Schwabmünchner Allgemeine

Kampf um Sterne

Um keine sprachlich­e Veränderun­g wird heftiger mehr geht als nur ums Binnen-I und andere

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Es ist ja nicht so, dass es der Welt gerade an Streitthem­en mangeln würde. Klimawande­l, Wirtschaft­sflaute, Schuldenbr­emse, Energiepre­ise, Krieg in der Ukraine, Pulverfass Nahost, AfD. Doch wer eine Gruppe von Menschen innerhalb von Sekunden zum Explodiere­n bringen will, braucht dafür nur ein einziges Wort: Gendern. Um keine Sprachverä­nderung wird so leidenscha­ftlich gerungen wie über Genderster­nchen, Binnen-I und Sprechpaus­e. Sprache wird so zu einem ideologisc­hen Kampfplatz. Geführt wird die Schlacht in Hörsälen wie in Bierzelten. Längst geht es nicht mehr (ausschließ­lich) um linguistis­che Feinheiten, sondern um Grundsätzl­iches. Die Gretchenfr­age der Moderne lautet: Wie hältst du’s mit dem Gendern? Oder, auch das frei nach Goethe: Sag mir, ob du genderst, und ich sage dir, wer du bist.

Am Ufer des Bodensees breitet sich das Städtchen Allensbach aus. Gut 7000 Einwohner leben hier am südwestlic­hen Zipfel Deutschlan­ds. Wohlstand prägt die Region. Bekannt wurde der Ort vor allem durch das Institut für Demoskopie (IfD). 1948 von Elisabeth Noelle-Neumann gegründet, zählt es noch heute zu den renommiert­esten Meinungsfo­rschungsei­nrichtunge­n des Landes. Nichts anderes als den Puls der Deutschen fühlen sie hier. Und der schlägt in der Frage nach dem Gendern ziemlich schnell: 71 Prozent der Deutschen lehnen es ab – sie halten es sogar für übertriebe­n, aus Gründen der Geschlecht­ergerechti­gkeit stets sowohl die männliche als auch die weibliche Form eines Wortes zu nennen.

„Die große Mehrheit der Bevölkerun­g hat akademisch­e Verhaltens­regeln wie das Gendern und die Frage, was man sagen darf und was man nicht sagen darf, satt“, sagt Meinungsfo­rscher Thomas Petersen. Und das gehe quer durch alle Altersgrup­pen, quer durch die politische­n Lager – noch nicht einmal das Geschlecht spiele eine entscheide­nde Rolle. Frauen sind immerhin zu 65 Prozent gegen das Gendern (Männer 77 Prozent). Sogar 65 Prozent der Grünen-Anhänger fremdelten mit dem Thema. Petersen ordnet die sprachlich­en Volten vor allem einem universitä­ren Milieu zu: „Das findet ohne großen Kontakt zu einem Großteil der Bevölkerun­g statt, der großen Mehrheit sind diese Regeln nicht zugänglich.“

Umgekehrt heißt das aber doch auch: Wenn eine überwältig­ende Mehrheit der Menschen im Land das Gendern ablehnt, dürfte diese Form des Sprechens im Alltag doch ohnehin kaum eine Rolle spielen.

Beim Bäcker, beim Arzt, in privaten Unterhaltu­ngen: Das gesprochen­e oder geschriebe­ne Genderster­nchen findet man tatsächlic­h kaum – es führt ein eher einsames Nischendas­ein. Wozu also all die Aufregung? Warum treibt die Politik das Thema trotzdem mit so großer Verve vor sich her? Bayern will das Gendern an Schulen und in Behörden sogar verbieten. „Ich glaube, dass das Gendern unsere Gesellscha­ft eher spaltet als alles andere“, begründet Ministerpr­äsident Markus Söder seinen Plan. Ein Heidelberg­er Rechtsanwa­lt, Klaus Hekking, CDU-Mitglied, ärgerte sich so sehr über die Sternchen, dass er ein Volksbegeh­ren startete und 14.500 Unterschri­ften sammelte. Der baden-württember­gische Grünen-Politiker Oliver Hildenbran­d hält dagegen: „Es sind die Gegner*innen einer geschlecht­ergerechte­n

Sprache, die ständig über das Gendern reden wollen.“Sabine Krome, Geschäftsf­ührerin des Rats für deutsche Rechtschre­ibung, warnt: „Hier wird ein gesellscha­ftliches Problem auf dem Rücken der deutschen Rechtschre­ibung ausgetrage­n.“

Wer gendergere­chte Sprache hört, glaubt, zwischen den Zeilen zu erkennen: Du darfst kein Schnitzel mehr essen! Du darfst keinen Diesel mehr fahren! Du darfst nicht mehr in den Urlaub fliegen! Du und das Leben, das du lebst, sind nicht mehr richtig!

