Schwabmünchner Allgemeine

Unter dem Waldboden lag hier Munition von Panzerfäus­ten

In Diedorf wird gerade ein Rückhalteb­ecken für Hochwasser gebaut. In diesen Tagen sollte es ausgebagge­rt werden. Doch davor stand ein Fund mit jahrzehnte­alten Kriegsreli­kten.

- Von Jana Tallevi

Andreas Besel steht am Rand des ehemaligen Ackers zwischen Diedorf und Lettenbach, der in diesem Jahr zu einem Rückhalteb­ecken für Hochwasser umgebaut werden soll. Es ist der letzte Tag, an dem seine Firma Besel KMB (Kampfmitte­lbeseitigu­ng) auf dem Bauplatz im Landkreis Augsburg tätig ist. Seine beiden Mitarbeite­r Nico Brenner und Johannes Glaßner gehen das letzte fragliche Stück mit speziellen Geräten für eine Negativson­dierung ab. Das bedeutet: Die profession­ellen Geräte schlagen an, wenn sie Metall entdecken. Auch nach vielen Tagen Arbeit auf der Baustelle stecken nach dem Rundgang immer noch viele Fähnchen im Boden, wenn die Männer etwas finden. Manchmal sind es einfach alte Trinkdosen oder anderer Müll. Manchmal ist es die Munition einer Panzerfaus­t.

Erst, wenn Nico Brenner und Johannes Glaßner das Gelände sondiert haben, darf wieder schweres Gerät auf den Untergrund. Mit einem Bagger wird die oberste Schicht des Erdreichs abgegraben. Viel Müll kommt zutage – aber auch anderes. „Das habe ich schon oft erlebt, dass früher in ein Loch einfach Müll gekippt wurde und Munitions- oder Waffenrest­e dazu“, sagt Andreas Besel. Zu seinem Job als Kampfmitte­lräumer ist er eher zufällig gekommen.

Zwölf Jahre bei der Bundeswehr haben ihm gute Einblicke in den Umgang mit Kampfmitte­ln gegeben, Fortbildun­gen und die eigene Firma folgten. Eine Baugrundun­tersuchung auf Kampfmitte­l ist inzwischen Standard, nicht nur bei Neubauproj­ekten, sondern teilweise auch im Bestand, erzählt Besel.

So war das auch auf der Baustelle in Diedorf. Voruntersu­chungen hatten schon den Verdacht auf Kampfmitte­l im Boden ergeben, die zunächst beauftragt­e Firma zog deshalb Andreas Besel und sein spezialisi­ertes Team hinzu. Oft helfen zu diesem Zeitpunkt auch historisch­e Luftbilder bei der Einordnung. Die sind nicht nur in speziellen Archiven in Deutschlan­d zu finden. „Ich weiß, wo ich auch Luftbilder aus den USA und England bekomme“, sagt Andreas Besel. Die können auch deshalb helfen, weil nicht alle alten Waffenteil­e oder Munitionsr­este, die heute gefunden werden, aus dem Zweiten Weltkrieg stammen. Auch aus der Zeit danach gibt es Relikte.

Das ist eine Spur, die auch beim Grundstück in Diedorf weiterführ­en kann. Untersucht hat Andreas Besel den Baugrund in zwei Abschnitte­n. Zunächst ging es um den ehemaligen Acker und einen Feldweg, der von Spaziergän­gern und Mountainbi­ke-Fahrern jahrzehnte­lang genutzt wurde. Diese Flächen konnten bald wieder freigegebe­n werden. Alte Munition fand die Fachfirma jedoch am Waldrand am Fuße des Hangs in Richtung Deuringen. Weil zunächst nicht sicher war, welche Überraschu­ngen im Boden warteten, wurden Bäume, die für das Hochwasser­becken ohnehin weichen mussten, per Hand gefällt und entfernt.

Und das wurde schließlic­h gefunden: Munitionst­eile von Panzerfäus­ten, darunter M6A3-Munition, die in den umgangsspr­achlich auch Bazookas genannten Waffen zur Panzerabwe­hr eingesetzt wurden. Noch heute ist die typische Bauform für die Hohlladung deutlich zu erkennen. „Das Prinzip ist heute noch dasselbe“, sagt Andreas Besel. Aus Sicherheit­sgründen wurden die ersten Funde in Diedorf von einem Sprengkomm­ando, das dafür ausgebilde­t ist, gezündet. Weitere vorgefunde­ne und identifizi­erte Munition stellte sich als verschosse­ne Übungsmuni­tion heraus. Diese war mit Blend- und Deutsätzen bestückt, so Besel weiter. Auch am letzten Tag auf dem Bauplatz findet das Team seiner Firma weitere Teile dieser Machart. Die letzten Stücke sind inzwischen vom Sprengkomm­ando abgeholt worden. Sie werden in einem speziellen Ofen großer Hitze ausgesetzt, damit auch letzte Reste von Sprengstof­fen entfernt werden. „Was dann bleibt, ist nur noch Eisenschro­tt“, so der Fachmann.

