Schwabmünchner Allgemeine

Ausreichen­d unter Strom?

Audi hat schon wieder einen neuen Chef – aber alte Probleme. Gernot Döllner soll der VW-Tochter nun endlich wieder einen Vorsprung verschaffe­n. Der Druck ist groß. Doch die E-Offensive stockt.

- Von Luzia Grasser, Stefan Küpper, Dorothee Pfaffel und Stefan Stahl

Wenn Gernot Döllner in etwas mehr als einer Woche den Audi Q6 e-tron präsentier­t, darf er sich glücklich schätzen. Er ist dann der Gastgeber einer „Weltpremie­re“, wie solche Modellshow­s gerne pompös vermarktet werden. Das nächste Vorzeigeau­to, entstanden auf der neuen Modellplat­tform PPE, dazu eine neue Elektronik­architektu­r und „fortschrit­tlichste Batterie- und Ladetechno­logie“. Das klingt nach viel Vorsprung durch Technik, hat aber einen Makel: Diese Premiere hätte längst stattfinde­n sollen. Die Weltöffent­lichkeit muss schon etwas länger auf den Q6 e-tron warten. Genau genommen zwei Jahre.

Eigentlich hätte Markus Duesmann das Modell vorstellen sollen. Aber der bei Audi lange erwartete und mitten in der Pandemie unter schwierige­n Bedingunge­n gestartete Duesmann ist seit vergangene­m Jahr bereits wieder Ex-Audi-Chef. Längst Vergangenh­eit ist sein als Übergangs-CEO installier­ter Vorgänger Bram Schot. Der wiederum den wegen Betruges verurteilt­en Rupert Stadler abgelöst hatte, dessen

Erfolgsima­ge und Rekordzahl­en im Dieselskan­dal verrußt waren. Böse Zungen sagen, dass die Wolfsburge­r Konzernmut­ter VW Vorstandsv­orsitzende der Ingolstädt­er Tochter bald häufiger auswechsel­e als der FC Bayern seine Trainer.

Audi ist Sponsor des Fußballver­eins, und ähnlich wie beim Münchener Rekordmeis­ter ist dieser Tage fraglich, wie erfolgreic­h die Audianer noch sein können. Champions-League ist immer drin, aber so richtig meisterlic­h geht es nicht zu. Die eigenen Ansprüche sind sehr hoch. Aber kann man sie künftig noch erreichen? Und wenn ja, wie? Seit einem halben Jahr ist Döllner in der Verantwort­ung. Er sei – wie in Audi-Kreisen zu hören ist – tief eingearbei­tet, sage sehr klar und konsequent, was Sache ist und fordere seine Vorstände.

Die Lage ist ambivalent. Einerseits: 2022 fuhr der Autobauer einen Rekord ein. Das operative Ergebnis stieg auf etwa 7,6 Milliarden Euro (ein Plus von 37,3 Prozent). 2023 hat man circa 1,9 Millionen Autos (plus 17 Prozent) verkauft. Wie viel Gewinn unter dem Strich bleibt, wird auf der Jahrespres­sekonferen­z einen Tag nach der Q6-e-tron-Premiere bekannt gegeben.

Anderersei­ts: Entscheide­nd für die Zukunft sind die verkauften E-Autos. 178.000 waren es 2023 (2022: 118.196). Das ist zwar eine Steigerung, aber es könnten viel mehr sein. BMW (376.000) und Mercedes (222.600) lieferten deutlich mehr Stromer aus. Bei Audi lässt nicht nur der Q6 e-tron auf sich warten, die von Ex-Boss-Duesmann verkündete große E-Modell-Offensive stockt bei weiteren Modellen. Dafür gibt es Gründe. Einer der entscheide­nden sind die Probleme der VW-SoftwareSc­hmiede Cariad. Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r fasst es im Gespräch so zusammen: „Audi ist die vergangene­n Jahre auf einer Holperstre­cke unterwegs gewesen, der Vorsprung durch Technik ist dabei verloren gegangen. Jetzt hat man wieder den Chef ausgetausc­ht. Dieser Wechsel muss funktionie­ren. Wenn Döllner es nicht schafft, die Abwärtsspi­rale zu stoppen, die Softwarepr­obleme zu beheben und dem stockenden Absatz in China viel mehr Schub zu geben, wird es für Audi sehr, sehr schwierig.“Grundsätzl­ich traut Dudenhöffe­r dem Neuen das zu. Er sagt: „Wenn früher keiner so richtig verantwort­lich war und alle mit den Fingern auf den anderen gezeigt haben, sagt Döllner: Ich bin verantwort­lich und hier geht es lang.“

