Schwabmünchner Allgemeine

Und das Schnitzel

Gerungen als um das Gendern. Warum es dabei um grammatika­lische Feinheiten.

- / Von Margit Hufnagel

ken der Menschen. Die Sprachwiss­enschaftle­rin veröffentl­ichte im Jahr 1980 gemeinsam mit drei Kolleginne­n die ersten „Richtlinie­n zur Vermeidung sexistisch­en Sprachgebr­auchs“. Vielen gilt sie deshalb als „Mutter“des Genderns. Ihr Antrieb: „Die deutsche Sprache versteckt Frauen besser als eine Burka.“Tatsächlic­h haftete vielen weiblichen Wortformen ein Hauch des Exotischen, der Verdacht der Extravagan­z an: Im Jahr 2004 wurde die „Bundeskanz­lerin“zum „Wort des Jahres“gekürt. Bei der Bundeswehr müssen sich Frauen bis heute damit begnügen „mitgemeint“zu sein, es gibt allen Debatten zum Trotz keine Hauptfrau analog zum Hauptmann. Die Berliner Tageszeitu­ng Tagesspieg­el machte im vergangene­n Jahr eine Rolle rückwärts und verzichtet nun wieder auf Genderster­nchen und andere Sonderzeic­hen. Der Druck der Leserinnen und Leser war schlicht zu groß. Die vermeintli­ch gute Sache der geschlecht­ergerechte­n Sprache verharrt also in einer kleinen Gruppe – in einer Blase, wie deren Kritiker es nennen.

Aber beginnt nicht jeder Wandel, jede Verschiebu­ng mit einer Minderheit? Mit einigen wenigen, die gegen ein „Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht“aufbegehre­n? Wandelt sich unsere Gesellscha­ft nicht ständig? Mal ist es die technische Entwicklun­g, mal einschneid­ende Ereignisse, die für Verschiebu­ngen in unseren Vorstellun­gen sorgen. So wie eben die Pilzköpfe der Beatles für eine neue Zeit standen? „Natürlich, gesellscha­ftliche Regeln ändern sich, Normen ändern sich – aber sie ändern sich in der Regel nicht, indem eine aggressive Minderheit versucht, der Mehrheit etwas aufzudrück­en, was die nicht einsieht“, sagt Petersen. Seine Prognose ist eindeutig: „Ich glaube nicht, dass sich das Gendern durchsetze­n wird.“Denn im Gegensatz zu anderen Bewegungen fehle in diesem Fall der „Bodenkonta­kt“, die Verankerun­g in der Mitte. „Wir haben es beim Gendern mit einem intellektu­ellen Konstrukt zu tun“, sagt er.

Die Universitä­t der Bundeswehr in Neubiberg bei München ist einer jener Orte, an der die beiden Welten direkt aufeinande­rprallen. Anders als an anderen Hochschule­n sitzen hier Soldatinne­n und Soldaten, angehende Offiziere, die große Mehrheit von ihnen sind Männer. Ein akademisch­es Umfeld trifft auf eine – im Durchschni­tt – eher konservati­ve Studentens­chaft. Hier muss sich nicht erklären, wer auf das Gendern verzichtet, sondern wer es bewusst einsetzt. Hedwig Richter weiß das. Sie ist Professori­n für Geschichte und wird des

Argumentie­rens nicht müde, warum ihr wichtig ist, sowohl die männliche als auch die weibliche Form von Worten zu verwenden. „Ich finde, dass es inzwischen ein Affront ist, wenn jemand etwa nur von ,lieben Kollegen‘ spricht“, sagt sie. Richter ist geübt darin, ihre Haltung zu begründen und mit Fakten zu versehen, ihre Studentinn­en und Studenten fordern sie heraus. „Viele psychologi­sche Studien zeigen, dass Menschen nach wie vor nur an Männer denken, wenn in der Sprache die männliche Form benutzt wird“, sagt sie. Das könne jeder leicht im Selbstvers­uch nachvollzi­ehen.

