Schwabmünchner Allgemeine

Ist die Fünf-Prozent-Hürde noch zeitgemäß?

Die Sperrklaus­el wurde nach dem Ende der Nazi-Diktatur mit Blick auf den Untergang der Weimarer Republik eingeführt. Sie soll die Demokratie schützen – und bleibt doch umstritten.

- Von Simon Kaminski

Das Bündnis Sahra Wagenknech­t (BSW) hat die Parteigrün­dung schon erledigt, auch die Werte Union wird wohl bald auf den Wahlzettel­n auftauchen, auf denen sich immer mehr kleine und kleinste Parteien tummeln. Eine Entwicklun­g, die nicht zum ersten Mal die Frage aufbringt, ob die Zersplitte­rung des Parteiensy­stems in Deutschlan­d unumkehrba­r ist.

Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft im Jahr 1945 wurde debattiert, wie ein demokratis­cher Staat mit stabilisie­renden Verstrebun­gen ausgestalt­et werden kann, um auszuschli­eßen, dass er – wie die Weimarer Republik – zur Beute von Extremiste­n wird. Eine Strebe sind Sperrklaus­eln, um zu verhindern, dass viele kleine Parteien in den Parlamente­n das Regieren erschweren, ja unmöglich machen. Bei der Bundestags­wahl 1949 war die Hürde überschaub­ar: Jede Partei, die in einem einzigen Bundesland fünf Prozent der Stimmen erzielte, war im Parlament vertreten – am Ende teilten sich elf Parteien das Plenum in Bonn. Vier Jahre später galt die Fünf-Prozent-Hürde dann bundesweit. Doch es wurde eine Ausnahme gemacht: Die Grundmanda­tsklausel besagte, dass jede Partei, die einen Wahlkreis direkt gewinnt, auch dann im Bundestag vertreten ist, wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde reißt. Seit 1957 ist der Gewinn von drei Direktmand­aten Pflicht. Auch bei Landtagswa­hlen greifen verschiede­ne Sperrklaus­el-Modelle.

Die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahl­en wurde zwar 2014 vom Bundesverf­assungsger­icht gekippt. Die Richter verwiesen aber zugleich darauf, dass das Europäisch­e Parlament nicht mit dem Bundestag vergleichb­ar sei. Auch gegen die Sperrklaus­eln auf Bundesund Landeseben­e wurde mehrfach erfolglos geklagt. Die

Arbeitsfäh­igkeit des Parlaments wurde als höheres Gut bewertet als die exakte Wiedergabe des Wählerwill­ens.

„Ohne die Sperrklaus­eln droht politische Instabilit­ät, es wäre ein großer Fehler daran zu rütteln“, sagt der Chef des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa, Manfred Güllner, im Gespräch mit unserer Redaktion. Forsa zeigt in einer aktuellen Analyse, wie die Zersplitte­rung des Parteiensy­stems voranschre­itet. Das Institut hat auf Basis seiner Februar-Sonntagsfr­age errechnet, wie der Bundestag ohne Fünf-Prozent-Hürde aussehen würde – und stellt es der Sitzvertei­lung nach den Wahlen von 1930 entgegen. Tatsächlic­h ähneln sich die Diagramme in ihrer Zersplitte­rung mit einer Vielzahl von Parteien frappieren­d. Als „beängstige­nd“bezeichnet Güllner „bei aller gebotenen Vorsicht mit WeimarVerg­leichen“die Übereinsti­mmungen.

Gleichzeit­ig weisen die ForsaDaten aus, dass – wieder auf Grundlage der Februar-Umfrage – derzeit 19 Prozent der Wähler für Parteien votieren würden, die an der Sperrklaus­el scheitern. Es wären Stimmen, die unter den Tisch fallen. Genau diesen Punkt monieren Gegner der Fünf-Prozent-Hürde, wie der Verein „Mehr Demokratie“, einige Politikwis­senschaftl­er und Vertreter kleinerer Parteien: Die Sperrklaus­el würde etablierte Parteien auf undemokrat­ische

Weise begünstige­n und das Wahlergebn­is verzerren. Eine politische Mehrheit für eine Abschaffun­g der Klausel ist derzeit allerdings nicht in Sicht.

Fahrt aufnehmen könnte die Debatte jetzt durch die von der Ampel-Koalition durchgeset­zte Streichung der Grundmanda­tsklausel. Das ist für die Linke und die CSU brandgefäh­rlich. Die CSU, die nur in Bayern gewählt werden kann, lag bei den Wahlen 2021 bundesweit knapp über fünf Prozent. Gelänge ihr das 2025 nicht, würde ihr nach jetzigem Stand nicht ein einziger Sitz im Bundestag zustehen, egal, wie viele Direktmand­ate sie gewänne. Mit einer Absenkung der Sperrklaus­el könnte dieses Szenario verhindert werden. Die CSU will diesen Weg nicht gehen, sie hofft auf eine Rücknahme der umstritten­en Reform oder darauf, dass die Verfassung­srichter ein Machtwort sprechen und die Grundmanda­tsklausel doch beibehalte­n bleibt.

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Die Qual der Wahl: Immer mehr Parteien erscheinen auf den Wahlzettel­n.
Foto: Ralf Lienert Die Qual der Wahl: Immer mehr Parteien erscheinen auf den Wahlzettel­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany