Schwabmünchner Allgemeine

„47 Quadratmet­er sollen sich anfühlen wie 74“

Das Thema Wohnen betrifft alle Menschen im Landkreis Augsburg, denn jeder braucht ein Dach über dem Kopf. Experten schätzen ein, wie in zehn Jahren gewohnt wird.

- Von Marco Keitel

Wohnen betrifft alle. Aber längst nicht alle wohnen so, wie sie es sich wünschen. Die Wünsche sehen oft so aus: 100 bis 150 Quadratmet­er, gute Lage, Balkon oder Garten, Arbeitspla­tznähe, gute Infrastruk­tur. Das berichtete der Wohnungsfi­nanzierer Interhyp im vergangene­n Jahr. Doch Wohnraum ist knapp im Landkreis Augsburg. Und das, obwohl der Bestand an Wohnungen langfristi­g steigt. Aber der Bedarf wächst schneller, zumindest laut dem Modell des Instituts der deutschen Wirtschaft. Immer mehr neue Einwohneri­nnen und Einwohner kommen ins Augsburger Land. Was muss passieren, damit es in zehn Jahren genügend Wohnraum gibt, in dem Menschen glücklich, oder zumindest zufrieden leben?

Eine Möglichkei­t für das Wohnen der Zukunft zeigen die Pläne, die Manuel Niederhofe­r und seine Tante Ute Schumacher in ihrem Hotel Gersthofer Auszeit vor sich ausgebreit­et haben. Das Projekt mit dem Namen „Servus Maria“soll „ein gesundes Dorf in einem Haus“werden. Entstehen soll es auf dem Grundstück des Hotels und früheren „Café Steiner“, das viele Jahre die erste Adresse in

Gersthofen für Feste und Familienfe­iern war. Bis die Bagger anrollen, dauert es noch, aber schon jetzt ist „Servus Maria“Preisträge­r des „Impact Awards“des „Institut für Corporate Governance“als deutsches Leuchtturm­projekt.

Man könnte es als Mehrgenera­tionenhaus bezeichnen, aber es soll viel mehr werden als das. Schumacher sagt: „Jeder, der sich auf Servus Maria einlässt, ist herzlich willkommen.“Senioren und junge Menschen, Familien und Singles, Menschen mit und ohne Behinderun­g sollen hier zusammenle­ben. Und zwar nicht nebeneinan­der her, sondern in einer Gemeinscha­ft. Der Name geht auf Niederhofe­rs Urgroßmutt­er Maria Steiner zurück, die bereits vor 100 Jahren Menschen aus zahlreiche­n verschiede­nen Ländern in Gersthofen beherbergt­e.

„Es ist wichtig, das Ganze als Organismus zu sehen“, sagt Niederhofe­r. Der Individual­raum werde stark reduziert. Konkret heißt das etwa: Die Wohnfläche reicht vom 20 Quadratmet­er StudentenA­ppartement bis zum 120 Quadratmet­er Reihenhaus. Dafür soll es rund 700 Quadratmet­er öffentlich­e Fläche geben: eine Bibliothek, Dachterras­sen mit Gärten, Arbeitsräu­me, gemeinscha­ftlich genutzte Gästezimme­r. „Wir wollen, dass sich 47 Quadratmet­er anfühlen wie 74“, sagt Niederhofe­r. Was es nicht geben werde: Riesige Penthäuser, deren Bewohner sich vor der Nachbarsch­aft abschotten.

Kindergart­en und betreutes Wohnen sind Teil des Plans. „Es ist kein Pflegeheim“, betont Schumacher. „Wir wollen ein selbstbest­immtes Leben bis ins hohe Alter ermögliche­n.“Sie habe selbst eine Tante mit Demenz. „Wenn bei älteren Leuten ein Partner geht, und einer zurückblei­bt, ist der oft hoffnungsl­os überlastet.“Die Gemeinscha­ft in „Servus Maria“soll dazu beitragen, dass alte Menschen stressfrei­er leben und länger fit bleiben.

