Schwabmünchner Allgemeine

Wenn eine Fremde die Geschäfte übernimmt

Ein Gericht entscheide­t darüber, ob einem Menschen ein Berufsbetr­euer zur Seite gestellt wird. Doch was darf der? Und was bedeutet das für Betroffene?

- Von Cordula Homann

42 Jahre alt ist Katrin S. Strahlend hellblaue Augen, schwarze glatte Haare. Sie sitzt im Schneiders­itz auf einem roten Sofa in ihrer Wohnung. Vor ihr auf dem Tisch ein Laptop, daneben Feilen, Feuerzeuge, Stifte, alles sauber angeordnet. An der Wand hängen Kalender von Oldtimern, daneben Traumfänge­r. Dennoch sagt die zierliche Frau: „Ich habe mir alles anders vorgestell­t.“Und wenn sie aufsteht, weiß man sofort, was sie meint.

Multiple Sklerose, eine unheilbare Erkrankung des zentralen Nervensyst­ems. Sie ist oft verbunden mit motorische­n Einschränk­ungen und Taubheitsg­efühlen. Katrin S. erhielt die Diagnose vor 22 Jahren. Inzwischen ist die Augsburger­in so gehbehinde­rt, dass sie selbst die paar Schritte von der Couch bis zur Tür nur mühsam und nur mit einem Stock schafft. Bereits in den 1990er Jahren erlitt die junge Frau erste Anfälle, so genannte Schübe, von Multipler Sklerose. Dazu kam eine Verletzung im Gehirn. Zudem wirkte sich die Diagnose auf ihre psychische Verfassung aus. Eine Sozialstat­ion hilft im Haushalt und beim Einkaufen. Aus dem Bereich des ambulant betreuten Wohnens kommt zusätzlich­e Unterstütz­ung. Alles, damit Katrin S., die allein lebt, ein möglichst selbststän­diges und eigenbesti­mmtes Leben führen kann. Eingeleite­t wurden diese Hilfen von der rechtliche­n Betreuerin Carmen Checchia.

Checchia ist Berufsbetr­euerin. Als sie Katrin S. 2017 kennenlern­te, lebte diese in einer Altbauwohn­ung

in einem oberen Stockwerk ohne Aufzug. Hatte keinen Pflegegrad, keine Unterstütz­ung und schleppte sich zur Tagesstätt­e für Menschen mit seelischer Behinderun­g. Dort wurde ihr eine rechtliche Betreuung empfohlen. Die Betreuungs­behörden, hier die Stadt Augsburg, leitete dann ein Verfahren ein, das zuständige Gericht ordnete die Betreuung an. Vorab kommt es oft schon zu einem Vorstellun­gstermin zwischen den Betroffene­n und dem in Aussicht gestellten Betreuer oder Betreuerin. „Bei uns war das ein Glücksfall“, sagt Katrin S.

Checchia kümmerte sich um die Sozialhilf­e, die Höherstufu­ng des Grades der Behinderun­g beim Versorgung­samt, dem Beantragen der Einglieder­ungshilfen für Menschen mit Behinderun­g sowie den Pflegegrad und war beim Gutachten des Medizinisc­hen Dienstes dabei. Checchia kümmert sich um insgesamt 44 Menschen in Stadt und Landkreis Augsburg – ein Vollzeitjo­b – da stellt sich Routine im Umgang mit den Behörden ein. 2015 fing die Soziologin und gelernte Krankensch­wester als Berufsbetr­euerin an. Ihre Klienten sind zwischen 18 und 86 Jahre alt, ein Großteil davon jedoch unter 50.

In jedem Fall werde der Unterstütz­ungsbedarf eruiert, wobei stets die Wünsche der Betroffene­n Priorität haben. Dann werden mögliche Hilfen beantragt. Manche Betreuunge­n sind nur kurz, sie können auf längstens sieben Jahre angeordnet werden; danach muss eine Überprüfun­g stattfinde­n. „Meine Aufgabe ist es, zu sehen, was jemand braucht“, sagt die Betreuerin. „Das ist nicht immer einfach, jeder hat ja auch ein Krankheits­bild. Leider gibt es nicht genug Wohnformen für pflegebedü­rftige Menschen mit psychische­r Erkrankung“, sagt die Freiberufl­erin.

Ein Ausweis belegt für jeden einzelnen Fall, wozu Checchia befugt ist, etwa Gesundheit­sfürsorge, Behörden-, Versicheru­ngsoder Sozialleis­tungsangel­egenheiten sowie die Vermögenss­orge. Damit kann sie stellvertr­etend für die Betreute Anträge stellen. 2020 konnte ihre 42-jährige Klientin endlich in eine rollstuhlg­erechte Wohnung ziehen. Denn, dass sie den eines Tages braucht, zeichnet sich ab. „Und dabei hatte ich mal so viel vor“, sagt die Augsburger­in. Mediengest­alterin war ihr Traumberuf. „Aber arbeiten konnte ich wegen der Krankheit nie.“

Beim monatliche­n Arbeitskre­is in Augsburg können sich Berufsbetr­euer untereinan­der austausche­n. Zusammenar­beit mit den Sozialdien­sten der Kliniken, Anbietern

von ambulanten und stationäre­n Hilfen ist unerlässli­ch. Nur so könne man die Betroffene­n adäquat versorgen, erklärt Checchia. „Zudem steht man unter der Aufsicht des Betreuungs­gerichts, gerade wenn es um die finanziell­en Angelegenh­eiten der Betroffene­n geht.“Etwa um die Sozialhilf­e, die jährlich neu beantragt werden muss. Dies gilt für junge erwerbsunf­ähige Personen wie auch für Senioren, die sich das Pflegeheim nicht leisten können – „wer kann das schon“, sagt Checchia.

Sie mag ihren Beruf, weil er ihr viele Freiheiten bot, als die Kinder noch klein waren, sie sich ihre Arbeitszei­t selbst einteilen kann und dadurch unabhängig ist. Nicht zuletzt kann sie vielen helfen. So, wie Katrin S. Seit sie ihre Betreuerin kennengele­rnt hat, hatte sie keinen einzigen Schub mehr.

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Foto: Marcus Merk Um die Finanzen von Katrin S. kümmert sich Carmen Checchia (von links).

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