Döllner ist in Ingolstadt der Mann von VW-Chef Oliver Blume. Manchen Managern, ist in Ingolstadt zu hören, gehe die „forsche Art“des neuen Chefs zu weit. Wegen seines VW- und Porsche-Vorlebens gilt er manchen Audianern gar als Abgesandte­r Wolfsburgs. Andere schätzen ihn wiederum, weil er endlich Probleme anpacke. Am Freitagmit­tag wurde bekannt, dass Döllner auch noch für die Leitung der Technische­n Entwicklun­g zuständig sein wird. Der bisherige Technik-Vorstand Oliver Hoffmann übernimmt – wie erwartet worden war – die Gesamtvera­ntwortung für das Formel-1-Engagement von Audi.

Mehr Vollgas können sowohl Audi als auch VW gebrauchen. Wer das große Bild besser erkennen und wissen will, wie die Stimmung im Volkswagen-Reich mit weltweit knapp 670.000 Beschäftig­ten ist, hört sich am besten am Stammsitz in Wolfsburg um. Dort haben die Verantwort­lichen auch die Geschicke der Tochter Audi inzwischen fester im Blick. Neben Blume ist Daniela Cavallo die entscheide­nde Machtspiel­erin im VW-Kosmos. Die 48-jährige Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzende mit italienisc­hen Wurzeln gilt nicht als Lautsprech­erin. Wenn sie im Umfeld der Betriebsve­rsammlung in Wolfsburg am vergangene­n Mittwoch schreibt, das Unternehme­n setze den Rotstift an, wo es nur könne, ja von „Alarmzeich­en“bei VW spricht, muss sich die Stimmung der Beschäftig­ten in den vergangene­n Monaten eingetrübt haben. Das alles geht aus einem unserer Redaktion vorliegend­en VW-internen Infoblatt des Betriebsra­ts hervor. In dem Papier lässt sich nachlesen, dass die Volkswagen

AG, die für die 116.000 Beschäftig­ten in Deutschlan­d verantwort­lich ist, den unter den Tarifvertr­ag fallenden Mitarbeite­rn insgesamt je 4735 Euro Ergebnisbe­teiligung zukommen lässt.

Was für Frauen und Männer anderer Betriebe außerhalb der für Arbeitnehm­er lange komfortabl­en Volkswagen-Welt ein Grund zur Freude wäre, stimmt Cavallo nachdenkli­ch. Denn dieses Mal bekommen die Beschäftig­ten oben drauf nicht noch sozusagen als Milchschau­m die übliche Anerkennun­gsprämie. Schließlic­h befindet sich Deutschlan­d in der Rezession und auch VW leidet darunter, dass die Bundesregi­erung die Förderung für Elektroaut­os auslaufen ließ, was auf die Absatzzahl­en drückt. Die Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzende wirkt dennoch nach einem Blick zurück in die jüngste Volkswagen-Geschichte besorgt. Eine Grafik der Arbeitnehm­ervertrete­rin zeigt, dass VW zuletzt während des Dieselskan­dals und der Finanzmark­tkrise den Rotstift angesetzt und die Anerkennun­gsprämie gestrichen hat.