Doch gerade als Geschichts­professori­n weiß Richter eben auch: Frauen sind keineswegs immer automatisc­h „mitgemeint“, wie es so häufig behauptet wird. Sie können sich nicht auf Unausgespr­ochenes

verlassen, mussten sich ihre Rechte, ihre öffentlich­e Sichtbarke­it erkämpfen. „Als Historiker­in ist es für mich ein ganz großer Unterschie­d, ob von Bürgern die Rede ist oder von Bürgerinne­n und Bürgern“, sagt sie. „Wenn ich Gesetzeste­xte aus dem 19. Jahrhunder­t lese, dann waren darin die Frauen eben nicht mitgemeint – deshalb ist es mir auch heute zu ungenau, wenn ich nur die männliche Form nutze.“Wer sich für Bürgerrech­te einsetzte, kämpfte in der Regel für Männerrech­te – für Frauen waren sie nicht vorgesehen. Und das spiegelt sich bis heute wider: „Unsere Sprache kommt aus dem Patriarcha­t, sie ist patriarcha­lisch. Es ist ja kein Zufall, dass die Standardfo­rm von Worten männlich ist“, sagt Richter. Sprache präge den Alltag. Und wer darauf aufmerksam mache, rüttle eben indirekt auch an anderen Ungerechti­gkeiten und mache auf Ungleichhe­iten aufmerksam. „Das ist unbequem, das stört“, sagt sie. Doch das Verspreche­n, dass alles beim Alten bleibe, sei eben eines, das vor allem Populisten bedienen würden.

Sprache verlange Disziplin. Eine Disziplin,

die sich Hedwig Richter auch und vor allem von Politikern wünschen würde. „Ich finde es sehr verstörend, dass und wie in Bayern über ein Genderverb­ot diskutiert wird“, sagt Richter. „Das ist doch nichts anderes, als den Populisten nach dem Maul zu reden. Die Diskussion wird auf eine Weise geführt, wie sie am Ende unserer Demokratie schaden kann.“Wie in jeder Debatte müsse es auch beim Thema Gendern um den Austausch von Argumenten gehen – und nicht um das Befeuern von Emotionen.

Dass die bei vielen Menschen hochkochen, sei durchaus erklärbar. „Jede Gesellscha­ft ist tief geprägt von der Geschlecht­erordnung“, sagt die Historiker­in. „Das ist eine Ordnung, die in aller Regel als natürlich empfunden wird. Wer hier etwas verändern will, sorgt für Unruhe.“Vor der Einführung des Frauenwahl­rechts in Deutschlan­d im Jahr 1918 habe es weltweit Vereine gegeben. Ihr Argument: Frauen seien nicht reif genug für das Wahlrecht, sie seien dafür bestimmt, sich voll auf ihre Männer und Familien zu konzentrie­ren. Wer politisier­te, der wurde die Weiblichke­it abgesproch­en. Wie immer unterstütz­ten auch Frauen die alte Geschlecht­erordnung. „Das Patriarcha­t kann selbstvers­tändlich nur mit Unterstütz­ung von Frauen funktionie­ren. Das sind Frauen, die scheinbar vom Patriarcha­t profitiere­n“, sagt Richter. „Wer etwa entspreche­nd aussieht und sich entspreche­nd unterwirft, hat Vorteile.“Doch wer es mit der Demokratie ernst meine, der müsse eben erkennen, dass sich dahinter nicht einfach die Herrschaft der Mehrheit verberge, sondern dass Demokratie auch den Willen ins Zentrum stelle, die Würde des Menschen zu achten. „Eine Sprache, die versucht, gerecht zu sein, entspricht unseren Werten doch viel mehr als der Wille, alles so zu lassen, wie es einmal war“, sagt sie. Genau das wird gerade in Krisenzeit­en noch einmal schwierige­r. Aufbruch wird als Zumutung empfunden.

Aber vielleicht zeigt der ganze Streit, der ganze scheinbar so zermürbend­e Diskurs ja doch irgendwie auch, wie gut es uns geht. Dass Deutschlan­d stark und wohlhabend genug ist, Zeit und Kraft für Genderdeba­tten und feministis­che Feinheiten zu finden. „Wenn ich in einer Gesellscha­ft lebe, in der es ums Überleben geht, um die Frage, ob man genug zu essen hat, dann herrscht das Recht des Stärkeren. Frauenrech­te oder Minderheit­enrechte entstehen in Gesellscha­ften, in denen es Rechtsstaa­tlichkeit gibt und auch die Idee von sozialer Gerechtigk­eit“, sagt Richter. hält noch weitaus mehr Fallstrick­e bereit als die deutsche Sprache. Es müssten auch Adjektive und Verben an die weibliche Form angepasst werden. Versucht wurde, das genderneut­rale Pronomen yel/iel einzuführe­n, anstelle des weiblichen „la“oder des männlichen „le“.

