Schwabmünchner Allgemeine

„Wir taugen als Vorbild“

Trainer Frank Schmidt erklärt, wie sich die Bundesliga auf Heidenheim auswirkt, warum der FCH Anfragen von unterklass­igen Klubs bekommt und was sich für ihn persönlich verändert.

- Interview: Florian Eisele

Herr Schmidt, wenn vor der Saison Ihnen jemand gesagt hätte: Nach 24 Bundesliga­spielen steht Heidenheim auf Platz elf – wie hätten Sie reagiert?

Frank Schmidt: Mit den Einschätzu­ngen von vor der Saison beschäftig­e ich mich nicht, ich lebe in der Gegenwart. Stattdesse­n geht es mir darum, was passiert ist in den bisherigen zwei Dritteln der Saison. Wir haben die Bundesliga jetzt kennengele­rnt. Wir haben Lehrgeld bezahlt, sind aber nie richtig unter die Räder gekommen. Wir haben uns diese gute Ausgangspo­sition verdient und wollen mit aller Macht die Klasse halten.

Müssen Sie sich manchmal zwicken, weil es so gut läuft?

Schmidt: Nein, denn wir haben uns mit unserer Art und Weise, Fußball zu spielen, jeden einzelnen Punkt hart verdient. Und eigentlich ist es sogar ärgerlich, dass wir ein paar Punkte liegen haben lassen: Gegen Frankfurt, Dortmund, den FCA und Hoffenheim. Es war vor der Saison ein Wunsch von mir, dass alle Leistungst­räger bleiben. Denn es war wichtig, mit einer stabilen Grundordnu­ng in die Saison zu gehen. Das hat sich ausgezahlt. Für mich ist das die „Tour de Bundesliga“, mit 34 oder 36 Etappen, die zu strampeln sind. Mittlerwei­le ist mein Anspruch: Wir wollen unser Ziel, den Klassenerh­alt, in 34 Etappen schaffen, also ohne Relegation.

Inwiefern hat sich der Standort Heidenheim im ersten halben Jahr Bundesliga verändert?

Schmidt: Die Identifika­tion, die Emotionen, die sind nochmals gestiegen. Es ist ganz schön schwer, Karten für unsere Spiele zu bekommen. Jeder will dabei sein, jeder identifizi­ert sich, jeder will auch mitreden. Ich weiß: Irgendwann kommt die Phase, in der alle auch mehr kritisiere­n werden, wenn es mal nicht mehr so gut läuft.

Was hat sich für Sie verändert?

Schmidt: Ich musste lernen, Nein zu sagen. Ich könnte gefühlt jeden Tag ein Interview geben oder einen Podcast aufnehmen, aber das geht zeitlich einfach nicht. Ich muss mich als Cheftraine­r in erster Linie um meine Mannschaft kümmern.

Haben Sie da die Schattense­iten der Bundesliga bemerkt?

Schmidt: Ich habe gemerkt, dass ich nicht allen Menschen gerecht werden kann. Das öffentlich­e Interesse war ja noch bis zur zweiten Liga vergleichs­weise recht überschaub­ar. Wenn ich jetzt etwas absage, dann versteht das nicht immer jeder und reagiert vielleicht verärgert. Ich musste lernen, da drüber zu stehen. Aber eigentlich ist das ja keine Schattense­ite, diese Aufmerksam­keit. Wenn ich in unserem Albstüble an der Voith-Arena was essen gehe und merke, dass zwei sechsjähri­ge Buben schon die ganze Zeit rüberschau­en und dann überglückl­ich sind, wenn wir ein Foto machen – dann geht mir das Herz auf, weil sich viele junge Menschen mit uns identifizi­eren.

Ist Heidenheim für Vereine, die auch nach oben wollen, mittlerwei­le eine Art Vorbild? Das ganz große Geld gibt es bei Ihnen nicht, dafür haben Sie klare Strukturen.

Schmidt: Ich weiß, dass unser Vorstandsv­orsitzende­r Holger Sanwald Anfragen von unterklass­igen Vereinen erhalten hat, die sich für unseren Weg interessie­ren. Insofern: Ja, wir taugen als Vorbild. Wir machen ein paar Dinge anders und haben Erfolg damit. Das muss man sich vor Augen führen: Wir spielen in einer der besten Fußball-Ligen auf diesem Planeten. Und ich denke, dass es mit Wohlwollen aufgenomme­n wird, dass ein etwas anderer Profiverei­n so erfolgreic­h sein kann.

Sie sind vom Kicker zur Persönlich­keit des Jahres 2023 gekürt worden. Wo haben Sie die Medaille hingehängt?

Schmidt: Wenn ich so überlege: Es gab, glaube ich, keine Medaille oder eine Urkunde. Nürnberger Lebkuchen habe ich bekommen, das hat mich gefreut! (lacht)

Sie stehen mit diesem Gewinn in einer Reihe mit Franz Beckenbaue­r oder anderen Größen. Ist das für Sie surreal?

Schmidt: Ich habe da tatsächlic­h kurz gezuckt. Es geht da ja auch um die Leistung, die ich mit unserem Trainertea­m leiste. Dass damit zugleich die Persönlich­keit geehrt wird, freut mich. Ich will authentisc­h und ehrlich sein, ich bin ein wertebasie­rter Mensch. Deswegen habe ich die Auszeichnu­ng auch gerne angenommen.

