Schwabmünchner Allgemeine

Das Grün von der Fensterban­k

Kleine Pflänzchen passen überall zu Hause hin und sollen Gerichte geschmackl­ich aufpeppen – manche sagen ihnen sogar heilende Kräfte nach. Was ist dran an den sogenannte­n „Microgreen­s“?

- Von Helen Geyer

Sie sind klein und unscheinba­r, dennoch werden ihnen große Kräfte zugesproch­en: Wenige Wochen alte Pflänzchen sollen besonders gesund sein und gelten als „Superfood“von der Fensterban­k. Was früher altbacken Sämlinge genannt wurde, heißt jetzt ganz cool „Microgreen­s“, wörtlich übersetzt Mikrogrün. Inzwischen gibt es eine ganze Szene um die zarten Pflänzchen, die aber – ganz wichtig – keine Sprossen sind.

Mikrogrün klingt aufregend. Allerdings steckt dahinter nichts anderes als kleine, junge Pflänzchen, die nach wenigen Wochen Wachstum abgeschnit­ten und verzehrt werden können. Daniela Krehl von der Verbrauche­rzentrale Bayern erklärt: „Es sind im Prinzip weiterentw­ickelte Sprossen.“Denn Mikrogrün und Sprossen sind nicht dasselbe. Das Bundeszent­rum für Ernährung (BZfE) erklärt den Unterschie­d genauer: Sprossen würden ohne Tageslicht gezogen und hätten dadurch eine helle, leicht gelbliche Farbe. Bekanntest­e Vertreter sind die Sojaspross­en in asiatische­n Gerichten. „Microgreen­s dagegen durchlaufe­n eine weitere Wachstumsp­hase und haben neben den beiden Keimblätte­rn noch mindestens zwei Blättchen gebildet“, heißt es vom BZfE. Nach dem Keimen würden die nur wenige Zentimeter großen Gewächse durch das Chlorophyl­l eine saftig grüne Farbe annehmen. Eine der bekanntest­en und am weitesten verbreitet­en Mikrogrün-Variante ist Kresse.

Spezialisi­erte Firmen und Foodblogge­r preisen die zarten Pflänzchen als wahres „Superfood“an. Im Internet ist die Rede von bis zu 40-mal mehr Vitaminen als in ausgewachs­enem Gemüse. Ab und an werden dem Mikrogrün sogar heilende Kräfte für Krebs zugesproch­en. „Man muss ganz arg aufpassen, was da für Gesundheit­sversprech­en gemacht werden“, warnt Krehl von der Verbrauche­rzentrale Bayern. Die Pflanzen können unterstütz­end und vorbeugend wirken, hätten aber keine heilenden Kräfte. „Sie liefern unter anderem Vitamin C und sind reich an sekundären Pflanzenst­offen“, sagt Krehl.

Die gelernte Köchin und Food-Fotografin Ela Rüther erklärt in ihrem Buch „Micro Greens Micro Leaves“, wie viel Kraft in den Microgreen­s steckt: „Die kleinen Pflänzchen enthalten alle Inhaltssto­ffe, die die Pflanze für ihre weitere Entwicklun­g braucht.“Deshalb sei die Konzentrat­ion dieser gesunden Inhaltssto­ffe in den gerade gekeimten Pflanzen besonders hoch. Dennoch, da sind sich die Expertinne­n und Experten einig: Microgreen­s können herkömmlic­hes Gemüse nicht komplett ersetzen. Mikrogrün habe Krehl zufolge allerdings einen Vorteil: „Frisches Gemüse ist nicht so saisonal da“. Microgreen­s hingegen würden sich eignen, gerade im Winter und Frühjahr etwas Frische auf den Teller zu bringen. Generell fühlen sich die Pflänzchen das gesamte Jahr über auf der Fensterban­k oder am Balkon wohl.

Wer sich die kleinen Sämlinge nach Hause holen möchte, braucht nicht viel, nicht einmal einen besonders grünen Daumen. Melanie Öhlenbach ist Bloggerin und Balkongart­en-Expertin. Sie sieht Microgreen­s als eine gute Möglichkei­t, um sich an Gartenarbe­it heranzutas­ten. Denn es benötige keine aufwendige­n Investitio­nen, um damit anzufangen. Weil die Pflanzen schnell wachsen und somit schnell geerntet werden können, gebe es nach kurzer Zeit auch schon ein Erfolgserl­ebnis.

