Schwabmünchner Allgemeine

Der Bühnentyra­nn verführt sein Publikum nicht

Das Theater Ulm bringt das wunderbare Thomas-Bernhard-Stück „Der Theatermac­her“auf eine besondere Bühne. Das Setting ist großartig, trotzdem zündet es nicht richtig.

- Von Richard Mayr

Das Theater im Theater gehört zu den wunderbare­n Genres. Wenn auf der Bühne von der Bühne erzählt wird, darf meistens gelacht werden. Das war schon vor 400 Jahren mit Shakespear­es Handwerker­n in seinem „Sommernach­tstraum“so, die ein Stück spielen wollen und vorführen, dass Theater von Menschen gemacht wird und das Allzumensc­hliche immer auch mitgedacht werden muss. Der große Dramatiker Thomas Bernhard treibt dieses Spiel mit dem Spiel in seinem „Theatermac­her“auf die Spitze, wie jetzt in einer Inszenieru­ng des Theaters Ulm zu sehen ist.

Es geht darin um einen großen Egomanen, den Staatsscha­uspieler Bruscon, der sich mit seiner Menschheit­skomödie „Das Rad der Geschichte“auf Tournee befindet, sich auf einer Höhe mit Shakespear­e und Goethe wähnt, allerdings nur von Dorf zu Dorf zieht und nun im „Schwarzen Hirschen“ in Utzbach, Utzbach wie Butzbach, einem kleinen Dorf, sein nächstes Gastspiel geben will. Es ist schwül, draußen riecht es nach den Schweinen, und Bruscon redet unaufhörli­ch: ein Monomane, ein Künstler, der nur die Senden-Taste kennt, einer, der für sich Überlebens­größe beanspruch­t und in diesem Anspruch eine durch und durch lächerlich­e Gestalt ist. Kurzum, ein Rollengesc­henk für einen Schauspiel­er und gleichzeit­ig auch eine Zumutung.

Das Theater Ulm hat in der Inszenieru­ng von Andreas Nathusius den „Schwarzen Hirschen“in den Gemeindesa­al der Kirche Sankt Michael zu den Wengen verlegt, die katholisch­e City-Kirche von Ulm. Ein Ort, der in seinen Dimensione­n und seiner Größe aus der Zeit gefallen ist, für den schon Konzepte erstellt wurden, nicht mehr genutzte Sakralräum­e in ein Fitnessstu­dio umzuwandel­n. Ein idealer Ort also für den „Theatermac­her“, um das Maßlose und Groteske des Bruscon buchstäbli­ch spürbar zu machen.

Nun lässt dort Markus Hottgenrot­h als Bruscon seine Muskeln spielen, zetert, dass dieses Notausgang­licht unbedingt abgeschalt­et werden müsse, dass seine Menschheit­skomödie nur dann funktionie­re, wenn es im Saal auch an der entscheide­nden Stelle absolut dunkel werde. Aber all sein Echauffier­en, all seine Erregungsk­unst prallt an der Wirtin ab. Christel Mayr spielt diese Rollenzumu­tung von Bernhard mit Bravour, setzt mit ihrem schlurfend­en Gang, diesem stoischen Blick den Kontrapunk­t, auch wenn sie fast keinen Text hat: Hasst sie diesen Theatermac­her? Bemitleide­t sie ihn? Versteht sie ihn überhaupt? Sie spricht nicht darüber, sie kommt ja nicht zu Wort. Alles ist möglich, alles ist wahr.

Nur eines will nicht gelingen, dass man immer mehr von diesem Bruscon mit seinem aberwitzig­en Fastmonolo­g hören will, dass man nicht mehr von ihm lassen kann, auch wenn er eigentlich ein Scheusal ist; dass man also selbst versteht, warum seine Familie weiterhin bereit ist, mit ihm als fahrendes Theatervol­k von „Schwarzem Hirschen“zu „Schwarzem Hirschen“zu ziehen. Der Ulmer Bruscon, der Bruscon von Hottgenrot­h und Regisseur Nathusius, spielt wie ein Schauspiel­er, der tatsächlic­h noch kein Publikum um sich hat, er will nicht auf Teufel komm raus die Anwesenden bezirzen.

Daran hakt es. Hottgenrot­hs Bruscon steigert über die zwei Stunden seine Erregungsk­urve, er entwickelt sich. Man schaut ihm interessie­rt dabei zu, aber nur mit dem Verstand. Diesem Bruscon gelingt es nicht, einen auf seine Seite zu ziehen. Er verführt nicht. Das Absurde, aber auch das Verführeri­sche an Bernhards Bruscon wie auch an vielen anderen BernhardBü­hnenfigure­n ist doch, dass sie dauererreg­t sind. Es geht da nicht um Entwicklun­g, sondern um Entlarvung. Und entlarvt werden soll ja nicht der Tyrann Bruscon als nur durchschni­ttlich begabter Provinzdar­steller und Vollzeit-Despot. Das hat das Publikum sehr schnell verstanden, entlarvt werden soll das Publikum in seiner Verführbar­keit.

Weitere Termine am 14., 16., 20.,

27. März sowie am 6., 11., 19. und

24. April im Gemeindesa­al St. Michael zu den Wengen in Ulm.

 ?? Foto: Marc Lontzek ?? Markus Hottgenrot­h und Christel Mayr in „Der Theatermac­her“in Ulm.
Foto: Marc Lontzek Markus Hottgenrot­h und Christel Mayr in „Der Theatermac­her“in Ulm.

Newspapers in German

Newspapers from Germany