Fieberträume von fernen Planeten
„Zweimal langsamer wie du ...“: Dieter Riekens Erzählungen handeln von Fieberträumen, von Nord und Süd und fernen Planeten. George Clooney gibt ein Gastspiel.
Angstträume, Fieberträume, Schlaflosigkeit und Fluchtreflexe, mal Richtung Süden, dann nach Norden und „up in the sky“, also hoch zum Planeten „Tau Ceti F“. Das sind die wiederkehrenden Motive in diesen zwei Novellen und einer Kurzgeschichte des Augsburger Science-Fiction-Autors Dieter Rieken.
In der titelgebenden Geschichte „Zweimal langsamer wie du ...“tauchen Figuren auf, die bereits in seinem 2020 erschienen Roman „Land Unter“eine entscheidende Rolle spielten: Tine, die Kirstin Tammen heißt, und Holger Tammen, „Hose“genannt. Tine, die im Filmgeschäft arbeitet, erlebte in „Land Unter“die Überschwemmung ihrer Heimat Ostfriesland. Die Klimakrise hat die deutsche und niederländische Küste verschwinden lassen. Nun ist sie nach Italien gereist. In ein Haus, das ihre Eltern 2052 in den Marken gekauft haben. Sie braucht Erholung und Abstand. Tine muss aber erkennen, dass die Klimakrise überall wütet. Die Marken sind wie Ostfriesland
eine Küstenregion. Die Stadt Pesaro mit ihren 100.000 Einwohnern ist bereits in den Fluten verschwunden. Je mehr Katastrophe, umso behutsamer scheint der Autor mit seinen Figuren umzugehen. Ohne Liebe ist alles nichts.
Zudem schafft er skurrile Analogien und Gegensätze. Dort das (ehemals) raue Ostfriesland und hier die lieblichen Marken. Was sie verbindet, ist die Klimakatastrophe. Schlimm genug. Norddeutsche Nachnamen wie Bracken, Tammen, ja, sogar ostfriesische Sätze wie „Daar holt doch een sien Hand vör de Mors van de annern“, stoßen auf Giacomo Rossini, Terrakotta und die Bialetti-Mokkakanne und verbinden Norden und Süden.
Allerdings im Untergang. Dass Tine in der Zukunft lebt, wird eher nebenbei erzählt. Ein Satz wie „Maike hat ihn nach Achim geschleppt“klingt ähnlich falsch wie der Titel des Buches. Doch Achim war eine Stadt in Ostfriesland und „Immer zweimal langsamer wie du“ist ein gern verwendeter Scherz von Holger Tammen, der zum Titel dieses Buches wurde.
George Clooney taucht auch kurz auf. Wird er Tines Welt retten?
„Jonas und der Held Terranovas“spielt auf „Tau Ceti F“. Das ist nicht gleich um die Ecke, sondern 14 Lichtjahre von der Erde entfernt. Der einzige Überlebende dieser Reise, Captain Täuber, soll eine Rede in der Stadt Peredais halten, die jedes Jahr an die Ankunft auf Terranova und die Gründung der Stadt erinnert. Doch Täuber ist verschwunden.
Die Assoziation zwischen Peredais und Paradies ist naheliegend, aber egal wie weit von der Erde entfernt, Rieken nimmt den irdischen Ballast mit. Es ist konsequent und schonungslos, weil wir Menschen so sind. Rassismus, Dogmen, Diktatur, Bürokratie und all das, was wir mit unserem Fernweh hinfort imaginieren möchten, verlässt uns nicht. Nur zwei Namen, die Gegensatz und Vorurteil aufzeigen, reichen. Yuma Watanabe und Hedy Bracken.
Es ist eine Geschichte von Neugeburt, Wiedergeburt und dem ewigen Kreislauf, egal ob Erde, „Tau Ceti F“, das Universum, alles gehört zusammen. Captain Täuber ist auf seinem jahrzehntelangen Flug scheinbar zum Massenmörder geworden. Nur, damit wenige den Flug überleben. Es ist kompliziert, ein Held zu sein. Jonas oder Jona heißt übersetzt „Taube“, was hat das mit Täuber zu tun? Und was passiert, nachdem Jonas von einem riesigen Meerestier verschluckt wurde?
„Die Schneekönigin“konnte nicht einschlafen. So beginnt Geschichte Nummer drei. An dieser Stelle ist Linnea, der Heldin dieser Geschichte, noch nicht klar, wie viele Menschen sie töten wird. Sie ist auf der Flucht. Hier erweist sich der Autor einmal mehr als Pragmatiker. Wenn der Weg nach Süden
versperrt ist, dann ab in den Norden von Island. Linnea, die sich um ihren schwer erkrankten Partner Grendel kümmert, hat schon alle Hände voll zu tun, sich und Grendel vor den Hungeraufständlern und marodierenden Banden in Sicherheit zu bringen. Das ist mit vielen Opfern verbunden. Aber Heldinnen kommen ganz ohne Makel aus.
Hunger, Kälte, Schnee, Island. Die Sonne war so lange verschwunden, sie muss erst wieder entdeckt werden. War es ein Vulkanausbruch? Dieter Rieken beschreibt das Alltägliche und lässt im Hintergrund unaufhaltsam die Katastrophe fortschreiten. Das ist als Idee grausam, aber lässig und unaufgeregt erzählt. HitchcockSpannung.
Überflüssig ist es, wenn der Autor im Nachwort seine Vorgehensweise und Figuren erläutert. Warum? Es hemmt den Entdeckergeist, und die Leserinnen und Leser werden unnötig bei der Hand genommen.
Info: Dieter Rieken stellt am 11. April, um 19 Uhr, sein Buch im Augsburger Annahof vor.