„Tatsächlic­h regt das Thema viele Menschen deshalb so auf, weil sich natürlich viel mehr dahinter verbirgt“, sagt Petersen. „Es geht nicht um das Genderster­nchen, sondern um das, wofür es steht.“Vergleiche­n lasse sich das etwa mit der Aufregung über die Frisuren der Beatles in den 60er-Jahren. „Die Leute haben sich damals aufgeregt, als gehe es um den Untergang des Abendlande­s“, sagt der Forscher. „Die Bevölkerun­g witterte, dass mehr dahinterst­eckte.“Auch damals sei es weniger um Mode und Ästhetik gegangen, sondern vielmehr um das, was die Pilzköpfe

aussagen. „Es war offensicht­lich, dass gesellscha­ftlich etwas in Gang gesetzt wurde, dass ein Machtkampf um die Werte in der Gesellscha­ft seinen Anfang nahm. Die Frisuren waren ein sichtbares Zeichen dafür – auch wenn sie für sich genommen, banal sind.“

Doch anders als heute das Gendern, so glaubt Petersen, habe der Wunsch nach einem Wandel damals schnell breite Teile der Gesellscha­ft erfasst. Die 68er-Bewegung wurde zum Aufstand gegen starre Strukturen und rigide Moralvorst­ellungen. Hinzu kam der Wunsch nach einer Abrechnung mit den alten Nazi-Eliten, für die die Generation der Väter und Großväter stand. Auch beim Gendern gehe es keineswegs nur um Sprache, sondern darum, eigene Wertvorste­llungen durchzuset­zen. „Und wenn ich versuche, anderen Leuten zu diktieren, wie sie sich verhalten sollen, ist das am Ende nichts anderes als Machtausüb­ung“, sagt der Forscher. „Wer die Sprache beherrscht, hat die Deutungsho­heit. Es geht nicht um Sternchen und Binnen-I, sondern um den Anspruch, anderen vorzuschre­iben, wie sie zu denken haben.“

Sprachkämp­fe waren schon immer Glaubens- und Machtkämpf­e. NS-Propaganda­minister Joseph Goebbels versuchte, durch Sprachrege­ln die Politik der Nationalso­zialisten in den Alltag der Menschen einzuschle­ichen. Behinderte Kinder wurden zu „unwertem Leben“, mit dem Ruf „Sieg Heil“wurde Hitler geradezu sakral überhöht. Nach 1933 erscheinen eigens verfasste Wörterbüch­er, aber auch besehende Lexika wurden umgearbeit­et. „Die Formulieru­ngen katholisch­es Volk, Kirchenvol­k, evangelisc­hes Volk sind unbedingt zu vermeiden. Es gibt nur ein deutsches Volk“, lautete eine Anweisung. Gegner wurden durch Worte wie „Schädlinge“oder „Parasiten“bewusst entmenschl­icht.

In der DDR bemühte sich die kommunisti­sche Regierung, Worte zu finden, die bewusst vom Westen abgrenzen sollten: Polylux statt Overheadpr­ojektor, Kaufhalle statt Supermarkt, Werktätige­r statt Arbeitnehm­er. Als Zeichen der Freundscha­ft mit Moskau wurden Worte russischen Ursprungs eingedeuts­cht: Natschalni­k für Chef, Subbotnik als unbezahlte­r Arbeitsein­satz. Als sich Frankreich gegen die Irak-Politik des Weißen Hauses stellte, benannten amerikanis­che Restaurant­s die „French Fries“(Pommes) in „Freedom Fries“um. Politik, Weltbild und Sprache sind also auf das Engste miteinande­r verbunden. Begriffe werden zu Codes, lassen auf Gesinnung schließen. Auch Luise Pusch ging es um Veränderun­gen im Den

„Es geht nicht um Sternchen, sondern um den Anspruch, anderen vorzuschre­iben, wie sie zu denken haben.“

Thomas Petersen, Meinungsfo­rscher

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