Schwabmünchner Allgemeine

„Vaterland und Leben“

Nahrungsmi­ttel fehlen, der Benzinprei­s steigt um 500 Prozent, der Strom fällt aus. Not und Wut treiben viele Kubaner auf die Straßen. Wird ihr Aufstand niedergesc­hlagen? Es wäre nicht das erste Mal.

- Von Sandra Weiss

Nach wochenlang­er Nahrungsmi­ttelknapph­eit und immer neuen Stromausfä­llen gehen die Menschen in Kuba gegen die politische Führung auf die Straße. „Wir wollen Essen“und „Nieder mit dem Kommunismu­s“skandierte­n die Demonstran­ten in verschiede­nen Städten der Insel nach Berichten regierungs­kritischer Medien. Selbst das staatliche Portal Cubadebate berichtete über Proteste, wenn auch sehr defensiv.

Epizentrum waren Armenviert­el von Santiago de Cuba im Osten des Landes. Es kam aber auch in anderen Orten zu Unruhen; aus Havanna lagen zunächst keine Informatio­nen über Demonstrat­ionen vor. Die Hauptstadt ist in der Regel etwas besser mit Benzin, Essen und Energie versorgt als das Landesinne­re. Auslöser der Unruhen war einem Bericht zufolge, dass die staatliche­n Lebensmitt­elläden nur noch drei Pfund Reis an die Bezieher der Lebensmitt­elgutschei­ne ausgaben statt wie üblich sieben. Auch der Kaffee sei noch weiter rationiert worden. Beides gehört in Kuba zu den Grundnahru­ngsmitteln. In der Nacht zum Sonntag wurde dann ohne Vorwarnung 14 Stunden der Strom abgeschalt­et; einige Viertel haben seit Tagen kein Wasser.

Erst im Februar hatte die Führung die Preise drastisch erhöht. Benzin wurde gleich um 500 Prozent teurer, Gas und Strom um 25 Prozent. „Alles ist teuer, wir hungern, und dann noch die ganzen Stromausfä­lle, die dazu führen, dass das wenige Essen, was du ergatterst, im Kühlschran­k verschimme­lt“, beschwerte sich eine Demonstran­tin in einem Video aus Santiago. „Wir sind am Rande eines Nervenzusa­mmenbruchs“, resümierte eine andere Frau.

Wackelige Amateur-Handyaufna­hmen zeigten eine starke Präsenz von Polizei, Militär und Staatssich­erheit, wohl zur Einschücht­erung. Es wurde offenbar auch versucht, Teilnehmer der Proteste am Filmen zu hindern. Auf einigen Aufnahmen waren kommunisti­sche Parteifunk­tionäLeben­smitteln re zu sehen, die auf einem Dach standen und versuchten, die aufgebrach­ten Menschen zu besänftige­n. Manche der Anwesenden, darunter viele Frauen, forderten „Vaterland und Leben“. Der Slogan ist einem gleichnami­gen Protestlie­d entnommen. Darin wird die kubanische Mangelwirt­schaft kritisiert und der kommunisti­sche

Schlachtru­f „Vaterland oder Tod“demontiert. „Vaterland und Leben“ist inzwischen zur Parole aller Unzufriede­nen und Regimegegn­er auf Kuba geworden.

Später blockierte die Führung das Handy- und Internetsi­gnal und postete selbst auf sozialen Netzwerken Fotos von leeren Straßen in Santiago – allerdings aus dem Stadtzentr­um, weit entfernt von den Demonstrat­ionen. Vereinzelt gab es noch Informatio­nen, dass die Führung Lastwagen mit

nach Santiago beorderte, um die Gemüter zu beruhigen. Kubas Staatschef Miguel Diaz Canel machte das US-Embargo für die Lebensmitt­elknapphei­t und die Stromausfä­lle verantwort­lich.

Nahrungsmi­ttel fallen allerdings gar nicht unter das Embargo. Die USA sind einer der wichtigste­n Lebensmitt­elexporteu­re nach Kuba. 2023 gingen Waren im Wert von 342 Millionen US-Dollar aus den Vereinigte­n Staaten dorthin. Die Sendungen müssen allerdings vom notorisch zahlungsun­fähigen und verschulde­ten Kuba voraus in Cash bezahlt werden. Beim Thema Energie schlagen die nachlassen­den Öllieferun­gen aus Venezuela zu Buche. Das sozialisti­sche Bruderland, selbst in wirtschaft­lichen Nöten aufgrund von Mangelwirt­schaft und Sanktionen, liefert derzeit nur noch 34.000 Fass Öl täglich. Voriges Jahr waren es noch 56.000. Kuba benötigt ungefähr 125.000 Fass täglich, um sich versorgen zu können.

In der kommunisti­schen Partei knirscht es. Erst vorige Woche war

Wirtschaft­sminister Alejandro Gil abgesetzt worden. Gegen ihn und einen Geschäftsm­ann wird wegen Korruption ermittelt. Diaz Canel regiert das Land seit dem Rückzug von Revolution­sführer Raúl Castro 2019. Dem grauen Parteibüro­kraten war jedoch wenig Glück beschert. Die Pandemie ließ den Tourismus einbrechen, ein wichtiges wirtschaft­liches Standbein. Die Führung machte auf dem letzten Parteikong­ress liberale Reformen rückgängig. All dies führte im Juli 2021 zu Massenprot­esten, die von der Staatssich­erheit brutal niedergesc­hlagen wurden.

Beobachter fürchten, dass sich dies wiederhole­n könnte. Menschenre­chtsorgani­sationen zufolge gibt es derzeit tausend politische Gefangene in Kuba, davon wurden 700 in Zusammenha­ng mit dem Protest von 2021 zu langen Haftstrafe­n verurteilt. In den vergangene­n zwei Jahren flohen fast 600.000 zumeist junge, gut ausgebilde­te Kubanerinn­en und Kubaner – vor allem in die USA, aber auch nach Mexiko und Uruguay.

Hunderte politische Gefangene sitzen weiter in Haft.

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Foto: Daniel Araya Martin, dpa In den vergangene­n Jahren ist die Zahl der Unzufriede­nen und Regimegegn­er auf Kuba nicht geringer geworden.

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