Ausreichend unter Strom?
Audi hat schon wieder einen neuen Chef – aber alte Probleme. Gernot Döllner soll der VW-Tochter nun endlich wieder einen Vorsprung verschaffen. Der Druck ist groß. Doch die E-Offensive stockt.
Wenn Gernot Döllner in etwas mehr als einer Woche den Audi Q6 e-tron präsentiert, darf er sich glücklich schätzen. Er ist dann der Gastgeber einer „Weltpremiere“, wie solche Modellshows gerne pompös vermarktet werden. Das nächste Vorzeigeauto, entstanden auf der neuen Modellplattform PPE, dazu eine neue Elektronikarchitektur und „fortschrittlichste Batterie- und Ladetechnologie“. Das klingt nach viel Vorsprung durch Technik, hat aber einen Makel: Diese Premiere hätte längst stattfinden sollen. Die Weltöffentlichkeit muss schon etwas länger auf den Q6 e-tron warten. Genau genommen zwei Jahre.
Eigentlich hätte Markus Duesmann das Modell vorstellen sollen. Aber der bei Audi lange erwartete und mitten in der Pandemie unter schwierigen Bedingungen gestartete Duesmann ist seit vergangenem Jahr bereits wieder Ex-Audi-Chef. Längst Vergangenheit ist sein als Übergangs-CEO installierter Vorgänger Bram Schot. Der wiederum den wegen Betruges verurteilten Rupert Stadler abgelöst hatte, dessen
Erfolgsimage und Rekordzahlen im Dieselskandal verrußt waren. Böse Zungen sagen, dass die Wolfsburger Konzernmutter VW Vorstandsvorsitzende der Ingolstädter Tochter bald häufiger auswechsele als der FC Bayern seine Trainer.
Audi ist Sponsor des Fußballvereins, und ähnlich wie beim Münchener Rekordmeister ist dieser Tage fraglich, wie erfolgreich die Audianer noch sein können. Champions-League ist immer drin, aber so richtig meisterlich geht es nicht zu. Die eigenen Ansprüche sind sehr hoch. Aber kann man sie künftig noch erreichen? Und wenn ja, wie? Seit einem halben Jahr ist Döllner in der Verantwortung. Er sei – wie in Audi-Kreisen zu hören ist – tief eingearbeitet, sage sehr klar und konsequent, was Sache ist und fordere seine Vorstände.
Die Lage ist ambivalent. Einerseits: 2022 fuhr der Autobauer einen Rekord ein. Das operative Ergebnis stieg auf etwa 7,6 Milliarden Euro (ein Plus von 37,3 Prozent). 2023 hat man circa 1,9 Millionen Autos (plus 17 Prozent) verkauft. Wie viel Gewinn unter dem Strich bleibt, wird auf der Jahrespressekonferenz einen Tag nach der Q6-e-tron-Premiere bekannt gegeben.
Andererseits: Entscheidend für die Zukunft sind die verkauften E-Autos. 178.000 waren es 2023 (2022: 118.196). Das ist zwar eine Steigerung, aber es könnten viel mehr sein. BMW (376.000) und Mercedes (222.600) lieferten deutlich mehr Stromer aus. Bei Audi lässt nicht nur der Q6 e-tron auf sich warten, die von Ex-Boss-Duesmann verkündete große E-Modell-Offensive stockt bei weiteren Modellen. Dafür gibt es Gründe. Einer der entscheidenden sind die Probleme der VW-SoftwareSchmiede Cariad. Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer fasst es im Gespräch so zusammen: „Audi ist die vergangenen Jahre auf einer Holperstrecke unterwegs gewesen, der Vorsprung durch Technik ist dabei verloren gegangen. Jetzt hat man wieder den Chef ausgetauscht. Dieser Wechsel muss funktionieren. Wenn Döllner es nicht schafft, die Abwärtsspirale zu stoppen, die Softwareprobleme zu beheben und dem stockenden Absatz in China viel mehr Schub zu geben, wird es für Audi sehr, sehr schwierig.“Grundsätzlich traut Dudenhöffer dem Neuen das zu. Er sagt: „Wenn früher keiner so richtig verantwortlich war und alle mit den Fingern auf den anderen gezeigt haben, sagt Döllner: Ich bin verantwortlich und hier geht es lang.“
Döllner ist in Ingolstadt der Mann von VW-Chef Oliver Blume. Manchen Managern, ist in Ingolstadt zu hören, gehe die „forsche Art“des neuen Chefs zu weit. Wegen seines VW- und Porsche-Vorlebens gilt er manchen Audianern gar als Abgesandter Wolfsburgs. Andere schätzen ihn wiederum, weil er endlich Probleme anpacke. Am Freitagmittag wurde bekannt, dass Döllner auch noch für die Leitung der Technischen Entwicklung zuständig sein wird. Der bisherige Technik-Vorstand Oliver Hoffmann übernimmt – wie erwartet worden war – die Gesamtverantwortung für das Formel-1-Engagement von Audi.
