So wird die Gender-Debatte in anderen Ländern geführt
In Großbritannien stehen voraussichtlich im Herbst landesweite Wahlen an, und die regierende Tory-Partei liegt in den Umfragen weit hinten. Konnte ExPremier Boris Johnson die Wähler 2019 noch mit dem Versprechen, den Brexit durchzuboxen, dazu bewegen, ihr Kreuz bei den Konservativen zu machen, muss die Partei nun andere Themen finden, um die Briten zu überzeugen. Vertreter des rechten Parteiflügels versuchten deshalb insbesondere im vergangenen Jahr, Wähler durch „Kulturkampf“-Themen zu mobilisieren. Die englische Sprache bietet hierfür allerdings nur wenig Potenzial – viele Worte sind ohnehin geschlechtsneutral. Artikel wie „die“, „der“oder „das“gibt es nicht. Der Streit wird deshalb weiter gefasst: Welche Rechte haben Transgender-Personen? Kann jeder Mensch selbst seine Geschlechtsidentität bestimmen? Die britische Regierung blockierte im vergangenen Jahr sogar ein schottisches Gesetz, das Transsexuellen die Geschlechtsänderung per Selbstdeklaration hätte ermöglichen sollen.
Im Gegensatz zur Labour-Partei, die einer „extremistischen Gender-Ideologie“anhänge, setzten die Konservativen auf „gesunden Menschenverstand“, so die Argumentation. Diese Strategie verfängt nicht wirklich, zumindest nicht in der Breite. Deshalb konzentriert sich die Tory-Partei inzwischen vor allem auf wirtschaftliche Themen. Der Grund: Kulturkampf und „Wokeness“werden zwar auch in Großbritannien zunehmend als spaltend empfunden, gehören aber im Gegensatz zu den steigenden Lebenshaltungskosten oder dem maroden Gesundheitssystem längst nicht zu den Hauptsorgen der Briten, wie Umfragen zeigen.
Unter anderem, um der rechten Reformpartei etwas entgegenzusetzen, führt die Tory-Partei einen Kampf jedoch weiter: den um das Asylrecht und den Umgang mit illegalen Einwanderern. Schließlich plädieren Teile der Partei für eine härtere Gangart und weniger Einfluss des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in
Großbritannien. Premierminister Rishi Sunak verspricht weiterhin, Flüchtlinge auf dem schnellsten Weg nach Ruanda abzuschieben – trotz der Bedenken von Menschenrechtlern und entgegen dem Urteil des Obersten Gerichtshofs. Laut der britischen Journalistin Rachel Cunliffe setzen die Tories damit auf eine Strategie, die den wirtschaftlichen Aufschwung in den Vordergrund stellt, aber von einem Kulturkampf überlagert wird – „um dem Ganzen einen Anti-Woke-Geschmack zu verleihen“. (sue)
Frankreich
Gendern ist in Frankreich immer wieder ein Streitthema. Diskutiert wird, ob – und wenn ja, wie – die männlichen Formen in der Sprache durch weiter gefasste Begriffe ersetzt werden können oder sollten – um zum Beispiel Frauen offensiver einzubeziehen. Die Rolle des Sterns übernimmt im Französischen ein Punkt, der es ermöglichen soll, Worte so zu schreiben, dass sie gleichzeitig die männliche und die weibliche Form einer Bezeichnung sichtbar machen. So ließe sich mit „un·e ami·e“eine Freundin wie auch ein Freund bezeichnen.
2021 hatte der Bildungsminister inklusive Sprache an Schulen verboten. Nun zog der von den Konservativen beherrschte Senat nach und verbot das Gendern in allen offiziellen Dokumenten. Die mächtige „Académie française” als Hüterin der französischen Sprache spricht sich ebenfalls strikt gegen neue gendergerechte Formen aus. Einer der prominentesten Gegner des Genderns ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Allerdings plädiert er zugleich für Vielfalt und Modernität in der französischen Sprache. „Wir müssen dieser Sprache erlauben, zu leben, sich inspirieren zu lassen und Worte am anderen Ende der Welt zu stehlen“, sagte Macron jüngst. Aber man müsse nicht dem Zeitgeist nachgeben. „Das Maskulinum ist das Neutrum, man muss keine Punkte in die Mitte der Wörter setzen oder Bindestriche oder andere Dinge, um sie lesbar zu machen“, so die Haltung des Präsidenten. Die französische Sprache