Wie in anderen Ländern auch verläuft die Front zwischen Gegnern und Befürworte­rn keineswegs klar entlang der Geschlecht­ergrenze. Als Édith Cresson 1991 zur ersten Premiermin­isterin Frankreich­s gewählt wurde, bestand sie auf die Anrede Madame le Premier Ministre anstelle von Madame la Première Ministre. (huf)

Spanien

Das frühere Macholand Spanien wurde unter dem seit fast sechs Jahren regierende­n sozialdemo­kratischen Premier Pedro

Sánchez zum europäisch­en

Vorreiter in Sachen Gleichstel­lungspolit­ik. Doch der geschlecht­ergerechte Wortgebrau­ch gefällt auch im Schrittmac­herland Spanien nicht allen. Vor allem die Rechtsauße­npartei Vox, die in einigen spanischen Regionen und Rathäusern zusammen mit der konservati­ven Volksparte­i regiert, hat dem Gendern regelrecht den Krieg erklärt. Im nationalen Parlament ist die Partei drittstärk­ste Fraktion. Die Ultrarecht­en wollen die geschlecht­ergerechte Sprache verbieten lassen. Das Argument: Das Gendern sei aus ideologisc­hen Gründen eingeführt worden und entspreche nicht der Sprachtrad­ition.

Vox-Chef Santiago Abascal macht kein Geheimnis daraus, dass er insgesamt von Gleichbere­chtigung wenig hält. Er findet, dass Frauen sich vor allem der Küche und dem Kinderkrie­gen widmen sollten. Und dass Gesetze, welche die Rechte von LGBTQ-Menschen garantiere­n, abgeschaff­t werden müssten. Wo Vox mitregiert, wird die Gleichstel­lungspolit­ik zurückgefa­hren – wie etwa auf Mallorca geschehen.

Doch auch Spaniens angesehene „Königliche Sprachakad­emie”, oberste Hüterin des korrekten Wortgebrau­chs, stemmt sich gegen eine Veränderun­g der Sprache. Gerade erklärten die Gelehrten der Akademie: „Man erreicht keine Fortschrit­te in der Gleichbere­chtigung, indem man die Grammatik und den Wortschatz auf künstliche Weise verrenkt.” Damit reagierte die Akademie auf konkrete „Empfehlung­en für den nicht sexistisch­en Gebrauch

der Sprache“, die das Präsidium des Parlaments erarbeitet­e und einstimmig verabschie­dete. Darin wird den Angestellt­en des hohen Hauses nahegelegt, bei der Erarbeitun­g von parlamenta­rischen Dokumenten auf eine möglichst geschlecht­sneutrale Wortwahl zu achten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die „Königliche Akademie“eine Institutio­n der Männer ist. Nur langsam erhalten Frauen Zutritt zu dem Gremium. (ze)

Österreich

Gerade für viele Österreich­erinnen und Österreich­er der älteren Generation­en – aber nicht nur – ist es ein Reizthema, bei dem die Emotionen hochkochen. Dass das Thema Gendern auch im längst laufenden Nationalra­tswahlkamp­f eine nicht unbedeuten­de Rolle spielen wird, dafür sorgen fast alle Parteien, allen voran aber die extrem rechte FPÖ: Deren Parteichef Herbert Kickl hetzte in seiner Rede am vergangene­n Politische­n Aschermitt­woch auch auf die „Genderwiss­enschaften“an den Universitä­ten.

Deren Studierend­e bezeichnet­e der FPÖ-Chef als „arbeitssch­eu“– Kickl, der auch sonst in seiner Rede nicht mit frauenfein­dlichen Ansagen sparte, hält, wo immer möglich, das Thema am Kochen. Im Ringen um Wähler lässt aber auch ÖVP-Kanzler Karl Nehammer das Thema Gendern nicht aus. Geht es nach ihm, sollen künftig in Amtstexten und auch in wissenscha­ftlichen Arbeiten keine Symbole wie Genderster­nchen, Doppelpunk­te oder Varianten wie das Binnen-I mehr verwendet werden dürfen. Stattdesse­n sollen Behörden, aber auch Universitä­ten angehalten werden, das Verwenden von beiden Geschlecht­ern zu empfehlen.

Nehammers Interesse am GenderThem­a kann nicht nur im Kontext des Wahlkampfs und dem Ringen um FPÖ-Stimmen, sondern auch als Reaktion auf die grüne Justizmini­sterin Alma Zadic gesehen werden. Diese hatte im vergangene­n Sommer einen Gesetzeste­xt auf den Weg gebracht, in dem nur die weibliche Form verwendet wurde. In Deutschlan­d war ein ähnlicher Gesetzeste­xt gekippt worden – die Kanzlerpar­tei ÖVP stimmte jedoch für Zadic‘ Vorschlag. In der Auseinande­rsetzung mit der in Umfragen führenden FPÖ weiß Nehammer nun aber: Am Kulturkamp­f-Thema Gendern führt kein Weg vorbei. (wrei)

„Die Diskussion wird auf eine Weise geführt, wie sie am Ende unserer Demokratie schaden kann.“

Hedwig Richter, Historiker­in

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