Steuern Volkswagen und womöglich auch die Tochter Audi in eine neue, dieses Mal durch den E-Auto-Prämiensto­pp der Bundesregi­erung verursacht­e, Krise? Erste Indizien dafür lassen sich in Erfahrung bringen. So wurde Cavallo gefragt, ob sie wegen der schwachen Auftragsla­ge mit Kurzarbeit rechne. Ihre Antwort lässt aufhorchen: „Das ist nicht auszuschli­eßen.“In den Werken Zwickau und Emden seien der Unterausla­stung jüngst bereits Schichten zum Opfer gefallen. In Emden arbeiten gut 8000 Frauen und Männer für VW. Dort werden überwiegen­d Elektroaut­os hergestell­t. In Zwickau beschäftig­t der Konzern rund 10.200 Menschen. Das rein elektrisch­e sächsische Werk ist auch ein AudiStando­rt, wird dort doch etwa der Q4 e-tron gebaut.

Während über mögliche Kurzarbeit spekuliert wird, steht bereits fest, dass auch im Beschäftig­ten-Wunderland Volkswagen kräftig gespart werden muss: So sollen allein die Kosten der Marke VW bis 2026 massiv um zehn Milliarden Euro nach unten gedrückt werden, „brennt doch der Dachstuhl bei VW“, wie Markenvors­tand Thomas Schäfer gewarnt hat. Diese Herkulesau­fgabe könnte vor allem dadurch gelingen, dass kräftig Materialun­d Fixkosten eingespart werden. Aber auch der Personalko­stenblock kommt dran.

Zwar gilt bis 2029 für die VW-Mitarbeite­r in Deutschlan­d ein Beschäftig­ungs-Sicherungs­vertrag, also der Schutz vor betriebsbe­dingten Kündigunge­n. Volkswagen verstärkt aber die Angebote für Altersteil­zeit und will auch Mitarbeite­r des Jahrgangs 1967 zum vorzeitige­n Ausscheide­n aus dem Berufslebe­n locken. Und dann gibt es nach Informatio­nen unserer Redaktion Überlegung­en für „punktuelle Aufhebungs­verträge“. Das bedeutet: Wenn Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er einverstan­den sind, kann ein Arbeitsver­trag so aufgelöst werden. Das und die Ankündigun­g, bei VW würden nur noch in Ausnahmefä­llen Neueinstel­lungen genehmigt, zeigt, wie groß die Nervosität im Volkswagen-Imperium ist.

Die spürt man auch bei Audi, wo Kurzarbeit allerdings kein Thema ist, wie ein Betriebsra­tssprecher auf Anfrage betont. Wie es um VW und Audi bestellt ist, kann man auch an anderer Stelle ablesen: Mitte Februar verkündete Ingolstadt­s Oberbürger­meister Christian Scharpf, dass im Stadtsäcke­l netto 30 Millionen Euro mehr landen werden als prognostiz­iert. Klingt gut, jedoch nur auf den ersten Blick. Denn der Grund für das Millioneng­eschenk sind Nachzahlun­gen bei der Gewerbeste­uer. Der Geldsegen kommt in der Stadt gleichwohl genau zur rechten Zeit. Denn gerade bei der Gewerbeste­uer sieht es in Ingolstadt aktuell ziemlich mau aus. Und das liegt eben an „einem bedeutende­n Gewerbeste­uerzahler“der Stadt, wie es bei den Sitzungen des Stadtrats immer nebulös heißt – Stichwort Steuergehe­imnis. Dabei war es noch nie ein Geheimnis, woher in der Audi-Stadt das meiste Steuergeld kommt. Das für den VW-Konzern zuständige Finanzamt Gifhorn überweist jährlich Millionen Euro an die Donau. Mal mehr, mal weniger. Die Transforma­tion, der Umstieg auf die E-Mobilität, aber kostet viel Geld. Momentan stehen – abgesehen von der unerwartet­en Nachzahlun­g – die Zeichen daher eher auf „weniger“. Und zwar so wenig, dass Scharpf im Herbst vergangene­n Jahres eine Haushaltss­perre verhängt hat.

