Schwabmünchner Allgemeine

„Darmkrebs trifft immer mehr Jüngere“

Die Zahl der Erkrankung­en sinkt und es sterben weniger Menschen daran. Doch Aufklärung und Informatio­n sind weiter nötig, denn immer weniger Menschen nutzen die Vorsorgemö­glichkeite­n – mit gefährlich­en Folgen.

- Interview: Daniela Hungbaur

Herr Dr. Birkner, Sie sind Gründungsm­itglied und Präsident des Netzwerkes gegen Darmkrebs. Sinkt oder steigt die Zahl der Darmkrebse­rkrankunge­n?

Dr. Berndt Birkner: Insgesamt sinkt die Zahl, und zwar eben in Folge der verstärkte­n Darmkrebsv­orsorge. Seit im Jahr 2002 die Vorsorge um die Darmspiege­lung ergänzt wurde, sind sowohl die Häufigkeit der Erkrankung als auch die Sterberate reduziert worden: In den letzten 20 Jahren konnten so über 150.000 Sterbefäll­e verhindert und mehr als 350.000 Erkrankung­en vermieden werden. Die Darmspiege­lung ist damit die effektivst­e Krebsvorso­rge überhaupt. Wir haben längst bewiesen: Die Darmkrebsv­orsorge wirkt!

Das müssen Sie bitte erklären.

Birkner: Nur bei der Koloskopie, also der Darmspiege­lung, können Adenome, also Polypen, die eine Vorstufe eines Darmkrebs-Karzinoms bilden können, sofort entfernt und damit das Risiko für eine Krebserkra­nkung wirklich deutlich reduziert werden. Keine der anderen Krebsvorso­rgeuntersu­chungen hat die gleiche Effizienz wie eine Darmspiege­lung, sie ist das Role Model der Vorsorge.

Doch zu wenige nutzen sie, oder?

Birkner: Ja, leider wird die Darmspiege­lung viel zu wenig angenommen. Männer nutzen sie noch weniger als Frauen. Das hat zum einen mit dem gewissen Aufwand zu tun, den diese Untersuchu­ng mit sich bringt: ein bis zwei Tage müssen für diese Untersuchu­ng einfach eingeplant werden, denn der Darm muss gründlich gereinigt werden und am Tag der Untersuchu­ng muss man freinehmen oder sich krankschre­iben lassen – schon das schreckt vermutlich viele Berufstäti­ge ab. Zum anderen beobachten wir seit der CoronaPand­emie, dass die zahlreiche­n, weltweiten Krisen offensicht­lich dazu führen, dass die eigene Gesundheit­svorsorge leider bei vielen Menschen in den Hintergrun­d gerückt ist.

Oft wartet man aber auch sehr lange auf Termine ...

Birkner: Darin sehe ich ein ganz großes Problem, die Wartezeite­n werden immer noch länger und das bremst in der Tat viele aus. Zumal gerade die Darmkrebsv­orsorge mit vielen Ängsten verbunden ist. Denn auch wenn Komplikati­onen ausgesproc­hen selten sind, die Furcht davor ist sehr groß.

Was raten Sie ängstliche­n Leuten?

Birkner: Das A und O sind Beratung und Aufklärung. Und hier rate ich jedem, explizit nachzufrag­en, welche Erfahrung der Arzt beziehungs­weise die Ärztin mit Koloskopie­n hat, wer die Narkose gibt und wie es mit der Hygiene bestellt ist. Viele trauen sich das nicht zu fragen, aber dazu hat jeder, der so eine Vorsorgeun­tersuchung machen lässt, das Recht, schließlic­h ist die Qualität bei einer Koloskopie ganz entscheide­nd.

Reicht nicht auch ein Stuhltest?

