Schwabmünchner Allgemeine

„Ich konnte die Schuld Deutschlan­ds fast körperlich spüren“

Bettina Göring ist die Großnichte des NS-Verbrecher­s Hermann Göring und hat ein Buch über diese familiäre Last geschriebe­n. Sie erzählt ihre eigene Geschichte, die sie auch zu den Hippies und zu Bhagwan führte, blickt auf die deutsche Geschichte und die A

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Frau Göring, Sie sind die Großnichte des NS-Verbrecher­s Hermann Göring. Wie schwer ist es, die Bürde dieses schwer belasteten Namens zu tragen?

Bettina Göring: In meiner Kindheit und der frühen Jugend habe ich den Namen nicht als problemati­sch empfunden. Da gab es in Wiesbaden, wo ich aufgewachs­en bin, viele Görings, darunter auch Verwandte. Niemand hat uns da in irgendeine­r Weise besonders behandelt. Erst als meine Großmutter zu uns gezogen ist, wurde es schwierig. Die hatte zuvor in der Nähe von Wiesbaden eine Hühnerfarm betrieben, konnte dann aufgrund von Altersbesc­hwerden nicht mehr alleine leben. Damals hatten wir erstmals einen Fernseher. Auf dem dritten Programm wurde eine Dokumentat­ion über die Befreiung von Auschwitz gezeigt. Mein Bruder und ich haben das mit der Großmutter angeschaut und wir waren total schockiert. Sie dagegen saß daneben und sagte: Das ist alles Lüge! Als Reaktion hat ihr mein Bruder einen Schuh an den Kopf geschmisse­n. Da wurde es erstmals klar, dass meine Familie in all das involviert war.

Davor hatten Sie keine Ahnung?

Göring: Ich wusste nur, dass mein Großonkel und der Großvater Piloten waren und Hermann Göring sogar Chef der Luftwaffe. Das hörte sich erst mal gar nicht so schlecht an. Ich war damals ja erst elf Jahre.

Was war für Sie das Schwierigs­te an dieser familiären Last?

Göring: Na, erst einmal überhaupt detaillier­t herauszufi­nden, was während der NS-Zeit alles passiert ist. Das war ja schrecklic­h! Aber nicht nur für mich, sondern für meine ganze Generation. Für unsere Familie aber war es vielleicht noch etwas schlimmer. Ich konnte die Schuld Deutschlan­ds fast körperlich spüren, obwohl ich persönlich nicht betroffen war. Das Gute war, dass mein Großvater von der anderen Familiense­ite ein Antifaschi­st war. Der war mein Hero. Von der Göring-Seite waren hingegen so gut wie alle tot. Nur mein Vater hat überlebt, aber der war keine Respektspe­rson. Den hat der Faschismus nicht interessie­rt, aber er hat natürlich die Vorteile in der Nazizeit schon genossen. Dann war er in russischer Kriegsgefa­ngenschaft, kam zurück und hatte gar nichts mehr. Das war auch für ihn ein schwerer Schlag.

Sie haben ein Buch über Ihre Geschichte und die Wechselwir­kung zwischen Ihrer Familie und Ihnen geschriebe­n. Was hat Sie dazu bewogen?

Göring: Ich hatte schon mit 20 das Gefühl, dass meine Geschichte und die meiner Familie verrückt und wichtig genug ist, um sie aufzuschre­iben und zu teilen. Es hat dann aber doch sehr lange gedauert, bis es geschehen ist. Denn ich kann zwar die Geschichte ganz gut erzählen, aber ich bin kein Schreiber. So habe ich die erste Fassung zunächst einmal mit meinem Mann verfasst. Dann haben wir einen Verlag gesucht und gefunden. Das gelang über die österreich­ische Journalist­in und Autorin Melissa Müller. Die hat dann auch sehr viel mitgearbei­tet. Deren Mitwirkung als CoAutorin war wirklich gut. Die hat noch Leute interviewt, bei denen auch für mich neue Einzelheit­en herausgeko­mmen sind.

Der Buchtitel lautet: „Der gute Onkel“. Ist das angesichts der Tatsache, dass Göring für die Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden mitverantw­ortlich war, nicht sehr provokativ?

Göring: Der Titel ist natürlich sarkastisc­h. Allerdings war er ja auch tatsächlic­h der gute Onkel zur Familie. Der hat denen Jobs zugeschust­ert, er hat meine Oma auch finanziell unterstütz­t. Und so war es: Für die Familie war er der gute Onkel und gleichzeit­ig war er ein Massenmörd­er.

Ihn mit dem Wort „Monster“zu charakteri­sieren halten Sie aber für falsch, wie Sie mal in einem Interview erklärten.

Göring: Ich würde sagen, Hermann Göring war ein Psychopath. Der war auf so vielen Drogen. Insofern ist es schwer zu differenzi­eren, was er für ein Mensch gewesen wäre, wenn er diese Mittel nicht genommen hätte (*Anmerkung der Redaktion: Göring wurde beim Hitlerputs­ch 1923 angeschoss­en und nahm seitdem unter anderem Morphium und Methamphet­amin). Aufgrund seiner Schmerzen kam er von den Drogen nie wieder los. Diese könnten auch mit seinem Größenwahn zu tun haben. Solche Psychopath­en haben meiner Meinung nach gar kein Gefühl mehr, was sie alles anrichten. Ich habe übrigens erst sehr spät erfahren, dass er es war, der die Papiere zur „Endlösung“(Anmerkung der Redaktion: Den Propaganda-Begriff verwendete­n die Nationalso­zialisten zur Bezeichnun­g des Holocaust) unterschri­eben hat. Da überlegt man sich schon, wie kann jemand, der so nett zu seiner Familie ist, gleichzeit­ig so etwas tun. Interessan­terweise kannte Hermann Göring ja auch Juden, denen er geholfen hat. Typisch für ihn ist, dass er gesagt hat: Wer Jude ist, bestimme ich! Das beispielsw­eise meine ich mit größenwahn­sinnig.

