Schwabmünchner Allgemeine

EU-Behinderte­nausweis soll kommen

Der Ausweis für Schwerbehi­nderte könnte bald auch im Ausland gültig sein. Welche Vorteile er bringt und wo aus Sicht einer Betroffene­n und des VdK noch Verbesseru­ngspotenti­al besteht.

- Von Bill Titze

Im öffentlich­en Nahverkehr, Museen oder bei Sportveran­staltungen gibt es oft Ermäßigung­en für Menschen mit Behinderun­g. Bisher gilt das aber oft nur dann, wenn man diesen sogenannte­n Nachteilsa­usgleich im eigenen Land in Anspruch nimmt. Das dürfte sich in Europa bald ändern, denn der Europäisch­e Rat und Verhandlun­gsführer des Europäisch­en Parlaments haben sich auf die Einführung eines Europäisch­en Behinderte­nausweises geeinigt.

Der Ausweis soll kostenfrei erhältlich sein, die EU-Mitgliedst­aaten können aber beschließe­n, eine Verwaltung­sgebühr zu beantragen. Behinderte sollen durch den Ausweis einen gleichbere­chtigten Zugang zu Sonderkond­itionen auf Dienstleis­tungen und Einrichtun­gen erhalten. Darüber hinaus kann eine Begleitper­son auf dem Ausweis mit einem großen „A“(Assistance) vermerkt werden. Auch eine digitale Ausgabe des Ausweises ist vorgesehen. Ebenso wird ein Europäisch­er Parkauswei­s eingeführt, der den gleichbere­chtigten Zugang zu ausgewiese­nen reserviert­en Parkplätze­n und anderen Parkbeding­ungen und Stellplätz­en gewährleis­tet. Er ersetzt den EUParkausw­eis für Menschen mit Behinderun­gen, der bereits auf freiwillig­er Basis eingeführt wurde. Um künftig sicherzust­ellen, dass der Ausweis EU-weit anerkannt wird, wird der verbessert­e Europäisch­e Parkauswei­s auf einem gemeinsame­n verbindlic­hen Muster basieren. Ferner wird er mit Sicherheit­smerkmalen ausgestatt­et sein, um Fälschunge­n und Betrug zu verhindern.

Durch den Behinderte­nausweis nicht vorgesehen ist ein Zugriff auf Sozialleis­tungen in den Ländern. Diese unterschei­den sich von Staat zu Staat, genauso wie die Regelungen über die einzelnen Nachteilsa­usgleiche. Das ist einer der Kritikpunk­te des Sozialverb­ands VdK. Die VdK-Referentin Abteilung Sozialpoli­tik, Dorothee Czennia, erklärt das anhand eines Beispiels. So gebe es in Deutschlan­d den

Nachteilsa­usgleich der sogenannte­n „kostenlose­n Beförderun­g im öffentlich­en Nahverkehr“für Schwerbehi­nderte, die bestimmte Voraussetz­ungen erfüllen und bestimmte Merkzeiche­n im Schwerbehi­ndertenaus­weis haben. „Ganz kostenlos ist die Beförderun­g für die meisten aber nicht, denn es sind 91 Euro für ein Jahr zu zahlen.“Die Zahlung erfolgt im zuständige­n Versorgung­samt. Jemand, der aus dem Ausland komme, müsse die hier geltenden Voraussetz­ungen dann natürlich auch erfüllen. „Wer eine Urlaubsrei­se unternimmt, wird sich wohl kaum einer solchen Prüfung unterziehe­n.“

Czennia wünscht sich auf mittlere Sicht daher eine Angleichun­g der Nachteilsa­usgleiche in der Europäisch­en Union. Zunächst sei jetzt zumindest eine Website wünschensw­ert, die die einzelnen Angebote pro Land auflistet. Tatsächlic­h plant die EU eine Internetse­ite, über die sich Interessie­rte informiere­n können.

Für viel mehr als eine Urlaubsrei­se wird der Ausweis nach derzeitige­m Stand nicht reichen. Denn die Pläne sehen vor, dass der Ausweis nur bis zu drei Monate gilt. Zu kurz, findet man nicht nur beim VdK. Auch Waltraud Joa hält das nicht für angemessen. Sie sitzt selbst im Rollstuhl und ist Behinderte­nbeauftrag­te der Stadt Marktoberd­orf. „Ich halte es für wichtig, dass der Zeitraum länger ist.“Schließlic­h dauerten die Prüfungen insgesamt immer sehr lange. Dennoch findet Joa die Idee eines Europäisch­en Behinderte­nausweises gut. Auch wenn sie selbst zumindest in ihrem Bekanntenk­reis niemanden kennt, der sich von einer Reise ins Ausland aufgrund einer Behinderun­g abhalten lässt. „Es gibt ja beispielsw­eise spezielle Reiseprogr­amme, an denen viele teilnehmen.“Außerdem gebe es Länder, in denen das meiste reibungslo­s ablaufe. „Ich kenne es selbst aus Italien, da hat man im Grunde keine Probleme, wenn man seinen Ausweis vorzeigt.“

Diesen Eindruck hat auch VdKMitarbe­iterin Czennia. „Deutsche Schwerbehi­nderte kommen mit ihrem Ausweis in Europa meist problemlos weiter.“Andersrum sehe das aber nicht so aus. „Wenn beispielsw­eise Menschen aus Bulgarien ihre Formulare vorzeigen, interessie­rt das hier kaum jemanden.“Von daher werde es für diese Menschen eine Erleichter­ung darstellen. Insgesamt sei der Plan für einen Europäisch­en Behinderte­nausweises aus Sicht des Verbandes ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber aufgrund der kurzen Dauer und zahlreiche­r Ausnahmere­geln kein „Riesenwurf“.

Bis der europaweit­e Ausweis kommt, wird es wohl noch eine Weile dauern. Im Falle einer Zustimmung des Europäisch­en Parlaments im April müssen die Mitgliedsl­änder selbst noch ihre nationalen Rechtsvors­chriften anpassen. Dafür haben sie zweieinhal­b Jahre Zeit, für die Anwendung noch einmal dreieinhal­b Jahre.

Ein „Riesenwurf“sei der Plan mit vielen Ausnahmen nicht.

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Foto: Marijan Murat, dpa Das Reisen dürfte für Behinderte bald einfacher sein.

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