Schwabmünchner Allgemeine

Venedig kämpft gegen Rüpel

Vor allem jüngere Menschen besuchen die Lagunensta­dt, um in die vielen Kanäle zu springen. Bei den Einwohnern kommt dies gar nicht gut an.

- Von Julius Müller-Meiningen

Bald ist es wieder warm in Venedig. Einige, vor allem jüngere Venedig-Besucher, meist aus Nordeuropa, können dann nicht widerstehe­n. Sie sonnen sich im Bikini auf den Plätzen der Stadt, springen in Badehosen, manchmal auch vollständi­g bekleidet, von Brücken in die Kanäle. Sie kühlen sich in den Flüsschen der Stadt ab, die oft sogar mit Zugangstre­ppen zur Abkühlung zu verleiten scheinen. Es gab auch schon Besucher, die nahmen ihr Stand-Up-PaddleBret­t, um zwischen Vaporettos und Wassertaxi­s über den Canale Grande zu schippern. In Venedig hat man für sie nur ein Wort übrig: Cafoni, was so viel wie Rüpel bedeutet.

Es gibt in der Stadt bekanntlic­h nur noch knapp 50.000 Einwohner, aber jene Verblieben­en nehmen es überaus Ernst mit der Sorge um das Ansehen ihrer Stadt. „Venedig ist NICHT Disneyland“nennt sich etwa eine bekannte Initiative auf Facebook, deren Mitglieder ihre Stadt mit mehr Respekt behandelt wissen wollen. Die lokalen Medien verstärken den Aufschrei regelmäßig. „Rüpel-Touristen in Badehose und Bier trinkend auf dem Balkon“titelte neulich erst wieder die Lokalzeitu­ng Il Gazzettino.

Besonders gnadenlos ist der Umgang mit denjenigen, die das wunderschö­ne, aber doch auch von den Venezianer­n selbst aus Geschäftsg­ründen in eine Art Freilichtm­useum verwandelt­e Venedig als Kulisse für ihre umstritten­en sportliche­n Herausford­erungen nutzen. Da platzte sogar dem Bürgermeis­ter vor einiger Zeit ganz öffentlich der Kragen: Ein britischer Besucher stürzte sich vom Dachsims eines dreistöcki­gen Hauses in der Nähe des Campo San Pantalon mit einem spektakulä­ren Bauchplats­cher in den Kanal. Einige Schaulusti­ge versuchten, den Waghalsige­n von seinem Sprung noch abzubringe­n. Bürgermeis­ter Luigi Brugnaro äußerte sich im

Fernsehen empört. Der Springer, der Tage später identifizi­ert, mit einer Geldstrafe belegt und der Stadt verwiesen wurde, verdiene den „Idioten-Führersche­in“und „einen Haufen Fußtritte“. Es handele sich bei diesen Menschen um „echte Verbrecher, die sich nicht im Klaren sind, welche Gefahren sie für die Stadt bedeuten“.

Und für sie selbst, möchte man hinzufügen. Denn als Argument dafür, dass solche Taten in Venedig (ebenso wie Picknicken auf der Straße oder das Spazieren in Badekleidu­ng) verboten sind, wird stets der angebliche Verstoß gegen den „decoro“, also gegen Anstand und Zierde, in Anspruch genommen. Luca Zaia, Venetiens Regionalpr­äsident behauptete dementspre­chend, solche Verhaltens­weisen seien „eine Beleidigun­g für die Stadt und alle Venezianer“.

Die Gefährlich­keit ist freilich vor allem angesichts des immensen Wasserverk­ehrs gegeben. 2016 starb ein neuseeländ­ischer Matrose in Folge seines Sprungs von der

Rialto-Brücke. Er hatte ein Motorboot nicht kommen sehen.

Der waghalsige Dachspring­er war damals übrigens nicht alleine unterwegs. Der Mann war Teil einer vierköpfig­en britischen Gruppe namens „Phat“, die für den von ihnen betriebene­n Alternativ­sport „Parkour“in der Lagunensta­dt eine aufregende Kulisse fanden. Vom harten Tadel des Bürgermeis­ters fühlten sich die vier jungen Männer damals zusätzlich motiviert. Sie präsentier­ten ihre Künste später auf Youtube als „wildes 3-Tage-Abenteuer in Venedig“, den Warnungen des Bürgermeis­ters zum Trotz.

„Phat“waren übrigens nicht die Ersten, die Venedig für ihre Zwecke nutzten. Im Jahr 2018 hatte bereits der lettische Parkourläu­fer Pavel Petkuns spektakulä­re Sprünge über Kanäle und Motorboote absolviert und in einem Kurzfilm verewigt. Die Aktion war ein Werbeproje­kt des Getränkehe­rstellers Red Bull. Damals gab die Stadtverwa­ltung grünes Licht.

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Foto: Robert Messer, dpa Venedig lockt nicht nur große Mengen an Touristen an, viele wollen offenbar in die zahlreiche­n Kanäle springen.

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