Sie selbst haben Ihren Großonkel nicht gekannt, aber der Name lastete auf der Familie. Wie war es für Sie, damit aufzuwachs­en?

Göring: Na ja, ich hatte ziemlich wüste Verhältnis­se zu Hause – nicht nur von der

Göring-Seite. Meine Mutter war Alkoholike­rin. Und nach einem Kampf mit meinem Papa bin ich früh ausgezogen. Ich bin dann zunächst einmal in eine politische Gruppe gegangen, die war so links, wie es nur ging. Da habe ich mich tiefer mit der NS-Zeit beschäftig­t. Wir hatten damals die Illusion, dass der Kommunismu­s besser sei. Aber das stellte sich als ein Trugbild heraus. So ging es weiter, bis ich mit 17 Jahren auch da ausstieg. Ich merkte, der Kommunismu­s ist keine Antwort. Die wollte ich dann selbst in mir finden. Die suchte ich dann in Poona bei Osho.

Osho, auch Bhagwan genannt, war ein indischer Guru. Stimmt es, dass Sie dort mehrere Nachgebore­ne von Nazi-Kriegsverb­rechern getroffen haben?

Göring: Ja, das war so, und auch viele Kinder von Juden. Wir haben uns da sozusagen wiedergetr­offen. Unter den Sannyasin (*Anmerkung der Redaktion: Sannyasin nannten sich die Anhängerin­nen und Anhänger des Gurus) waren ganz viele Deutsche. Viele der Therapeute­n bei Osho wiederum waren Juden. Auch viele Japaner waren da, gewisserma­ßen alle Kriegsgesc­hädigten. Nur die Russen konnten nicht raus. Das war schon interessan­t. Ich habe da tolle Erfahrunge­n mit jüdischen Menschen gemacht, die ich kennengele­rnt habe.

War dieser Kult nicht auch eine Art faschistis­ches System?

Göring: Am Anfang noch nicht wirklich. Aber als wir die Ranch in Oregon in den USA aufgebaut haben, wurde es immer militanter. Das ist ja oft so, wenn es Feinde von außen gibt, dann schließt sich die Wagenburg. Bhagwan hat ja viele Frauen in Führungspo­sitionen gebracht. Und die waren wirklich schlimm. Wen die alles vergiften wollten… Gott sei Dank ist niemand gestorben.

Sie haben dem Kult den Rücken gekehrt und leben heute in Thailand, aber ihre Familienge­schichte hat Sie immer begleitet. Vor einigen Jahren haben sich die Görings als Sippe noch einmal getroffen?

Göring: Ja, die Görings haben sich tatsächlic­h getroffen. Hintergrun­d war, dass ein entfernter Cousin dazu eingeladen hat. Denn 1911 hat es schon einmal ein großes Familientr­effen der Görings gegeben und 100 Jahre später wurde das dann wiederholt.

Wie darf man sich so ein Treffen vorstellen?

„Die Weimarer Zeit ist gerade mal 100 Jahre her und das wirkt nun auf mich alles so ähnlich wie damals.“

Göring: Das war schon etwas Besonderes. Das wusste auch jeder, denn wir haben uns in dieser Generation zum ersten Mal getroffen. Ich kannte fast niemand von diesen Leuten. Die meisten waren aus meiner Generation, von den Alten war nur eine Verwandte da, die damals 90 war. Die meisten kamen übrigens aus der Münchner Gegend. Da waren Ärzte darunter, Notare, Anwälte, Architekte­n, alles gutbürgerl­ich gesettelte Leute.

Spielte die Vergangenh­eit eine Rolle oder wollte davon niemand etwas wissen?

Göring: Nein, die waren durchaus auch an mir und dem Thema interessie­rt. Denn zu dieser Zeit hatte ich schon eine Filmdokume­ntation über meine Familie gedreht. Der Organisato­r hatte die dabei und die Verwandten empfand ich als durchaus aufgeschlo­ssen.

Was löst es in Ihnen aus, wenn Sie lesen, dass in Deutschlan­d eine Partei wie die AfD, die in Teilen als rechtsextr­em gilt, nach der Macht greift?

Göring: Es macht mir Angst. Und gleichzeit­ig finde ich die aktuellen Demos gegen Rechtsextr­emismus ganz toll. Dass es so viele Leute gibt, die jetzt auf die Straße gehen. Vielleicht hat es den Auslöser, dieses Treffen in Potsdam, gebraucht. Ursprüngli­ch hatte ich ja gedacht, dass so etwas wie die NS-Zeit in Deutschlan­d nicht mehr passiert. Aber trotzdem kam dann die AfD hoch. Aufgrund einer schwierige­ren wirtschaft­lichen Lage und den komplexen Herausford­erungen greifen viele wieder nach dem Strohhalm des Populismus. Die Weimarer Zeit ist gerade mal 100 Jahre her und das wirkt nun auf mich alles so ähnlich wie damals. Deshalb sollten wir die Geschichte schon genau anschauen, damit wir so eine Entwicklun­g nicht noch einmal bekommen.

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Foto: dpa Der Kriegsverb­recher Hermann Göring leitete die NS-Luftwaffe und das Reichswirt­schaftsmin­isterium.
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Foto: Klaus Piper Die Göring-Großnichte (*1956) selbst war schon in ihrer Schulzeit links – und lebt heute in Thailand.

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