Antikörper gegen Schlangenbisse
Jedes Jahr sterben Tausende Menschen an den Attacken. Und jede Art produziert ihren eigenen Giftcocktail. Nun könnte es aber Abhilfe gegen gleich mehrere Sorten geben.
Es soll der erste Schritt auf dem Weg zu einem universellen Antivenom gegen Schlangengifte sein. Ein Antikörper schützt vor Toxinen einer ganzen Familie von Schlangen: der Giftnattern. Zu dieser großen Gruppe der Giftschlangen gehören neben Kobras und Kraits auch Mambas, Seeschlangen und die extrem giftigen Taipane. Jede dieser Arten produziert einen eigenen Giftcocktail: Gefährlich sind bei Giftnattern vor allem sogenannte 3-FingerToxine, die auf Nerven, auf das Herz, Zellen und Gewebe wirken und Lähmungen hervorrufen. Der nun vorgestellte Antikörper soll diese unschädlich machen.
Guido Westhoff, Vorsitzender des SerumDepots Deutschland, spricht von einem bahnbrechenden Vorgehen des Teams, das in vielerlei Hinsicht hochinteressant sei. Jedes Jahr sterben weltweit bis zu 138.000 Menschen an Schlangenbissen – vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika. Zudem erleiden rund 400.000 Menschen bleibende Schäden wie etwa Sehverlust oder Amputationen von Gliedmaßen. Ein Problem ist, dass Schlangengifte oft Cocktails von Stoffen enthalten, die aus verschiedenen Toxinfamilien stammen und unterschiedliche Organsysteme schädigen. Gegengifte sind meist teuer und unzuverlässig, haben Risiken und sind gerade in ländlichen Regionen kaum verfügbar.
Derzeit werden Gegengifte gewonnen, indem Pferden oder Rindern ein Schlangengift verabreicht wird und aus ihrem Blutserum dann Antikörper isoliert werden. Das ist aufwendig und hilft allenfalls bei Bissen eng verwandter Arten. Ziel der Forschung ist seit Langem ein universell einsetzbares Antivenom, das gegen Bisse verschiedenster Schlangen hilft. Doch das ist schwierig – immerhin sind etwa 600 der insgesamt 3000 Schlangenarten weltweit giftig.
Das Forschungsteam um Kartik Sunagar vom Indian Institute of Science in Bangalore und Joseph Jardine vom Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla konzentrierte sich nun auf Antikörper gegen 3-FingerToxine (3FTx) wie etwa Bungarotoxin. Diese zählten zu den häufigsten und tödlichsten Toxinen von Giftnattern, schreibt die Gruppe im Fachjournal Science Translational Medicine. Dabei suchte das Team nach 3FTx-Proteinen, die sich bei verschiedenen Giftnattern stark ähneln.
Dann durchforsteten sie Datenbanken mit Milliarden menschlichen Antikörpern nach jenen, die besonders gut an diese verschiedene 3FTx-Varianten binden können. Dabei stießen sie auf den Antikörper 95Mat5, der an die sieben langkettigen Varianten dieser Toxingruppe andockt. „Wir konnten uns auf den sehr geringen Prozentsatz jener Antikörper fokussieren, die mit all diesen verschiedenen Toxinen kreuzreagierten“, sagt Mitautorin und Scripps-Forscherin Irene Khalek.
Das Team stellte den Antikörper 95Mat5 synthetisch her und testete dessen Schutzwirkung an Mäusen. Das Ergebnis: Der Antikörper steigerte die Überlebensrate drastisch, bei den meisten Giften überlebten alle behandelten Tiere. Lediglich gegen das Gift der Königskobra bot der Antikörper keinen kompletten Schutz. Dies begründet das Team mit der Komplexität dieses speziellen Giftcocktails. „Insgesamt zeigen diese Daten, dass ein einzelner Antikörper breiten Schutz gegen Gifte bietet, die 3FTx-L enthalten und dass er kommerziellen Antivenomen überlegen ist“, schreibt die Forschungsgruppe.
Auch wenn der Antikörper sich als vielversprechend erwiesen habe, sei er allein nicht ausreichend als universelles Antivenom. „Da Schlangengift ein komplexer Cocktail von Toxinen ist, erfordert dies den Einschluss von breit neutralisierenden Antikörpern gegen mehrere Giftklassen, darunter kurzkettige 3FTx und Phospholipasen in Giftnattern und Metallproteinasen, Phospholipasen und Serinproteasen in Vipern“, heißt es. „Daher bräuchte ein abschließendes universelles Antivenom wahrscheinlich mindestens vier bis fünf Antikörper, um die zusätzlichen Giftgruppen effektiv abzudecken.“Doch da 95Mat5 einen der vielfältigsten und giftigsten Bestandteile von Schlangengiften neutralisiere, sei seine Entdeckung ein wichtiger erster Schritt hin zu einem Universal-Antivenom.
Derzeit sucht das Team nach Antikörpern gegen ein weiteres Toxin von Giftnattern sowie gegen zwei Vipern-Toxine. Der Hamburger Experte Westhoff betrachtet vor allem die Methodik als Durchbruch. Dass man solche Antikörper synthetisch herstellen könne, vermeide nicht nur Leid bei den bisherigen Versuchstieren. „Solche synthetischen Antikörper lassen sich einfacher und günstiger herstellen und wirken viel spezifischer und risikoärmer“, betont Westhoff.