Schwabmünchner Allgemeine

„Sitzen ist das neue Rauchen“

Was Experten bei schmerzend­em Rücken und Gelenken raten: Physiother­apeut Rudolf Gebauer, eine Yogalehrer­in und eine Ergotherap­eutin geben Tipps für einen gesunden Körper.

- Von Kristina Orth

Landkreis Augsburg Tamara Hoffmann von Refugium Yoga aus Schwabmünc­hen kommt auf Socken angelaufen und öffnet die Tür zu ihrem Yogastudio. Der Raum ist groß und lichtdurch­flutet. Grünpflanz­en beleben das minimalist­ische Ambiente. Ein Hauch von Rosmarin und Thymian steigt in die Nase. Zwei Matten liegen auf dem Holzlamina­t. Gerade hat Hoffmann eine Kundin verabschie­det. Sie ist Immobilien­maklerin und Yogalehrer­in. Immer mehr Menschen mit Rückenprob­lemen kommen zu ihr, darunter 30 Prozent Männer. Halswirbel würden durch den Blick nach unten auf das Handy überbeansp­rucht. Der untere Rücken und die Hüfte versteifte­n durch langes Sitzen. Bei Gelenkprob­lemen helfe es, die stützenden Muskeln gezielt durch Yoga zu stärken.

Hoffmann sagt „Yoga und Sport halten jung“. Bewegung fördere die Durchblutu­ng des gesamten Körpers und in den Gelenken entstehe mehr Flüssigkei­t als Schmiermit­tel. Tamara weiß: „Viele denken, sie sind zu ungelenkig für Yoga, gerade Männer“. Es sei nicht wichtig, perfekt zu sein, betont sie. Auch sei Yoga nicht immer sanft, „sondern kann richtig schweißtre­ibend sein“, sagt Hoffmann. Sie kommt ursprüngli­ch aus dem Fitness- und Kampfsport­bereich und weiß, worauf es bei der Körperhalt­ung ankommt. Viele Menschen gingen in eine T-Rex-Stellung, krümmten den Körper nach vorne. Dadurch würde der Rücken einseitig überdehnt, die Atmung flach. Nur 60 Prozent des Lungenvolu­mens nutzten die meisten Menschen im Alltag.

Hoffmann unterricht­et Hatha Yoga und Yin Yoga. Hatha Yoga stärke vor allem die Muskulatur und sei gut, um einen Ausgleich zu einseitige­n Bewegungen zu schaffen. Wer im Fitnesscen­ter an Geräten immer die gleiche Muskulatur trainiere, verliere an Beweglichk­eit. Yin Yoga sei da eine gute Ergänzung, weil es den Körper dehnt. „Nur wenn die Muskeln entspannt sind, erreiche ich die Faszien“, sagt Hoffmann. Die Faszien umgeben laut Hoffmann den Körper „wie die Haut auf dem Hühnchenfl­eisch“und stützen die Muskeln. Die Dehnung auszuhalte­n, fördere die Widerstand­sfähigkeit im Alltag.

Annika Moldenhaue­r ist Ergotherap­eutin in Gersthofen. Anders als ihre Kollegen von der Physiother­apie behandelt sie vor allem Probleme mit den Schultern, Ellenbogen und Händen. In den 30 bis 45 Minuten Beratungsz­eit pro Termin, spricht sie mit ihren Patienten über deren Alltag. Die Ursache der Schmerzen zu finden und daran etwas zu ändern, ist das Ziel.

Unter Büromensch­en komme es vermehrt zu Nerventaub­heit in der Hand, auch als Karpaltunn­elsyndrom bekannt. Das liege häufig am vielen Gebrauch der Tastatur und der Maus. Die Hände würden bei diesen Tätigkeite­n immer nur flach aufgelegt, was zu einer einseitige­n Abnutzung führe. Der Kauf einer vertikalen Maus könne Abhilfe schaffen.

Unter Schülern sei der HandyDaume­n durch den Gebrauch von TikTok zunehmend verbreitet.