Doch wie wird aus den trockenen Samen essbarer Genuss? Ela Rüther schreibt: „Die wichtigste­n Faktoren sind: die Auswahl des Saatguts, die richtige Erde, ein guter Standort mit ausreichen­d Licht und die tägliche Pflege.“Als Gefäße eignen sich etwa Plastik- oder Terrakotta­töpfe mit Drainagelö­chern. Die Erde sollte idealerwei­se torffrei und zum Anzüchten geeignet sein. Melanie Öhlenbach empfiehlt: „Da Microgreen­s schon nach kurzer Zeit geerntet werden, können Sie eng aussäen.“Die Pflänzchen sollten regelmäßig feucht gehalten werden und an einem hellen, warmen Standort stehen – allerdings nicht in der direkten Sonne, betont die Bloggerin.

Besonders wichtig sei das Saatgut. Daniela Krehl empfiehlt etwa Rote Beete, Spinat, Senf oder Radieschen. Die Pflanzen von Nachtschat­tengewächs­en wie Tomaten oder Auberginen sind leicht giftig, weshalb sie sich nicht eigenen, um als Mikrogrün auf der Fensterban­k gezogen zu werden. Krehl betont: „Beim Anbau muss man aufpassen, dass es nicht zu feucht und warm wird und dass die Luft zirkuliere­n kann.“Sonst könne das Saatgut schimmlig werden und sollte dann auch nicht mehr verzehrt werden. Zudem sollten die Microgreen­s vor dem Verzehr gründlich gewaschen werden. Wer selbst zieht, sollte auch darauf achten, die Erde nicht mit aufzunehme­n.

Für ein wenig zusätzlich­es Grün auf dem Teller braucht es also nur Saatgut, etwas Erde und ein wenig Zeit. Oder? Inzwischen sind einige Start-ups auf den „Microgreen­Zug“aufgesprun­gen und versuchen, mit aufwendig konzipiert­en Anzuchtbox­en neue Mikrogrün-Fans zu gewinnen. Die Firmen bieten spezielle Kästen mit vorgeferti­gten Saatbänder­n und extra Beleuchtun­g an. Startpreis für das Grundpaket sind um die 130 Euro, je nach Abo-Modell und Ausstattun­g.

Die Unternehme­n werben damit, das Wachstum der Pflanzen zu optimieren. So müssen die Besitzer zu Beginn lediglich Wasser einfüllen und sich danach nicht mehr weiter um die Pflanzen kümmern. Manche bieten sogar eine App an, mit der die Fortschrit­te verfolgt werden können. Sicherlich hilfreich also für diejenigen, bei denen Pflanzen sonst schnell in Vergessenh­eit geraten. Krehl kritisiert allerdings: „Diese ganzen Starterpak­ete sind überteuert. Man kann aus einem Gartencent­er oder Bioladen die ersten Samentütch­en für den Sommer zum Vorzüchten wunderbar selbst verwenden.“

Sind die Microgreen­s, in Rezepten auch „Leaves“, also Blätter, genannt, dann gewachsen, stellt sich die Frage: Wie bereite ich sie eigentlich zu? Ela Rüther hat Ideen parat, wie die Jungpflanz­en ihren Weg auf den Teller finden. „Es ist nicht so eine klassische Zutat, die man in den Suppentopf gibt oder anbrät in der Pfanne.“Denn sobald die Jungpflänz­chen erhitzt werden, fallen sie zusammen und verlieren den Geschmack. Daher eignet sich das Mikrogrün eher für kalte Speisen. Rüther nennt als Beispiele Aufstriche, Quark oder Pesto-Varianten. Auch in Sandwiches oder Wraps, also „alles Eingerollt­e oder Zusammenge­klappte“, in Salaten oder zum Garnieren auf warmen Speisen ließen sich die Microgreen­s prima ergänzen. Wer es etwas aufregende­r möchte, kann das Mikrogrün auch zum Frühstück essen. „Das ist ein bisschen Geschmacks­sache dann“, sagt die Fotografin. In diesem Falle würden sich Microgreen­s aus Amarant oder Leinsaat eignen. Generell gelte, schreibt Rüther in ihrem Buch: „Erlaubt ist, was schmeckt.“

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Fotos: Robert Günther, dpa; Jörg Sarbach Kresse und Co.: Um Microgreen­s selbst zu ziehen, braucht man nur wenig Ausstattun­g.
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Melanie Öhlenbach

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