Vor 70 Jahren: große Freude über die Korea-Heimkehrer in St. Ottilien
Im Januar 1954 kehrten 42 in Nordkorea vermisste Mitbrüder und -schwestern nach St. Ottilien und in andere Klöster zurück. Die Freude über ihre Rückkehr mischte sich aber mit Trauer über diejenigen, die die Haft nicht überlebten oder hingerichtet wurden.
Sternstunden sind selten. Vor 70 Jahren erlebte die Erzabtei St. Ottilien eine solche, als die Ungewissheit über die Korea-Missionare und Missionsschwestern, die in den Wirren des Korea-Krieges als vermisst galten, ein glückliches Ende nahm. Doch mischte sich unter die Freude über die Heimkehr auch Trauer.
Völlig unverhofft erreichte St. Ottilien am Freitag, 22. Januar 1954, telefonisch die Nachricht, dass 42 Missionsbenediktiner und Missionsschwestern in das Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen eintreffen würden. Diese Nachricht elektrisierte ganz St. Ottilien, galten doch seit über vier Jahren 67 Mitbrüder und Schwestern, die vor dem Zweiten Weltkrieg im nordkoreanischen Gebiet der Abtei Tokwon gewirkt hatten, als vermisst. Schon nach wenigen Stunden meldete der Rundfunk diese Top-Nachricht und viele Zeitungsredaktionen erhielten telegrafisch die Namen der Heimkehrenden. Unverzüglich reiste Erzabt Chrysostomus Schmid noch am Abend des 22. Januars nach Friedland. Auf der Fahrt schloss sich ihm ab Würzburg Abt Burkhard Utz von Münsterschwarzach an, während Priorin Sr. Amadea Bessler von Tutzing aus anreiste.
In den frühen Morgenstunden des 23. Januars trafen die Oberen in Friedland ein. Beide Äbte und die Oberin glaubten zunächst, dass die 42 anwesenden Ordensleute die erste Gruppe der Heimkehrer seien. Doch mussten sie bitter erfahren: „Wir haben 17 aus unserer Gemeinschaft begraben, und von acht wissen wir überhaupt nichts.“Dieser Satz löste große Betroffenheit aus.
Im Mai 1949 waren 67 Missionare und Missionarinnen von den Kommunisten verhaftet und in ein Lager nach Pjöngjang, der heutigen Hauptstadt Nordkoreas, verschleppt worden. Unter qualvollen Bedingungen waren sie bis Anfang Juli dort untergebracht. Acht Missionare wurden in dieser Zeit zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt und in ein Gefängnis in Pjöngjang gebracht, wo sie den Lagerstrapazen erlagen oder hingerichtet wurden. Anfang Juli verlegte man überraschend 22 Brüder
Die Missionare reisten mit dem Zug in die Heimat.
ins nördlich gelegene Oksadok nahe der Stadt Kange. Oksadok war ein Bauerndorf in einem abgeschlossenen Hochtal, aus dem man alle Familien zwangsweise ausquartiert hatte. Die Brüder sollten nun die leer stehenden Häuser und Schuppen so weit ertüchtigen, dass alle gefangenen Ordensleute dort wohnen konnten und quasi im Arbeitsdienst sich selbst versorgten. Am 5. August folgten die übrigen Missionare und Schwestern nach, sodass insgesamt 59 diese Lager-Farm bewohnten. Für ihren Lebensunterhalt betrieben sie Feldbau.
Rückblickend bezeichneten die Heimkehrer es als „Lichtblick“, dass sie all diese Jahre hindurch die Eucharistie heimlich feiern konnten. Sakristan Br. Wenzeslaus hatte bei der Verhaftung im Mai 1949 geistesgegenwärtig einen kleinen Messkoffer, etwas Hostienmehl und einige Flaschen
Wein mitgenommen. Der Kelch und weitere Gegenstände dieses Messkoffers sind im Missionsmuseum von St. Ottilien ausgestellt.
Nachdem es im Juli 1953 zwischen den Kriegsparteien zu einem Waffenstillstandsabkommen gekommen war, zeichnete sich für die Lagerbewohner in Oksadok eine Wende ab: Im November 1953 wurden alle Gefangenen in ein anderes Lager bei Pjöngjang gebracht, um sie für die Heimreise vorzubereiten. Von Antung aus schickte man sie am 8. Januar 1954 auf die 15-tägige Heimreise, zunächst mit dem chinesischen Zug nach Maschuli, dann mit der sibirischen Eisenbahn über Moskau an die polnische Grenze und von da nach Frankfurt an der Oder. Ein Autobus brachte die Heimkehrer am 22. Januar spätabends in das Durchgangslager Eisenach.