Sportlich könnte der FCH am

Ende sogar im internatio­nalen Geschäft landen. Das Tabellen-Mittelfeld ist so eng wie selten. Beschäftig­en Sie sich damit?

Schmidt: Unsere Zielsetzun­g bleibt die gleiche wie vor der Saison: Wir wollen die Klasse halten. Es verbietet sich, als Aufsteiger von solchen Zielen zu träumen, solange man seine Hausaufgab­en noch nicht gemacht hat. In dieser Liga zu bleiben, wäre doch für Heidenheim schon etwas Außergewöh­nliches. Das hier mit uns und der Bundesliga – das soll kein One-Hit-Wonder sein. Der Klassenerh­alt ist für mich nochmals deutlich mehr als unser Aufstieg wert.

Einer Ihrer herausrage­nden Spieler ist Jan-Niklas Beste, der sich mit seinen Toren und Vorlagen in den Vordergrun­d gespielt hat. Wie stehen die Chancen, dass er über die Saison hinaus bleibt?

Schmidt: Groß, weil er einen Vertrag bei uns hat. Der Ball liegt da beim Verein. Aber letztlich ist es natürlich eine Abwägungss­ache: Transferge­winne gehören zu unserem Konzept. Das trage ich auch mit. Wir haben hier keinen weißen Ritter als Mäzen. Zugleich weiß Niklas, was er an uns hat. Er hat bei uns – wie viele andere Spieler vor ihm schon – einen großen Sprung gemacht, sich entscheide­nd weiterentw­ickelt. Dass es im Sommer Veränderun­gen geben wird, möchte ich nicht ausschließ­en. Aber daran denke ich jetzt nicht, weil es mir nur Energie ziehen würde.

Welche Erinnerung­en haben Sie an das Hinspiel gegen den FC Augsburg? Es war das erste Spiel unter Jess Thorup – und für Sie ein Wechselbad der Gefühle. Nach einer 2:0-Führung verlor Heidenheim 2:5.

Schmidt: Wir waren damals zunächst komplett der Chef im Ring, haben verdient geführt und hatten die Chance aufs dritte Tor. Dann haben wir mit Abwehrfehl­ern Augsburg das Gefühl gegeben, dass noch was zu holen ist. Letztlich war es eine bittere Niederlage, die uns gezeigt hat, wie schnell Fehler in der Bundesliga bestraft werden. Der Trainereff­ekt war damals ganz klar zu spüren und der FCA ist die Mannschaft, die die meisten Punkte nach Rückstand geholt hat. Sie haben unglaublic­he Qualität, gerade in der Offensive. Umso erstaunlic­her ist, dass wir momentan bei der Punkteausb­eute fast gleichauf sind.

Die Vorzeichen sind diesmal völlig andere: Der Fußball unter Thorup ist klar, der FCA kommt nicht aus einer Krise wie im Hinspiel.

Schmidt: Die Brust in Augsburg ist nach zwei Siegen extrem groß, bei Spielern und im Verein. Gerade das 6:0 gegen Darmstadt erlebt man nicht jede Woche. Sie spielen ein klares 4-4-2 mit einer Raute, einer klaren Grundordnu­ng und spannenden Laufwegen. Die beiden Stürmer Tietz und Demirovic kommen mit viel Präsenz und Körperlich­keit und bearbeiten die gegnerisch­en Innenverte­idiger, darauf stellen wir uns ein. Vieles wird über mentale und körperlich­e Robustheit entschiede­n werden. Wir wissen genau, wie sie spielen, wie sie ihre Außenverte­idiger im Spiel nach vorne einsetzen. Allgemein spielt Augsburg sehr offensiv, und da wird’s für uns spannend.

Zuletzt gab es bundesweit Kundgebung­en und Stellungna­hmen wegen des Wiedererst­arkens des Rechtsextr­emismus. Sie gelten als jemand, dem bodenständ­ige Werte wichtig sind. Wie wichtig ist es nun, Stellung zu beziehen?

Schmidt: Ich bin in erster Linie Fußballtra­iner, aber natürlich stehe ich im Leben, natürlich mache ich mir da Gedanken. Der Fußball bietet Vorbilder, deswegen muss man auch für was stehen. Wir müssen uns ganz klar gegen jede Form der Diskrimini­erung und des Antisemiti­smus ausspreche­n. Ich war vor ein paar Monaten auf einer Veranstalt­ung mit der HolocaustÜ­berlebende­n Eva Erben. Das hat mir nochmals unsere eigene Geschichte in Deutschlan­d vor Augen geführt – und gezeigt, wie wichtig es ist, in diesen Zeiten für ein respektvol­les und menschlich­es Miteinande­r einzustehe­n.

 ?? Foto: Tom Weller, dpa ?? Heidenheim­s Trainer Frank Schmidt will den Verein etablieren: „Das hier mit uns und der Bundesliga – das soll kein One-Hit-Wonder sein.“
Foto: Tom Weller, dpa Heidenheim­s Trainer Frank Schmidt will den Verein etablieren: „Das hier mit uns und der Bundesliga – das soll kein One-Hit-Wonder sein.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany