Schwabmünchner Allgemeine

Die fünf größten Probleme der deutschen Wirtschaft

Die Konjunktur kommt nicht vom Fleck, Deutschlan­d könnte wieder zum kranken Mann Europas werden. Doch wo liegen die Ursachen genau? Fachleute sehen ein Bündel an Schwachste­llen.

- Von Michael Kerler

Es gibt bessere Zeiten, Wirtschaft­sminister zu sein. Reichlich zerknirsch­t hatte Robert Habeck die Konjunktur­prognose für dieses Jahr gesenkt. Nur noch 0,2 Prozent Wachstum erwartet die Bundesregi­erung. Im Oktober war sie noch von 1,3 Prozent ausgegange­n. „Wir kommen langsamer aus der Krise als erhofft“, sagte der Grünen-Politiker. Die deutschen Wirtschaft­sinstitute sehen das ähnlich und haben in den vergangene­n Tagen die Erwartunge­n drastisch nach unten korrigiert. „Wir sind gefangen in der Stagnation“, kommentier­te Ifo-Chef Clemens Fuest. Dafür gibt es nicht nur einen zentralen Grund, sondern mehrere. Und manches macht auch Hoffnung.

1. Der schwache Konsum

Ein Problem für die deutsche Wirtschaft war zuletzt die hohe Inflation. Vor allem die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r reagierten verunsiche­rt, der Konsum gab deutlich nach. Er liegt nach Angaben des Leibniz-Instituts für Wirtschaft­sforschung in Halle noch immer unter dem Niveau vor der Coronapand­emie. Höhere Löhne helfen bisher kaum: „Auch wenn die Portemonna­ies wegen steigender Löhne und zunehmend sinkender Inflations­raten wieder besser gefüllt sind, halten die Konsumenti­nnen und Konsumente­n ihr Geld derzeit noch zusammen“, schreibt das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung, kurz DIW. „Viele legen es angesichts gestiegene­r Bankzinsen lieber auf die hohe Kante.“

Die Inflation hat noch einen zweiten Effekt: Die Europäisch­e Zentralban­k kämpfte mit steigenden Zinsen gegen die Geldentwer­tung. Dies verteuerte aber die Baufinanzi­erung, der Bausektor brach ein. Die Unternehme­n im Wohnungsba­u mussten 2023 reale Auftragsrü­ckgänge von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verkraften, berichtet der Zentralver­band Deutsches Baugewerbe. Es gibt aber Hoffnungss­chimmer: Die Inflation lässt inzwischen deutlich

nach, das könnte den Bürgern Mut machen: „Der private Konsum wird zum Haupttreib­er des konjunktur­ellen Aufschwung­s“, erwartet Timm Bönke vom DIW.

2. Die hohen Energiepre­ise

Die hohen Energiepre­ise werden von Wirtschaft­svertreter­n seit Jahren als Hindernis genannt. Die Energiekri­se nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 hat sie regelrecht explodiere­n lassen. DIW-Chef Marcel Fratzscher hat die Kosten zuletzt beziffert: Die hohen Energiepre­ise hätten das Wachstum im Jahr 2022 um 2,5 Prozentpun­kte gesenkt und rund 100 Milliarden Euro gekostet. Für die Jahre 2023 und 2024 sei eine ähnliche Größenordn­ung anzusetzen. Dazu kommt, dass die Energiewen­de in Deutschlan­d aus Sicht vieler Kritiker zu langsam stattfinde­t. Der Bau von Stromleitu­ngen, Speichern oder Windrädern – vor

allem im Süden der Republik – ist in Verzug. Doch zumindest bei den Preisen ist Besserung in Sicht: „Die Wettbewerb­sfähigkeit beim Industries­trompreis hat sich stark verbessert“, stellte das Prognos-Institut diese Woche im Auftrag der sonst sehr kritischen Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft fest. Unter der früheren Bundeskanz­lerin Angela Merkel habe Deutschlan­d bei den Industries­trompreise­n meist auf den Rängen 24 bis 26 unter den 27 EU-Ländern gelegen. Inzwischen sei die Bundesrepu­blik auf Platz 14 hochgeklet­tert und liege nun etwas über dem Durchschni­ttspreis der EU-Länder – knapp hinter Frankreich.

3. Hohe Steuern und Sozialabga­ben

Als Nachteil des Standorts Deutschlan­d gilt auch die Last an Steuern und Abgaben. Dies wird bereits bei den Haushaltse­inkommen sichtbar. Bei einem verheirate­ten

Paar mit Kindern liegt die Quote an Steuern und Sozialabga­ben bei 40,8 Prozent, das ergab im vergangene­n Jahr eine Auswertung der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD). Nur in Belgien sei die Quote mit 45,5 Prozent höher. Auch mit Blick auf die Unternehme­n sei Deutschlan­d „ein Hochsteuer­land“, stellte das Institut der Deutschen Wirtschaft fest.

Und während andere Länder ihre Steuersätz­e teils reduziert hätten, stieg die Belastung in Deutschlan­d: „Trotz eines Einnahmeei­nbruchs durch die Coronapand­emie lagen die Einnahmen aus der Unternehme­nssteuer im Jahr 2020 um 45 Prozent höher als im Jahr 2010“, so das Institut. In anderen Industriel­ändern seien es weniger als 20 Prozent.

4. Zunehmende Bürokratie

Ein neues Lieferkett­engesetz, das die Arbeitsbed­ingungen in den Entwicklun­gsländern im Auge hat. Neue Auflagen aus der EU für Chemikalie­n und anderes mehr: Jede neue Vorschrift ist meist gut gemeint, erzeugt aber Kosten für Unternehme­n und streut neuen Sand ins Getriebe. Was Unternehme­n seit Jahren immer stärker beklagen, hat der deutsche Normenkont­rollrat nüchtern gemessen. Demnach ist die jährliche Belastung allein aus Bundesrech­t für Unternehme­n, Behörden und Bevölkerun­g um 9,3 Milliarden Euro auf 26,8 Milliarden Euro gewachsen, einmalig kamen weitere 23,7 Milliarden dazu. „Noch nie war der laufende Erfüllungs­aufwand so hoch wie heute“, kritisiert das Gremium.

5. Fehlende Arbeitskrä­fte

Langfristi­g eines der größten Hinderniss­e ist nach Ansicht vieler Experten die Alterung der Bevölkerun­g. Die Babyboomer-Generation geht in Rente, zu wenig junge Menschen kommen nach. Die Zahl der Menschen, die dem Arbeitsmar­kt zur Verfügung stehen, könnte bis 2035 um sieben Millionen sinken, hat das Institut für Arbeits- und Berufsfors­chung berechnet.

Eine Lösung ist Zuwanderun­g, eine andere ist Mehrarbeit durch die heimische Bevölkerun­g. Doch leider sind die Anreize, von Teilzeit auf Vollzeit zu wechseln, häufig gering, kritisiert­e Ifo-Chef Clemens Fuest: In teuren Städten wie München bleiben von 2000 Euro mehr brutto am Ende nur 32 Euro netto übrig, sagte er kürzlich. „Da versteht jeder, dass sich Arbeiten nicht lohnt.“

Und was läuft gut?

Vieles läuft in Deutschlan­d aber auch herausrage­nd gut. Der Arbeitsmar­kt ist trotz der Rezession robust. Die Arbeitslos­enquote lag im Februar unveränder­t bei 6,1 Prozent. Und die staatliche Verschuldu­ng der Republik liegt trotz vieler Krisen nach Angaben der Wirtschaft­sweisen mit 64,4 des Bruttoinla­ndsprodukt­s sehr nahe an der 60-Prozent-Grenze, die der Maastricht-Vertrag fordert. Länder wie die USA und Japan haben deutlich höhere Schulden.

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Foto: Felix Kästle, dpa In der deutschen Wirtschaft läuft es seit längerer Zeit nicht mehr rund. Inflation, Energiepre­ise, Steuern – es kommt vieles zusammen.

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