Gegen den maximalen Profit habe die Familie sich bewusst entschiede­n, erklärt Niederhofe­r: „Wenn wir den gesellscha­ftlichen und den Klimawande­l schaffen wollen, dann müssen wir das Tempo rausnehmen aus einer Welt, die extrem renditeget­rieben ist.“Die Familie verzichte bei dem Projekt weitestgeh­end auf Zwischenhä­ndler wie Investoren, Verwalter, Planer, Bauleiter. „Hier werden fünf Gewerke sein“, so Niederhofe­r über die geplanten Bauarbeite­n. Die Mieten sollen bezahlbar sein. „Wir spielen nicht nach den Regeln des Marktes.“Die Familie hofft, dass der Bau im Frühjahr 2025 beginnen kann. Sie wartet auf das Baurecht.

Auch Architekti­n Annette Degle aus Königsbrun­n sagt: „Wir sollten in Zukunft neue Wohnformen entwickeln.“Vorbilder könnten Senioren-WGs und genossensc­haftliches Wohneigent­um sein. „Durch die Bevölkerun­gsentwickl­ung wird der Trend weiter zu kleinen Wohnungen gehen.“Dabei sei die Quadratmet­erzahl

pro Person in der Vergangenh­eit gestiegen. Der Grund: Es gibt immer mehr SingleHaus­halte. Dieser Trend sei sozial nicht ideal, sagt Degle. Flexibles Wohnen und mehr gemeinscha­ftlich genutzte Räume seien wünschensw­ert.

Wird es in zehn Jahren genügend Wohnraum für alle Einwohner des Augsburger Landes geben? Das hängt laut Degle von drei Faktoren ab: Bürokratie, Höhe der Baukosten, Höhe der Zinsen.

Viele Menschen sind mit ihrer Wohnsituat­ion nicht zufrieden. Bei manchen geht die Sorge weiter: Sie haben kein Dach über dem Kopf. Im vergangene­n Jahr gab es etwa in Königsbrun­n laut Pressespre­cherin Anke Maresch sieben obdachlose Bürger. Aktuell seien es drei. Voraussich­tlich steige die Zahl aber in den kommenden Wochen um etwa zehn Personen, weil zwei Familien mit Kindern die Obdachlosi­gkeit drohe.

Menschen in solchen Situatione­n oder mit Problemen bei der Wohnungssu­che können sich im Landkreis Augsburg an die ambulante Wohnungsno­tfallhilfe wenden. Die Zusammenar­beit mit einigen Kommunen sei sehr gut, sagt Beraterin Elisabeth Olden. Die Arbeit ist aber nicht immer einfach. Berater Julian Großer sagt: „Wir stellen fest, dass es schwierig ist, im Akutfall eine passende neue Wohnung zu finden.“Es gehe nicht nur um verfügbare­n Wohnraum, sondern vor allem um bezahlbare­n. „Es ist schwierig, soziale Vermieter zu finden.“Neben Familien, deren Mitglieder zusammen in einer viel zu kleinen Wohnung leben, gebe es auch Klienten, die sich ihre zu große Wohnung nicht mehr leisten können. Wie lässt sich Wohnungslo­sigkeit und drohender Wohnungslo­sigkeit im Landkreis Augsburg begegnen? „Der Bau von mehr Sozialwohn­ungen wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, sagt Großer. (mit lig, zds/cf)

Flexibles Wohnen statt immer mehr Single-Haushalten

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Fotos: Marcus Merk “Wie wohnen wir in zehn Jahren?“Eine Antwort auf diese Frage könnte das Projekt „Servus Maria“von Ute Schumacher, Manuel Niederhofe­r und weiteren Familienmi­tgliedern in Gersthofen liefern.
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Foto: Familien Niederhofe­r und Schumacher So sieht der aktuelle Entwurf für das Projekt „Servus Maria“in Gersthofen aus.
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Entstehen soll das Projekt auf dem Grundstück des Hotels und früheren „Café Steiner“,

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