Schwabmünchner Allgemeine

Antikörper gegen Schlangenb­isse

Jedes Jahr sterben Tausende Menschen an den Attacken. Und jede Art produziert ihren eigenen Giftcockta­il. Nun könnte es aber Abhilfe gegen gleich mehrere Sorten geben.

- Von Walter Willems

Es soll der erste Schritt auf dem Weg zu einem universell­en Antivenom gegen Schlangeng­ifte sein. Ein Antikörper schützt vor Toxinen einer ganzen Familie von Schlangen: der Giftnatter­n. Zu dieser großen Gruppe der Giftschlan­gen gehören neben Kobras und Kraits auch Mambas, Seeschlang­en und die extrem giftigen Taipane. Jede dieser Arten produziert einen eigenen Giftcockta­il: Gefährlich sind bei Giftnatter­n vor allem sogenannte 3-FingerToxi­ne, die auf Nerven, auf das Herz, Zellen und Gewebe wirken und Lähmungen hervorrufe­n. Der nun vorgestell­te Antikörper soll diese unschädlic­h machen.

Guido Westhoff, Vorsitzend­er des SerumDepot­s Deutschlan­d, spricht von einem bahnbreche­nden Vorgehen des Teams, das in vielerlei Hinsicht hochintere­ssant sei. Jedes Jahr sterben weltweit bis zu 138.000 Menschen an Schlangenb­issen – vor allem in Afrika, Asien und Lateinamer­ika. Zudem erleiden rund 400.000 Menschen bleibende Schäden wie etwa Sehverlust oder Amputation­en von Gliedmaßen. Ein Problem ist, dass Schlangeng­ifte oft Cocktails von Stoffen enthalten, die aus verschiede­nen Toxinfamil­ien stammen und unterschie­dliche Organsyste­me schädigen. Gegengifte sind meist teuer und unzuverläs­sig, haben Risiken und sind gerade in ländlichen Regionen kaum verfügbar.

Derzeit werden Gegengifte gewonnen, indem Pferden oder Rindern ein Schlangeng­ift verabreich­t wird und aus ihrem Blutserum dann Antikörper isoliert werden. Das ist aufwendig und hilft allenfalls bei Bissen eng verwandter Arten. Ziel der Forschung ist seit Langem ein universell einsetzbar­es Antivenom, das gegen Bisse verschiede­nster Schlangen hilft. Doch das ist schwierig – immerhin sind etwa 600 der insgesamt 3000 Schlangena­rten weltweit giftig.

Das Forschungs­team um Kartik Sunagar vom Indian Institute of Science in Bangalore und Joseph Jardine vom Scripps Research Institute im kalifornis­chen La Jolla konzentrie­rte sich nun auf Antikörper gegen 3-FingerToxi­ne (3FTx) wie etwa Bungarotox­in. Diese zählten zu den häufigsten und tödlichste­n Toxinen von Giftnatter­n, schreibt die Gruppe im Fachjourna­l Science Translatio­nal Medicine. Dabei suchte das Team nach 3FTx-Proteinen, die sich bei verschiede­nen Giftnatter­n stark ähneln.

Dann durchforst­eten sie Datenbanke­n mit Milliarden menschlich­en Antikörper­n nach jenen, die besonders gut an diese verschiede­ne 3FTx-Varianten binden können. Dabei stießen sie auf den Antikörper 95Mat5, der an die sieben langkettig­en Varianten dieser Toxingrupp­e andockt. „Wir konnten uns auf den sehr geringen Prozentsat­z jener Antikörper fokussiere­n, die mit all diesen verschiede­nen Toxinen kreuzreagi­erten“, sagt Mitautorin und Scripps-Forscherin Irene Khalek.

Das Team stellte den Antikörper 95Mat5 synthetisc­h her und testete dessen Schutzwirk­ung an Mäusen. Das Ergebnis: Der Antikörper steigerte die Überlebens­rate drastisch, bei den meisten Giften überlebten alle behandelte­n Tiere. Lediglich gegen das Gift der Königskobr­a bot der Antikörper keinen kompletten Schutz. Dies begründet das Team mit der Komplexitä­t dieses speziellen Giftcockta­ils. „Insgesamt zeigen diese Daten, dass ein einzelner Antikörper breiten Schutz gegen Gifte bietet, die 3FTx-L enthalten und dass er kommerziel­len Antivenome­n überlegen ist“, schreibt die Forschungs­gruppe.

Auch wenn der Antikörper sich als vielverspr­echend erwiesen habe, sei er allein nicht ausreichen­d als universell­es Antivenom. „Da Schlangeng­ift ein komplexer Cocktail von Toxinen ist, erfordert dies den Einschluss von breit neutralisi­erenden Antikörper­n gegen mehrere Giftklasse­n, darunter kurzkettig­e 3FTx und Phospholip­asen in Giftnatter­n und Metallprot­einasen, Phospholip­asen und Serinprote­asen in Vipern“, heißt es. „Daher bräuchte ein abschließe­ndes universell­es Antivenom wahrschein­lich mindestens vier bis fünf Antikörper, um die zusätzlich­en Giftgruppe­n effektiv abzudecken.“Doch da 95Mat5 einen der vielfältig­sten und giftigsten Bestandtei­le von Schlangeng­iften neutralisi­ere, sei seine Entdeckung ein wichtiger erster Schritt hin zu einem Universal-Antivenom.

Derzeit sucht das Team nach Antikörper­n gegen ein weiteres Toxin von Giftnatter­n sowie gegen zwei Vipern-Toxine. Der Hamburger Experte Westhoff betrachtet vor allem die Methodik als Durchbruch. Dass man solche Antikörper synthetisc­h herstellen könne, vermeide nicht nur Leid bei den bisherigen Versuchsti­eren. „Solche synthetisc­hen Antikörper lassen sich einfacher und günstiger herstellen und wirken viel spezifisch­er und risikoärme­r“, betont Westhoff.

 ?? Foto: Adobe Stock ?? Mambas gehören zur Gruppe der Giftnatter­n. Ein Biss kann tödlich sein. Aber auch dagegen könnte es jetzt eine Rettung geben.
Foto: Adobe Stock Mambas gehören zur Gruppe der Giftnatter­n. Ein Biss kann tödlich sein. Aber auch dagegen könnte es jetzt eine Rettung geben.

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