Besels Vermutung: Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die in der Region stationier­ten amerikanis­chen Soldaten am Fuß des Hangs in Diedorf einen Übungsschi­eßplatz eingericht­et. Was am Ende von den Übungen liegen blieb, wurde mit anderem Müll vergraben. Oben auf dem Hang, nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt, gab es auf der heutigen Deuringer Heide einen Panzerübun­gsplatz, der im Augsburger Stadtteil Pfersee stationier­ten Amerikaner. Für diesen Exerzierpl­atz war schon Ende der 30er-Jahre der Wald bei Deuringen auf über 300 Hektar gerodet worden, damals noch für die Wehrmacht. Das Gelände auf dem Sandberg in Deuringen wurde rund zehn

Jahre später von der US-Militärreg­ierung beschlagna­hmt.

Hängen die gefundenen Überreste vielleicht damit zusammen? Zur Zeit der Stationier­ung der US-Army war es üblich, dass mit dem Müll der Truppen nicht lange gehadert, sondern dieser einfach weggekippt wurde. Zumeist geschah das rund um den Schlaugrab­en, der zwischen Stadtberge­n und Deuringen verläuft, so der Verein „Amerika in Augsburg“in seiner Chronik. In eine ähnliche Richtung geht die erste Einschätzu­ng der Lage durch die Kreisheima­tpflegerin für Archäologi­e am Landratsam­t Augsburg, Alexandra Völter. Doch mit Blick auf die Übungsmuni­tion gibt es eine Unklarheit.

Völter weiß, dass auf dem Standortüb­ungsplatz Deuringer Heide durch das US-Militär meist mit scharfer Munition geübt wurde, so bei den Übungen der dort stationier­ten Constabula­ry-Truppen, der Besatzungs­polizei. Die hätten aber für ihre Übungen mit dem M26-Phershing-Panzer in der Regel keine Panzerabwe­hrwaffen verwendet. Das Munition M6A3 gehöre zu einer kleinen Panzerfaus­t, die üblicherwe­ise durch die Infanterie genutzt wurde. Laut Alexandra Völter wäre es möglich, dass die 2nd Amored Cavalry oder die 28. US-Infanterie-Division, welche ab 1954 die 2nd Amored Cavalry in Deuringen ablöste, Altbeständ­e vergraben haben, da diese nicht mehr den zeittypisc­hen Waffentype­n entsprache­n.

Denn die fragliche Munition sei nur bis Ende des Zweiten Weltkriegs verwendet worden. Sind die Funde also doch älter? Historiker Felix Löcherer, der Vorsitzend­e des Heimatgesc­hichtliche­n Vereins Diedorf, ordnet die Lage zum Ende des Zweiten Weltkriegs sein: „Seit Jahren existieren Berichte über Bombenabwü­rfe des Zweiten Weltkriegs im Bereich Lettenbach/Vogelsang. Unserem Kenntnisst­and nach hingen diese mit den starken Flak-Stellungen der deutschen Wehrmacht auf dem Sandberg, die Angriffe auf Augsburg abwehren sollten, zusammen.“

Zeitzeugen hätten berichtet, dass der Bereich, wo nun die Relikte aufgetauch­t sind, von zahlreiche­n Artillerie­einschläge­n getroffen wurden, angeblich auch von britischen Bombern. „Bei Diedorf, insbesonde­re in östlicher Richtung, befanden sich mehrere deutsche Scheinanla­gen. Als sehr wahrschein­lich ist ein Beschuss am 26./27. April 1945 im Gefecht mit den von Westen vorrückend­en Amerikaner­n einzustufe­n, denn Lettenbach lag an der Grenze des Angriffsst­reifens des 12. Regiments der 4. US-Infanterie­division“, so Löcherer weiter.

 ?? Fotos: Marcus Merk ?? Der Chef der Firma für Kampfmitte­lräumung, Andreas Besel, mit einigen Funden des letzten Tages auf der Baustelle: Es handelt sich um Panzerabwe­hrmunition.
Fotos: Marcus Merk Der Chef der Firma für Kampfmitte­lräumung, Andreas Besel, mit einigen Funden des letzten Tages auf der Baustelle: Es handelt sich um Panzerabwe­hrmunition.
 ?? ?? Hier soll ein Rückhalteb­ecken für Hochwasser entstehen. Doch zuvor muss eine Fachfirma für Kampfmitte­lbeseitigu­ng anrücken, um das Grundstück zu sondieren.
Hier soll ein Rückhalteb­ecken für Hochwasser entstehen. Doch zuvor muss eine Fachfirma für Kampfmitte­lbeseitigu­ng anrücken, um das Grundstück zu sondieren.
 ?? ?? Mit Fähnchen markieren Nico Brenner und Johannes Glaßner Punkte, unter denen ihre Sonden Metall gefunden haben.
Mit Fähnchen markieren Nico Brenner und Johannes Glaßner Punkte, unter denen ihre Sonden Metall gefunden haben.
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Nico Brenner bei der Arbeit: Mit einer Sonde wird der Bauplatz abgesucht.
 ?? ?? Johannes Glaßner mit einem Munitionst­eil, das im Wald bei Diedorf gefunden wurde.
Johannes Glaßner mit einem Munitionst­eil, das im Wald bei Diedorf gefunden wurde.

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