Nach kurzer Übernachtung passierten sie am 23. Januar 1954 die Grenze nach Westdeutschland und erreichten das Grenzdurchgangslager Friedland. Nach einer Messe mit Erzabt Chrysostomus führte die Heimreise mit dem Zug nach Würzburg, wo man die Mitbrüder von Münsterschwarzach verabschiedete, bis nach München. Dort wurden sie am Morgen des 24. Januars unter großer Pressepräsenz am Hauptbahnhof offiziell begrüßt. Nach dem Empfang bei Joseph Kardinal Wendel fuhren die Schwestern nach Tutzing, während ein Bus die übrigen nach St. Ottilien brachte. Dort bereitete die Klostergemeinschaft einen großen Empfang vor.
Gegen halb zwölf Uhr durch das Glockengeläut gerufen strömten am 24. Janu
ar Mönche, Schüler des Gymnasiums und viele Menschen aus der Umgebung auf den Kirchplatz. Als der Bus einfuhr, schwiegen die Glocken und die Blaskapelle schmetterte den Heimkehrern musikalische Heimatgrüße entgegen. Geleitet von Erzabt Chrysostomus zogen alle unter feierlichem Orgelspiel in die Klosterkirche ein, wo Prior Suso Brechter die Heimkehrer begrüßte. Es folgte das Lied „Großer Gott wir loben Dich“und ein Dankesgebet. In tiefer Trauer gedachte der Prior der durch Lagerstrapazen verstorbenen und ermordeten Mitbrüder und Schwestern. Landrat Otto Gerbl sowie der Eresinger
Bürgermeister Pius Schwicker sprachen ebenfalls Grußworte.
Nach diesen tief greifenden Momenten, die bei vielen Tränen der Rührung in die Augen trieben, resümierte Prokurator P. Hugo Reinhardt in seinem Rundbrief: „Ein denkwürdiger Tag in der Geschichte unserer Kongregation.“Der umfangreiche Bericht in den Missionsblättern von 1954 versäumt es nicht, in diesem Zusammenhang auch den Neuanfang in Südkorea darzustellen. Denn schon im Winter 1950/51 war es den einheimischen koreanischen Mitbrüdern der Abtei Tokwon gelungen, nach Südkorea zu fliehen. In Waegwan nahe der Stadt Taegu konnten sie ein neues Kloster
gründen, das sich 1962 zu einer Abtei ausbildete. Im Jahr 2007 entschloss sich die Abtei Waegwan als Nachfolgerin der zerstörten Abtei Tokwon, einen Seligsprechungsprozess für 38 Priester, Mönche und Schwestern in die Wege zu leiten, die zwischen 1949 und 1952 in Korea ihren Glauben mit dem Leben bezeugten. Dieses Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Die heimgekehrten Missionsbenediktiner aus St. Ottilien waren Pater Callistus Hiemer, P. Alexius Brandl, P. Willibald Kugelmann, P. Eligius Kohler, P. Fabian Damm, P. Ernst Siebertz, Br. Januarius Schrötter, Br. Joachim Baur, Br. Ägidius Eichhorn und Br. Engelhard Leinmüller. Dazu kamen acht Mönche aus Münsterschwarzach und je drei aus Beuron und Schweiklberg. Daneben kamen 1954 auch 18 Missionsbenediktinerinnen aus Tutzing zurück.
Im Kloster St. Ottilien leben vier Mönche, die sich noch an die Rückkehr der Korea-Missionare erinnern können. Pater Rudolf Stenglein ist einer von diesen. Er erzählt: „Als Schüler des Gymnasiums St. Ottilien konnte ich an der bewegenden Feier auf dem Kirchplatz teilnehmen. Für mich war es ein tief greifendes Erlebnis. Bisher erlebte ich meine Lehrer und Erzieher als gestandene Männer. Als ich sah, wie sie weinten und vor Freude innig die heimkehrenden Missionare umarmten, hat mich das tief beeindruckt.“Pater Martin Trieb ergänzt: „Für mich war dieses Erlebnis ein Highlight in meinem Leben. Ein unvergessliches Erlebnis, das tief unter die Haut ging.“
Der Prozess zur Seligsprechung läuft noch immer.