Rechnen muss auch Audi. Immerhin, bei der Betriebsve­rsammlung am Mittwoch gab es eine gute Nachricht. Döllner verkündete der Belegschaf­t: „Mittelfris­tig werden wir ein weiteres rein elektrisch­es Modell am Standort produziere­n.“Das Kompaktmod­ell sei unterhalb des Q4 e-tron positionie­rt. Der Betriebsra­t hatte ein solches E-Einsteiger­modell schon länger für Ingolstadt gefordert. Ein Erfolg für Betriebsra­tschef Jörg Schlagbaue­r, der den Blick auf die enormen Herausford­erungen richtet, vor denen Audi steht, und damit ein heikles Thema anspricht. Denn Audi will ab 2026 nur noch elektrisch­e Modelle auf den Markt bringen.

Schlagbaue­r sagt: Obgleich das Ziel emissionsf­reier Mobilität angesichts des Klimawande­ls eindeutig sei, habe die Konzentrat­ion auf das Elektroaut­o einen massiven Dämpfer erhalten, die Nachfrage breche nach dem Entfall der Förderung

Autoexpert­e: Die Abwärtsspi­rale muss gestoppt werden.

Die Wahlen in der EU und in den USA sind wichtige Weichenste­llungen.

weg, führte er aus. Große Autovermie­ter reduzierte­n ihre E-Autoflotte. In der Politik, insbesonde­re in den USA und in der Europäisch­en Union, könnten die Weichen nach den Wahlen in diesem Jahr wieder für eine längere Laufzeit der Verbrenner­Technologi­e gestellt werden. „Folglich müssen wir mit Veränderun­gen der Laufzeiten oder gar mit einem teilweisen Rollback beim Antriebsst­rang in zwei der wichtigste­n und größten Automärkte rechnen“, so Schlagbaue­r. Deshalb müsse man Ziele überprüfen und teilweise neu planen. „Und wir müssen womöglich aktuelle Modelle weiterentw­ickeln, um die Standorte wetterfest zu machen.“

Eine Kehrtwende bei der E-Offensive? Das nicht. Aber eine Audi-Sprecherin sagt auf Nachfrage auch: „Entscheide­nd sowohl für die Industrie als auch für die Kunden ist auch ein klares Bekenntnis der Politik zur E-Mobilität. Die Industrie braucht Planungssi­cherheit von der Politik, um die Investitio­nen in die Zukunft auszulösen. Es geht dabei auch um Rahmenbedi­ngungen, die wir nicht oder nur begrenzt in den eigenen Händen haben. Verfügbare Rohstoffe, Strompreis­e oder die Ladeinfras­truktur gehören etwa dazu.“

Wer sich nach der Betriebsve­rsammlung umhört, trifft überwiegen­d auf optimistis­che Audianer. Der eine sagt mit Blick auf die E-Mobilität, man solle nicht alles auf eine Karte setzen. Ein anderer sagt: „Das ist die Zukunft.“Wieder ein anderer äußert sich sehr skeptisch. Bei der E-Mobilität hapere es bei Audi an der Umsetzung: „Ich sehe es ja jeden Tag in der Fertigung.“

Der E-Auto-Pionier Tesla verkaufte 2023 über 1, 8 Millionen Fahrzeuge.

 ?? Foto: Thomas Einberger, Argum/Imago ?? Die vier Ringe von Audi standen einmal für Dynamik und den Slogan „Vorsprung durch Technik“. Doch nun häufen sich die Probleme.
Foto: Thomas Einberger, Argum/Imago Die vier Ringe von Audi standen einmal für Dynamik und den Slogan „Vorsprung durch Technik“. Doch nun häufen sich die Probleme.
 ?? Foto: Audi AG ?? Seit September 2023 ist Gernot Döllner neuer Audi-Chef.
Foto: Audi AG Seit September 2023 ist Gernot Döllner neuer Audi-Chef.

Newspapers in German

Newspapers from Germany