„Sitzen ist das neue Rauchen“
Was Experten bei schmerzendem Rücken und Gelenken raten: Physiotherapeut Rudolf Gebauer, eine Yogalehrerin und eine Ergotherapeutin geben Tipps für einen gesunden Körper.
Landkreis Augsburg Tamara Hoffmann von Refugium Yoga aus Schwabmünchen kommt auf Socken angelaufen und öffnet die Tür zu ihrem Yogastudio. Der Raum ist groß und lichtdurchflutet. Grünpflanzen beleben das minimalistische Ambiente. Ein Hauch von Rosmarin und Thymian steigt in die Nase. Zwei Matten liegen auf dem Holzlaminat. Gerade hat Hoffmann eine Kundin verabschiedet. Sie ist Immobilienmaklerin und Yogalehrerin. Immer mehr Menschen mit Rückenproblemen kommen zu ihr, darunter 30 Prozent Männer. Halswirbel würden durch den Blick nach unten auf das Handy überbeansprucht. Der untere Rücken und die Hüfte versteiften durch langes Sitzen. Bei Gelenkproblemen helfe es, die stützenden Muskeln gezielt durch Yoga zu stärken.
Hoffmann sagt „Yoga und Sport halten jung“. Bewegung fördere die Durchblutung des gesamten Körpers und in den Gelenken entstehe mehr Flüssigkeit als Schmiermittel. Tamara weiß: „Viele denken, sie sind zu ungelenkig für Yoga, gerade Männer“. Es sei nicht wichtig, perfekt zu sein, betont sie. Auch sei Yoga nicht immer sanft, „sondern kann richtig schweißtreibend sein“, sagt Hoffmann. Sie kommt ursprünglich aus dem Fitness- und Kampfsportbereich und weiß, worauf es bei der Körperhaltung ankommt. Viele Menschen gingen in eine T-Rex-Stellung, krümmten den Körper nach vorne. Dadurch würde der Rücken einseitig überdehnt, die Atmung flach. Nur 60 Prozent des Lungenvolumens nutzten die meisten Menschen im Alltag.
Hoffmann unterrichtet Hatha Yoga und Yin Yoga. Hatha Yoga stärke vor allem die Muskulatur und sei gut, um einen Ausgleich zu einseitigen Bewegungen zu schaffen. Wer im Fitnesscenter an Geräten immer die gleiche Muskulatur trainiere, verliere an Beweglichkeit. Yin Yoga sei da eine gute Ergänzung, weil es den Körper dehnt. „Nur wenn die Muskeln entspannt sind, erreiche ich die Faszien“, sagt Hoffmann. Die Faszien umgeben laut Hoffmann den Körper „wie die Haut auf dem Hühnchenfleisch“und stützen die Muskeln. Die Dehnung auszuhalten, fördere die Widerstandsfähigkeit im Alltag.
Annika Moldenhauer ist Ergotherapeutin in Gersthofen. Anders als ihre Kollegen von der Physiotherapie behandelt sie vor allem Probleme mit den Schultern, Ellenbogen und Händen. In den 30 bis 45 Minuten Beratungszeit pro Termin, spricht sie mit ihren Patienten über deren Alltag. Die Ursache der Schmerzen zu finden und daran etwas zu ändern, ist das Ziel.
Unter Büromenschen komme es vermehrt zu Nerventaubheit in der Hand, auch als Karpaltunnelsyndrom bekannt. Das liege häufig am vielen Gebrauch der Tastatur und der Maus. Die Hände würden bei diesen Tätigkeiten immer nur flach aufgelegt, was zu einer einseitigen Abnutzung führe. Der Kauf einer vertikalen Maus könne Abhilfe schaffen.
Unter Schülern sei der HandyDaumen durch den Gebrauch von TikTok zunehmend verbreitet.
„Der Daumen ist für das Greifen gemacht, nicht für das Wischen über einen Bildschirm“, sagt Moldenhauer. Die Kinder kommen wegen entzündeten Sehnen und gestressten Halswirbeln. Manche müssen gezielt die Kraft der Hand trainieren, um einen Stift zu halten. Dafür gebe es Geräte „wie Wäscheklammern, mit einem Widerstand wie einem Gummi daran“. Für die Finger sei es gut, zwei Kastanien in eine Hand zu nehmen und sie umeinander kreisen zu lassen.
Ältere Menschen mit Arthrose durch langjährige, einseitige Belastung könnten durch Hilfsmittel, die Schmerzen reduzieren. Für viele sei das Öffnen einer Flasche mit Schraubverschluss zunehmend schwer. Ein normaler, zweischenkeliger Nussknacker erleichtere das Öffnen. Einfach um den Verschluss legen und drehen. Durch die langen Hebel braucht es weniger
Kraft. Moldenhauer sagt, es gebe Eincremehilfen ähnlich einer Bürste für den Rücken, mit einem Hohlraum für die Creme. Darauf komme ein Deckel mit Kugeln wie bei einem Deoroller.
Statische Körperhaltungen wie Sitzen und Stehen führen laut Gebauer zu den meisten Muskel- und Gelenkproblemen. Durch den Fachkräftemangel habe die Überlastung bei vielen Menschen im Beruf zugenommen. Als Ursache macht er unter anderem vermehrtes Home-Office aus. „Wir sind doch alle keine Einzelkämpfer“, sagt er. Die Pandemie habe die Menschen zurückgedrängt ins Private. Das setze vielen psychisch und körperlich zu. Auch die Doppelbelastung durch Stress in der Familie und im Beruf sei belastend.
Oft nehmen Menschen in solchen Belastungssituationen automatisch eine bestimmte Haltung ein. Sie ziehen beispielsweise die
Schultern bei Überforderung hoch. Davon kämen die lästigen Schulterund Nackenschmerzen. Nicht umsonst gebe es den Spruch „eine große Last auf den Schultern tragen“, erklärt Gebauer. Er rät zu weniger Stress im Alltag und bewussten Auszeiten. Die Regelmäßigkeit von kleinen Pausen spiele eine enorme Rolle.
Gebauer rät dazu, die Sonne bei Spaziergängen zu genießen und bewusst tief einzuatmen. Ein kleiner Plausch mit einem Kollegen steigere das Gefühl der Wertschätzung und damit das Wohlbefinden. Wer immer die gleiche Haltung einnehme, dem helfe es sich gerade hinzustellen. Für die Zellerneuerung von Muskeln und Gelenken müsse der Puls über 120 bis 140 ansteigen. Ganz ohne Anstrengung gehe es nicht, sagt er. Dafür werden „beim Sport Endorphine, also Glückshormone, freigesetzt“, sagt Gebauer.