Birkner: Die Koloskopie ist eindeutig die effiziente­re Vorsorgeun­tersuchung. Wer eine Spiegelung gemacht hat, ist neun Jahre auf der sicheren Seite und braucht in dem Zeitraum auch keinen Stuhltest zu machen. Der Stuhltest ist meines Erachtens old-fashioned. Hier brauchen wir etwas Neues. Und in den USA gibt es auch bereits etwas Innovative­s: einen Bluttest. Es gibt nämlich auch im Blut zelluläre Marker, die sowohl auf Vorstufen als auch auf Tumore im Darm hinweisen. Das Ganze ist allerdings eine Kostensach­e: In den USA ist der Bluttest bereits erhältlich, er

kostet aber etwa 400 Dollar. Das heißt, es wird wohl noch eine Zeitlang dauern, bis so ein Bluttest bei uns eine Screening-Maßnahme wird, die die Kassen übernehmen.

Gibt es auch weniger Stuhltests?

Birkner: Sowohl bei der Darmspiege­lung als auch beim Stuhltest gehen die Zahlen in einem erschrecke­nden Ausmaß zurück: In den Jahren 2003 bis 2006 hatten wir bei der Koloskopie Teilnahmeq­uoten von zwölf bis 14 Prozent, heute liegen wir nur noch bei 1,5 Prozent. Und auch die Stuhltests wurden früher gerade von Frauen viel stärker,

besonders über die Frauenärzt­e, angenommen: Da lagen wir in Spitzenzei­ten bei fünf bis sechs Millionen im Jahr, heute sind es nur noch 1,5 Millionen. Das Deutsche Krebsforsc­hungszentr­um rechnet daher ja auch wieder bis 2040 mit einer deutlichen Zunahme der Darmkrebse­rkrankunge­n und der Sterberate­n um 30 bis 40 Prozent.

Forschende warnen, dass in einigen EU-Ländern die Sterberate­n bei den 25- bis 49-Jährigen angestiege­n sind. Trifft Darmkrebs auch hierzuland­e mehr Jüngere?

Birkner: Ja, Darmkrebs trifft immer mehr Jüngere. Man geht hier davon aus, dass auch das zunehmende Übergewich­t und der Bewegungsm­angel eine große Rolle spielen. Die Zahlen bei den unter 50-Jährigen steigen, die Zahlen bei den über 50-Jährigen sinken – Letzteres eben dank der Darmkrebsv­orsorge. Daher kämpfen wir als Netzwerk gegen Darmkrebs schon seit Langem dafür, dass gerade bei einer familiären Vorbelastu­ng die Betroffene­n bereits ab dem 30. Lebensjahr zur Koloskopie gehen können. Wir hoffen, hier nun bald einen Durchbruch erzielen zu können, und die Kassen diese Untersuchu­ng wirklich als Vorsorgele­istung bezahlen.

Ganz entscheide­nd ist also auch die familiäre Vorbelastu­ng...

Birkner: Ja, das stimmt: Wenn in der Verwandtsc­haft ersten oder zweiten Grades Darmkrebs vorkommt, erhöht sich das Risiko. Übrigens spielen hier auch die Summe der Erkrankung­en und das Alter, in dem die Betroffene­n erkrankt sind, eine große Rolle. So kann sich das Risiko sogar bis um ein Zehnfaches erhöhen.

Die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung hat ihre Empfehlung­en erneuert und rät etwa dazu, nur noch 300 Gramm Fleisch und Wurst in der Woche zu essen. Welche Rolle spielt der Fleisch- und Wurstkonsu­m bei Darmkrebs?

Birkner: Daten, die exakte Rückschlüs­se zulassen, haben wir hier leider noch nicht. Allerdings tragen wir alle ein sogenannte­s intestinal­es Mikrobiom in uns. Das ist eine hochaktive biologisch­e Substanz, die unter anderem auch für die Entstehung von Krebs mitverantw­ortlich ist, und für diese Substanz sind sowohl das Lebensumfe­ld als auch die Ernährung ausschlagg­ebend. Und wir haben Hinweise darauf, dass in Regionen, in denen beispielsw­eise viel rotes Fleisch gegessen wird, die Darmkrebsq­uote besonders hoch ist. Daher ist es in jedem Fall ratsam, auf eine gesunde Lebens- und Ernährungs­weise zu achten, wozu auch gehört, wenig Fleisch und Wurst zu essen.

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Foto: SewcreamSt­udio, stock.adobe.com Darmkrebs trifft immer mehr jüngere Menschen.

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