Mehr Vollgas können sowohl Audi als auch VW gebrauchen. Wer das große Bild besser erkennen und wissen will, wie die Stimmung im Volkswagen-Reich mit weltweit knapp 670.000 Beschäftigten ist, hört sich am besten am Stammsitz in Wolfsburg um. Dort haben die Verantwortlichen auch die Geschicke der Tochter Audi inzwischen fester im Blick. Neben Blume ist Daniela Cavallo die entscheidende Machtspielerin im VW-Kosmos. Die 48-jährige Gesamtbetriebsratsvorsitzende mit italienischen Wurzeln gilt nicht als Lautsprecherin. Wenn sie im Umfeld der Betriebsversammlung in Wolfsburg am vergangenen Mittwoch schreibt, das Unternehmen setze den Rotstift an, wo es nur könne, ja von „Alarmzeichen“bei VW spricht, muss sich die Stimmung der Beschäftigten in den vergangenen Monaten eingetrübt haben. Das alles geht aus einem unserer Redaktion vorliegenden VW-internen Infoblatt des Betriebsrats hervor. In dem Papier lässt sich nachlesen, dass die Volkswagen
AG, die für die 116.000 Beschäftigten in Deutschland verantwortlich ist, den unter den Tarifvertrag fallenden Mitarbeitern insgesamt je 4735 Euro Ergebnisbeteiligung zukommen lässt.
Was für Frauen und Männer anderer Betriebe außerhalb der für Arbeitnehmer lange komfortablen Volkswagen-Welt ein Grund zur Freude wäre, stimmt Cavallo nachdenklich. Denn dieses Mal bekommen die Beschäftigten oben drauf nicht noch sozusagen als Milchschaum die übliche Anerkennungsprämie. Schließlich befindet sich Deutschland in der Rezession und auch VW leidet darunter, dass die Bundesregierung die Förderung für Elektroautos auslaufen ließ, was auf die Absatzzahlen drückt. Die Gesamtbetriebsratsvorsitzende wirkt dennoch nach einem Blick zurück in die jüngste Volkswagen-Geschichte besorgt. Eine Grafik der Arbeitnehmervertreterin zeigt, dass VW zuletzt während des Dieselskandals und der Finanzmarktkrise den Rotstift angesetzt und die Anerkennungsprämie gestrichen hat.
Steuern Volkswagen und womöglich auch die Tochter Audi in eine neue, dieses Mal durch den E-Auto-Prämienstopp der Bundesregierung verursachte, Krise? Erste Indizien dafür lassen sich in Erfahrung bringen. So wurde Cavallo gefragt, ob sie wegen der schwachen Auftragslage mit Kurzarbeit rechne. Ihre Antwort lässt aufhorchen: „Das ist nicht auszuschließen.“In den Werken Zwickau und Emden seien der Unterauslastung jüngst bereits Schichten zum Opfer gefallen. In Emden arbeiten gut 8000 Frauen und Männer für VW. Dort werden überwiegend Elektroautos hergestellt. In Zwickau beschäftigt der Konzern rund 10.200 Menschen. Das rein elektrische sächsische Werk ist auch ein AudiStandort, wird dort doch etwa der Q4 e-tron gebaut.
Während über mögliche Kurzarbeit spekuliert wird, steht bereits fest, dass auch im Beschäftigten-Wunderland Volkswagen kräftig gespart werden muss: So sollen allein die Kosten der Marke VW bis 2026 massiv um zehn Milliarden Euro nach unten gedrückt werden, „brennt doch der Dachstuhl bei VW“, wie Markenvorstand Thomas Schäfer gewarnt hat. Diese Herkulesaufgabe könnte vor allem dadurch gelingen, dass kräftig Materialund Fixkosten eingespart werden. Aber auch der Personalkostenblock kommt dran.
Zwar gilt bis 2029 für die VW-Mitarbeiter in Deutschland ein Beschäftigungs-Sicherungsvertrag, also der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen. Volkswagen verstärkt aber die Angebote für Altersteilzeit und will auch Mitarbeiter des Jahrgangs 1967 zum vorzeitigen Ausscheiden aus dem Berufsleben locken. Und dann gibt es nach Informationen unserer Redaktion Überlegungen für „punktuelle Aufhebungsverträge“. Das bedeutet: Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer einverstanden sind, kann ein Arbeitsvertrag so aufgelöst werden. Das und die Ankündigung, bei VW würden nur noch in Ausnahmefällen Neueinstellungen genehmigt, zeigt, wie groß die Nervosität im Volkswagen-Imperium ist.