„Der Daumen ist für das Greifen gemacht, nicht für das Wischen über einen Bildschirm“, sagt Moldenhaue­r. Die Kinder kommen wegen entzündete­n Sehnen und gestresste­n Halswirbel­n. Manche müssen gezielt die Kraft der Hand trainieren, um einen Stift zu halten. Dafür gebe es Geräte „wie Wäscheklam­mern, mit einem Widerstand wie einem Gummi daran“. Für die Finger sei es gut, zwei Kastanien in eine Hand zu nehmen und sie umeinander kreisen zu lassen.

Ältere Menschen mit Arthrose durch langjährig­e, einseitige Belastung könnten durch Hilfsmitte­l, die Schmerzen reduzieren. Für viele sei das Öffnen einer Flasche mit Schraubver­schluss zunehmend schwer. Ein normaler, zweischenk­eliger Nussknacke­r erleichter­e das Öffnen. Einfach um den Verschluss legen und drehen. Durch die langen Hebel braucht es weniger

Kraft. Moldenhaue­r sagt, es gebe Eincremehi­lfen ähnlich einer Bürste für den Rücken, mit einem Hohlraum für die Creme. Darauf komme ein Deckel mit Kugeln wie bei einem Deoroller.

Statische Körperhalt­ungen wie Sitzen und Stehen führen laut Gebauer zu den meisten Muskel- und Gelenkprob­lemen. Durch den Fachkräfte­mangel habe die Überlastun­g bei vielen Menschen im Beruf zugenommen. Als Ursache macht er unter anderem vermehrtes Home-Office aus. „Wir sind doch alle keine Einzelkämp­fer“, sagt er. Die Pandemie habe die Menschen zurückgedr­ängt ins Private. Das setze vielen psychisch und körperlich zu. Auch die Doppelbela­stung durch Stress in der Familie und im Beruf sei belastend.

Oft nehmen Menschen in solchen Belastungs­situatione­n automatisc­h eine bestimmte Haltung ein. Sie ziehen beispielsw­eise die

Schultern bei Überforder­ung hoch. Davon kämen die lästigen Schulterun­d Nackenschm­erzen. Nicht umsonst gebe es den Spruch „eine große Last auf den Schultern tragen“, erklärt Gebauer. Er rät zu weniger Stress im Alltag und bewussten Auszeiten. Die Regelmäßig­keit von kleinen Pausen spiele eine enorme Rolle.

Gebauer rät dazu, die Sonne bei Spaziergän­gen zu genießen und bewusst tief einzuatmen. Ein kleiner Plausch mit einem Kollegen steigere das Gefühl der Wertschätz­ung und damit das Wohlbefind­en. Wer immer die gleiche Haltung einnehme, dem helfe es sich gerade hinzustell­en. Für die Zellerneue­rung von Muskeln und Gelenken müsse der Puls über 120 bis 140 ansteigen. Ganz ohne Anstrengun­g gehe es nicht, sagt er. Dafür werden „beim Sport Endorphine, also Glückshorm­one, freigesetz­t“, sagt Gebauer.

 ?? Fotos: Kristina Orth ?? Tamara Hoffmann von Refugium Yoga in Schwabmünc­hen ist seit vielen Jahren Yogalehrer­in. Sie zeigt hier eine Position, die die Muskulatur in der Hüfte dehnt.
Fotos: Kristina Orth Tamara Hoffmann von Refugium Yoga in Schwabmünc­hen ist seit vielen Jahren Yogalehrer­in. Sie zeigt hier eine Position, die die Muskulatur in der Hüfte dehnt.
 ?? ?? Die Yogalehrer­in zeigt eine Übung zur Dehnung der Hüfte im Sitzen.
Die Yogalehrer­in zeigt eine Übung zur Dehnung der Hüfte im Sitzen.
 ?? ?? Ihr Studio hat Tamara Hoffmann nach Corona eröffnet.
Ihr Studio hat Tamara Hoffmann nach Corona eröffnet.

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