„47 Quadratmeter sollen sich anfühlen wie 74“
Das Thema Wohnen betrifft alle Menschen im Landkreis Augsburg, denn jeder braucht ein Dach über dem Kopf. Experten schätzen ein, wie in zehn Jahren gewohnt wird.
Wohnen betrifft alle. Aber längst nicht alle wohnen so, wie sie es sich wünschen. Die Wünsche sehen oft so aus: 100 bis 150 Quadratmeter, gute Lage, Balkon oder Garten, Arbeitsplatznähe, gute Infrastruktur. Das berichtete der Wohnungsfinanzierer Interhyp im vergangenen Jahr. Doch Wohnraum ist knapp im Landkreis Augsburg. Und das, obwohl der Bestand an Wohnungen langfristig steigt. Aber der Bedarf wächst schneller, zumindest laut dem Modell des Instituts der deutschen Wirtschaft. Immer mehr neue Einwohnerinnen und Einwohner kommen ins Augsburger Land. Was muss passieren, damit es in zehn Jahren genügend Wohnraum gibt, in dem Menschen glücklich, oder zumindest zufrieden leben?
Eine Möglichkeit für das Wohnen der Zukunft zeigen die Pläne, die Manuel Niederhofer und seine Tante Ute Schumacher in ihrem Hotel Gersthofer Auszeit vor sich ausgebreitet haben. Das Projekt mit dem Namen „Servus Maria“soll „ein gesundes Dorf in einem Haus“werden. Entstehen soll es auf dem Grundstück des Hotels und früheren „Café Steiner“, das viele Jahre die erste Adresse in
Gersthofen für Feste und Familienfeiern war. Bis die Bagger anrollen, dauert es noch, aber schon jetzt ist „Servus Maria“Preisträger des „Impact Awards“des „Institut für Corporate Governance“als deutsches Leuchtturmprojekt.
Man könnte es als Mehrgenerationenhaus bezeichnen, aber es soll viel mehr werden als das. Schumacher sagt: „Jeder, der sich auf Servus Maria einlässt, ist herzlich willkommen.“Senioren und junge Menschen, Familien und Singles, Menschen mit und ohne Behinderung sollen hier zusammenleben. Und zwar nicht nebeneinander her, sondern in einer Gemeinschaft. Der Name geht auf Niederhofers Urgroßmutter Maria Steiner zurück, die bereits vor 100 Jahren Menschen aus zahlreichen verschiedenen Ländern in Gersthofen beherbergte.
„Es ist wichtig, das Ganze als Organismus zu sehen“, sagt Niederhofer. Der Individualraum werde stark reduziert. Konkret heißt das etwa: Die Wohnfläche reicht vom 20 Quadratmeter StudentenAppartement bis zum 120 Quadratmeter Reihenhaus. Dafür soll es rund 700 Quadratmeter öffentliche Fläche geben: eine Bibliothek, Dachterrassen mit Gärten, Arbeitsräume, gemeinschaftlich genutzte Gästezimmer. „Wir wollen, dass sich 47 Quadratmeter anfühlen wie 74“, sagt Niederhofer. Was es nicht geben werde: Riesige Penthäuser, deren Bewohner sich vor der Nachbarschaft abschotten.
Kindergarten und betreutes Wohnen sind Teil des Plans. „Es ist kein Pflegeheim“, betont Schumacher. „Wir wollen ein selbstbestimmtes Leben bis ins hohe Alter ermöglichen.“Sie habe selbst eine Tante mit Demenz. „Wenn bei älteren Leuten ein Partner geht, und einer zurückbleibt, ist der oft hoffnungslos überlastet.“Die Gemeinschaft in „Servus Maria“soll dazu beitragen, dass alte Menschen stressfreier leben und länger fit bleiben.
Gegen den maximalen Profit habe die Familie sich bewusst entschieden, erklärt Niederhofer: „Wenn wir den gesellschaftlichen und den Klimawandel schaffen wollen, dann müssen wir das Tempo rausnehmen aus einer Welt, die extrem renditegetrieben ist.“Die Familie verzichte bei dem Projekt weitestgehend auf Zwischenhändler wie Investoren, Verwalter, Planer, Bauleiter. „Hier werden fünf Gewerke sein“, so Niederhofer über die geplanten Bauarbeiten. Die Mieten sollen bezahlbar sein. „Wir spielen nicht nach den Regeln des Marktes.“Die Familie hofft, dass der Bau im Frühjahr 2025 beginnen kann. Sie wartet auf das Baurecht.
Auch Architektin Annette Degle aus Königsbrunn sagt: „Wir sollten in Zukunft neue Wohnformen entwickeln.“Vorbilder könnten Senioren-WGs und genossenschaftliches Wohneigentum sein. „Durch die Bevölkerungsentwicklung wird der Trend weiter zu kleinen Wohnungen gehen.“Dabei sei die Quadratmeterzahl
pro Person in der Vergangenheit gestiegen. Der Grund: Es gibt immer mehr SingleHaushalte. Dieser Trend sei sozial nicht ideal, sagt Degle. Flexibles Wohnen und mehr gemeinschaftlich genutzte Räume seien wünschenswert.
Wird es in zehn Jahren genügend Wohnraum für alle Einwohner des Augsburger Landes geben? Das hängt laut Degle von drei Faktoren ab: Bürokratie, Höhe der Baukosten, Höhe der Zinsen.
Viele Menschen sind mit ihrer Wohnsituation nicht zufrieden. Bei manchen geht die Sorge weiter: Sie haben kein Dach über dem Kopf. Im vergangenen Jahr gab es etwa in Königsbrunn laut Pressesprecherin Anke Maresch sieben obdachlose Bürger. Aktuell seien es drei. Voraussichtlich steige die Zahl aber in den kommenden Wochen um etwa zehn Personen, weil zwei Familien mit Kindern die Obdachlosigkeit drohe.
Menschen in solchen Situationen oder mit Problemen bei der Wohnungssuche können sich im Landkreis Augsburg an die ambulante Wohnungsnotfallhilfe wenden. Die Zusammenarbeit mit einigen Kommunen sei sehr gut, sagt Beraterin Elisabeth Olden. Die Arbeit ist aber nicht immer einfach. Berater Julian Großer sagt: „Wir stellen fest, dass es schwierig ist, im Akutfall eine passende neue Wohnung zu finden.“Es gehe nicht nur um verfügbaren Wohnraum, sondern vor allem um bezahlbaren. „Es ist schwierig, soziale Vermieter zu finden.“Neben Familien, deren Mitglieder zusammen in einer viel zu kleinen Wohnung leben, gebe es auch Klienten, die sich ihre zu große Wohnung nicht mehr leisten können. Wie lässt sich Wohnungslosigkeit und drohender Wohnungslosigkeit im Landkreis Augsburg begegnen? „Der Bau von mehr Sozialwohnungen wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, sagt Großer. (mit lig, zds/cf)
Flexibles Wohnen statt immer mehr Single-Haushalten