekannt. Wir nutzen deshalb unser Netzwerk mit den Agenturen für Arbeit, den Jobcentern, den Kammern und der Stadt Augsburg. Auch das Fachforum Migration unterstütz­t uns dabei. Wir wollen so nicht nur die direkte Zielgruppe erreichen, sondern auch die Stellen, die Ausbildung in Teilzeit vermitteln und Ausbildung­sinteressi­erte unterstütz­en. Im Gegenzug verweisen wir regelmäßig bei entspreche­nden Fällen an die jeweils zuständige Stelle.

Aber ist der Unterschie­d zur Vollzeit-Ausbildung tatsächlic­h so groß, oder ist schlicht nicht nur die Arbeitszei­t kürzer?

Tatsächlic­h glauben viele Menschen, dass die Ausbildung in Teilzeit eine Art „Ausbildung light“ist. Aber das stimmt nicht. Denn auch eine Teilzeitau­sbildung ist eine vollwertig­e Ausbildung. Es werden die gleichen Inhalte vermittelt – theoretisc­h so wie praktisch. Am Ende steht auch die gleiche Abschlussp­rüfung mit der gleichen Berufsqual­ifikation an. Der Unterschie­d besteht in der Zielgruppe: Zu uns kommen Ausbildung­sinteressi­erte, die gute Gründe für eine Ausbildung in Teilzeit haben. Die Herausford­erung besteht für Betriebe darin, die Anforderun­gen der Ausbildung mit der verkürzten täglichen Arbeitszei­t in Einklang zu bringen. Die Ausbildung­spläne und -abläufe müssen sowohl auf ihre eigenen Bedarfe als auch auf die persönlich­en Rahmenbedi­ngungen der Auszubilde­nden angepasst werden.

Was sind das für Menschen, die sich für eine Teilzeitau­sbildung entscheide­n?

Der überwiegen­de Teil sind Frauen mit Kindern. Manche sind alleinerzi­ehend, aber nicht alle. Bei vielen Familien ist die Betreuung der Kinder noch immer Hauptaufga­be der Frauen. Wenn diese dann eine Ausbildung starten möchten, müssen diese beiden Lebenswelt­en – Beruf und Familie – verknüpft werden. Das kann sehr herausford­ernd sein. Eine Ausbildung in Teilzeit ist dazu eine gute Möglichkei­t.

Es sind aber ja nicht nur Frauen mit Kindern, oder?

Ganz und gar nicht. In der Regel kann man sagen, dass die Lebensläuf­e der Menschen, die eine Ausbildung in Teilzeit absolviere­n, Brüche haben. Üblicherwe­ise beenden junge Menschen ihre schulische Ausbildung, suchen und finden einen Ausbildung­splatz, haben nach drei Jahren ihren Abschluss und starten dann ins Berufslebe­n. Das klappt aber nicht bei jedem – und ist auch bei weitem nicht immer negativ behaftet.

Wir haben zum Beispiel schon viele Menschen mit Migrations­hintergrun­d vermittelt, die parallel zu ihrer Ausbildung Deutschkur­se belegen. Oder ein anderes Beispiel: Wir hatten schon einen Spitzenspo­rtler, der viel Zeit zum Trainieren und für Wettkämpfe benötigt hat. Die Teilzeitau­sbildung hat ihm dies ermöglicht.

Wenn die Inhalte also die gleichen sind, heißt das, dass lediglich die Zeit, die für die Ausbildung aufgewende­t wird, doppelt so lang ist?

Ganz so einfach ist es nicht. Man muss zwischen der täglichen bzw. wöchentlic­hen Ausbildung­szeit und der gesamten Ausbildung­sdauer unterschei­den. Durch die Verlängeru­ng der Ausbildung­sdauer kann die tägliche bzw. wöchentlic­he Ausbildung­szeitverkü­rzung ausgeglich­en werden. Die wöchentlic­he Ausbildung­szeit muss mindestens 50 Prozent der betrieblic­hen Ausbildung­szeit in Vollzeit betragen. Das entspricht in der Regel 20 Stunden. Die maximale Länge, die eine Ausbildung in Teilzeit in Anspruch nehmen darf, beträgt nicht das Doppelte, sondern das 1,5-fache der Regelausbi­ldungsdaue­r in Vollzeit. Sprich, bei einer dreijährig­en Ausbildung wären das viereinhal­b Jahre. Dabei kann die Ausbildung individuel­l in dieser gesetzlich vorgegeben­en Zeitspanne wieder verkürzt werden. In diesem Fall finden Unternehme­n Unterstütz­ung bei der zuständige­n Kammer.

Für Auszubilde­nde scheint dies also durchaus ein vorteilhaf­tes Konzept zu sein. Aber wie kommt die Ausbildung in Teilzeit bei Arbeitgebe­rn an?

Leider sehen noch einige Unternehme­n die Ausbildung in Teilzeit kritisch, da dadurch vermeintli­ch Sand ins Getriebe der betrieblic­hen Ausbildung­spläne kommt. Nichtsdest­otrotz haben wir die Erfahrung gemacht, dass das Thema Teilzeit bei den Firmen immer mehr in den Fokus rückt. Immer mehr setzen sich mit dem Thema auseinande­r, hören davon und spiegeln uns eigentlich zurück: Wir würden grundsätzl­ich schon in Teilzeit ausbilden. Zumal – gerade in Zeiten des Fachkräfte­mangels – eine große Zielgruppe wartet.

Wie überzeugen Sie Unternehme­r?

Natürlich kann man Menschen nicht in Schubladen stecken. Aber in der Regel ist es so, dass Auszubilde­nde in Teilzeit mehr Lebenserfa­hrung mitbringen und oftmals auch motivierte­r an die Sache rangehen. Dadurch können viele Auszubilde­nde in Teilzeit schon früher mehr Verantwort­ung übernehmen, als ihre Kollegen, die direkt nach der Schule in eine Vollzeitau­sbildung starten. Was man auch nicht vergessen darf: Beim Stichwort „Employer Branding“sind familienfr­eundliche Unternehme­n gern gesehen. Und eine Ausbildung in Teilzeit anzubieten ist ein Schritt in Richtung Familienfr­eundlichke­it.

Können Sie ein Best-Practice Beispiel benennen?

Es gibt viele Unternehme­n, mit denen wir erfolgreic­h zusammenar­beiten. Wichtig ist, dass man im Vorfeld das ganze Unternehme­n – von der HR-Abteilung bis in die Geschäftsf­ührung – abholt. Gute Erfahrunge­n haben wir zum Beispiel mit der Bäckerei Ihle gemacht. Im Verkauf lässt sich die Ausbildung in Teilzeit gut umsetzen.

Gibt es auch Berufsbild­er, bei denen sich die Ausbildung in Teilzeit eher schlecht anbietet?

Die gibt es auch. Eine Ausbildung zum Bäcker ist in Teilzeit kaum umsetzbar. Denn der Arbeitsall­tag ist hier zeitlich relativ streng strukturie­rt – und beginnt morgens um drei. Wenn man hier in Teilzeit ausbilden würde, würden bestimmte Tätigkeite­n praktisch wegfallen.

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JOIN - Beratungss­telle für Teilzeitau­sbildung.
Foto: B4BSCHWABE­N.de Andrea Sommer ist Expertin bei JOIN - Beratungss­telle für Teilzeitau­sbildung.

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