Der Bühnentyrann verführt sein Publikum nicht
Das Theater Ulm bringt das wunderbare Thomas-Bernhard-Stück „Der Theatermacher“auf eine besondere Bühne. Das Setting ist großartig, trotzdem zündet es nicht richtig.
Das Theater im Theater gehört zu den wunderbaren Genres. Wenn auf der Bühne von der Bühne erzählt wird, darf meistens gelacht werden. Das war schon vor 400 Jahren mit Shakespeares Handwerkern in seinem „Sommernachtstraum“so, die ein Stück spielen wollen und vorführen, dass Theater von Menschen gemacht wird und das Allzumenschliche immer auch mitgedacht werden muss. Der große Dramatiker Thomas Bernhard treibt dieses Spiel mit dem Spiel in seinem „Theatermacher“auf die Spitze, wie jetzt in einer Inszenierung des Theaters Ulm zu sehen ist.
Es geht darin um einen großen Egomanen, den Staatsschauspieler Bruscon, der sich mit seiner Menschheitskomödie „Das Rad der Geschichte“auf Tournee befindet, sich auf einer Höhe mit Shakespeare und Goethe wähnt, allerdings nur von Dorf zu Dorf zieht und nun im „Schwarzen Hirschen“ in Utzbach, Utzbach wie Butzbach, einem kleinen Dorf, sein nächstes Gastspiel geben will. Es ist schwül, draußen riecht es nach den Schweinen, und Bruscon redet unaufhörlich: ein Monomane, ein Künstler, der nur die Senden-Taste kennt, einer, der für sich Überlebensgröße beansprucht und in diesem Anspruch eine durch und durch lächerliche Gestalt ist. Kurzum, ein Rollengeschenk für einen Schauspieler und gleichzeitig auch eine Zumutung.
Das Theater Ulm hat in der Inszenierung von Andreas Nathusius den „Schwarzen Hirschen“in den Gemeindesaal der Kirche Sankt Michael zu den Wengen verlegt, die katholische City-Kirche von Ulm. Ein Ort, der in seinen Dimensionen und seiner Größe aus der Zeit gefallen ist, für den schon Konzepte erstellt wurden, nicht mehr genutzte Sakralräume in ein Fitnessstudio umzuwandeln. Ein idealer Ort also für den „Theatermacher“, um das Maßlose und Groteske des Bruscon buchstäblich spürbar zu machen.
Nun lässt dort Markus Hottgenroth als Bruscon seine Muskeln spielen, zetert, dass dieses Notausganglicht unbedingt abgeschaltet werden müsse, dass seine Menschheitskomödie nur dann funktioniere, wenn es im Saal auch an der entscheidenden Stelle absolut dunkel werde. Aber all sein Echauffieren, all seine Erregungskunst prallt an der Wirtin ab. Christel Mayr spielt diese Rollenzumutung von Bernhard mit Bravour, setzt mit ihrem schlurfenden Gang, diesem stoischen Blick den Kontrapunkt, auch wenn sie fast keinen Text hat: Hasst sie diesen Theatermacher? Bemitleidet sie ihn? Versteht sie ihn überhaupt? Sie spricht nicht darüber, sie kommt ja nicht zu Wort. Alles ist möglich, alles ist wahr.
Nur eines will nicht gelingen, dass man immer mehr von diesem Bruscon mit seinem aberwitzigen Fastmonolog hören will, dass man nicht mehr von ihm lassen kann, auch wenn er eigentlich ein Scheusal ist; dass man also selbst versteht, warum seine Familie weiterhin bereit ist, mit ihm als fahrendes Theatervolk von „Schwarzem Hirschen“zu „Schwarzem Hirschen“zu ziehen. Der Ulmer Bruscon, der Bruscon von Hottgenroth und Regisseur Nathusius, spielt wie ein Schauspieler, der tatsächlich noch kein Publikum um sich hat, er will nicht auf Teufel komm raus die Anwesenden bezirzen.
Daran hakt es. Hottgenroths Bruscon steigert über die zwei Stunden seine Erregungskurve, er entwickelt sich. Man schaut ihm interessiert dabei zu, aber nur mit dem Verstand. Diesem Bruscon gelingt es nicht, einen auf seine Seite zu ziehen. Er verführt nicht. Das Absurde, aber auch das Verführerische an Bernhards Bruscon wie auch an vielen anderen BernhardBühnenfiguren ist doch, dass sie dauererregt sind. Es geht da nicht um Entwicklung, sondern um Entlarvung. Und entlarvt werden soll ja nicht der Tyrann Bruscon als nur durchschnittlich begabter Provinzdarsteller und Vollzeit-Despot. Das hat das Publikum sehr schnell verstanden, entlarvt werden soll das Publikum in seiner Verführbarkeit.
Weitere Termine am 14., 16., 20.,
27. März sowie am 6., 11., 19. und
24. April im Gemeindesaal St. Michael zu den Wengen in Ulm.