Die spürt man auch bei Audi, wo Kurzarbeit allerdings kein Thema ist, wie ein Betriebsratssprecher auf Anfrage betont. Wie es um VW und Audi bestellt ist, kann man auch an anderer Stelle ablesen: Mitte Februar verkündete Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Scharpf, dass im Stadtsäckel netto 30 Millionen Euro mehr landen werden als prognostiziert. Klingt gut, jedoch nur auf den ersten Blick. Denn der Grund für das Millionengeschenk sind Nachzahlungen bei der Gewerbesteuer. Der Geldsegen kommt in der Stadt gleichwohl genau zur rechten Zeit. Denn gerade bei der Gewerbesteuer sieht es in Ingolstadt aktuell ziemlich mau aus. Und das liegt eben an „einem bedeutenden Gewerbesteuerzahler“der Stadt, wie es bei den Sitzungen des Stadtrats immer nebulös heißt – Stichwort Steuergeheimnis. Dabei war es noch nie ein Geheimnis, woher in der Audi-Stadt das meiste Steuergeld kommt. Das für den VW-Konzern zuständige Finanzamt Gifhorn überweist jährlich Millionen Euro an die Donau. Mal mehr, mal weniger. Die Transformation, der Umstieg auf die E-Mobilität, aber kostet viel Geld. Momentan stehen – abgesehen von der unerwarteten Nachzahlung – die Zeichen daher eher auf „weniger“. Und zwar so wenig, dass Scharpf im Herbst vergangenen Jahres eine Haushaltssperre verhängt hat.
Rechnen muss auch Audi. Immerhin, bei der Betriebsversammlung am Mittwoch gab es eine gute Nachricht. Döllner verkündete der Belegschaft: „Mittelfristig werden wir ein weiteres rein elektrisches Modell am Standort produzieren.“Das Kompaktmodell sei unterhalb des Q4 e-tron positioniert. Der Betriebsrat hatte ein solches E-Einsteigermodell schon länger für Ingolstadt gefordert. Ein Erfolg für Betriebsratschef Jörg Schlagbauer, der den Blick auf die enormen Herausforderungen richtet, vor denen Audi steht, und damit ein heikles Thema anspricht. Denn Audi will ab 2026 nur noch elektrische Modelle auf den Markt bringen.
Schlagbauer sagt: Obgleich das Ziel emissionsfreier Mobilität angesichts des Klimawandels eindeutig sei, habe die Konzentration auf das Elektroauto einen massiven Dämpfer erhalten, die Nachfrage breche nach dem Entfall der Förderung
Autoexperte: Die Abwärtsspirale muss gestoppt werden.
Die Wahlen in der EU und in den USA sind wichtige Weichenstellungen.
weg, führte er aus. Große Autovermieter reduzierten ihre E-Autoflotte. In der Politik, insbesondere in den USA und in der Europäischen Union, könnten die Weichen nach den Wahlen in diesem Jahr wieder für eine längere Laufzeit der VerbrennerTechnologie gestellt werden. „Folglich müssen wir mit Veränderungen der Laufzeiten oder gar mit einem teilweisen Rollback beim Antriebsstrang in zwei der wichtigsten und größten Automärkte rechnen“, so Schlagbauer. Deshalb müsse man Ziele überprüfen und teilweise neu planen. „Und wir müssen womöglich aktuelle Modelle weiterentwickeln, um die Standorte wetterfest zu machen.“
Eine Kehrtwende bei der E-Offensive? Das nicht. Aber eine Audi-Sprecherin sagt auf Nachfrage auch: „Entscheidend sowohl für die Industrie als auch für die Kunden ist auch ein klares Bekenntnis der Politik zur E-Mobilität. Die Industrie braucht Planungssicherheit von der Politik, um die Investitionen in die Zukunft auszulösen. Es geht dabei auch um Rahmenbedingungen, die wir nicht oder nur begrenzt in den eigenen Händen haben. Verfügbare Rohstoffe, Strompreise oder die Ladeinfrastruktur gehören etwa dazu.“
Wer sich nach der Betriebsversammlung umhört, trifft überwiegend auf optimistische Audianer. Der eine sagt mit Blick auf die E-Mobilität, man solle nicht alles auf eine Karte setzen. Ein anderer sagt: „Das ist die Zukunft.“Wieder ein anderer äußert sich sehr skeptisch. Bei der E-Mobilität hapere es bei Audi an der Umsetzung: „Ich sehe es ja jeden Tag in der Fertigung.“
Der E-Auto-Pionier Tesla verkaufte 2023 über 1, 8 Millionen Fahrzeuge.