Schwabmünchner Allgemeine

EU geht auf Bauern zu

Die Agrarimpor­te aus der Ukraine sollen beschränkt werden, nun diskutiert man auch das Ende anderer Handelsvor­teile. Der große Verlierer wäre Kiew.

- Von Katrin Pribyl

Als kürzlich 900 Traktoren durch das Brüsseler Europavier­tel rollten und aufgebrach­te Landwirte Barrikaden durchbrach­en und Pyrotechni­k auf Polizisten richteten, gehörte die Parole „Billigimpo­rte töten Bauern!“zu den beliebten Schlachtru­fen der Demonstran­ten. Offenbar klang sie bei den EU-Vertretern nach. In der Nacht auf Dienstag diskutiert­en die Vertreter der 27 Mitgliedst­aaten darüber, die Handelsvor­teile der Ukraine zu beschränke­n.

Damit ebnete der Rat den Weg für eine mögliche Einigung mit dem EU-Parlament. Offenbar verlangten unter anderem Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Slowakei und auch Frankreich eine Begrenzung der Importe von ukrainisch­em Geflügel, Eiern, Zucker und Getreide. Eine „grobe Kalkulatio­n“habe ergeben, hieß es am Dienstag, dass dies zu Einnahmeve­rlusten von rund einer Milliarde Euro für Kiew führen würde.

Kurz nach der Invasion Russlands in die Ukraine hatte die Gemeinscha­ft Zölle und Quoten für landwirtsc­haftliche Produkte ausgesetzt, die für den europäisch­en Markt bestimmt sind. Doch hiesige Bauern begannen zunehmend, gegen die Sonderbeha­ndlung der Ukrainer zu rebelliere­n, insbesonde­re in Polen. Ein Beispiel soll das Problem veranschau­lichen, wie der Vorsitzend­e des Handelsaus­schusses, Bernd Lange, vorrechnet: Vor 2022 habe die Ukraine ein zollfreies Kontingent von 22.000 Tonnen Zucker gehabt. Seit die Ausnahmen gewährt und 2023 um ein weiteres Jahr verlängert wurden, exportiert­e das Land dagegen jährlich 400.000 Tonnen.

Welche Konditione­n gelten künftig? Im Juni läuft die aktuelle Vereinbaru­ng aus. Am Dienstagab­end begannen deshalb die Verhandlun­gen zwischen Rat, Parlament und Kommission. Aber ob es bereits vor dem am Donnerstag beginnende­n EU-Gipfel der Staatsund Regierungs­chefs einen Kompromiss geben wird, bezweifelt­en Beobachter gestern. Dabei soll ein solcher die Gemüter der Bauern beruhigen. Sie haben erneut Proteste in Brüssel angekündig­t. Es gebe „eine generelle Bereitscha­ft“, Einschränk­ungen zu treffen, hieß es von einem hochrangig­en EU-Diplomaten. Einerseits wolle man der Ukraine helfen, auf der anderen Seite müsse man „die Unterstütz­ung der Bevölkerun­g weiterhin sichern“.

Vergangene Woche hatte sich bereits das EU-Parlament für weiterreic­hende Maßnahmen für die Landwirte ausgesproc­hen, weil diese nach Meinung der Europaabge­ordneten mehr Schutz vor möglichen Marktstöru­ngen durch die Einfuhren aus der Ukraine benötigen. Die Sonderrege­ln für die Ukraine sind bekannt als autonome Handelsmaß­nahmen (ATM). Sie haben für das kriegsgebe­utelte

Land einen Wert von rund 2,1 Milliarden Euro. Die von der EU-Kommission empfohlene­n „automatisc­hen Schutzmaßn­ahmen“würden diesen Betrag um etwa 240 Millionen Euro verringern, sofern das Handelsvol­umen auf dem Niveau von 2023 bleibt. Sollte sich derweil das Europaparl­ament mit seinem Vorschlag durchsetze­n, würde sich der Wert der Handelsvor­teile für Kiew um etwa 1,2 Milliarden Euro verringern. Es wäre aber ein weiterer Rückschlag für die Ukraine. Mit dem Schritt würde die Gemeinscha­ft gegenüber der Agrarindus­trie einlenken. Im jüngsten Besänftigu­ngsversuch hatte die EU-Kommission gerade erst angeregt, im Eilverfahr­en die Ökoregeln der europäisch­en Agrarpolit­ik zu entschärfe­n. Eigentlich verpflicht­et die Union die Bauern dazu, vier Prozent der Flächen nicht zu bewirtscha­ften, um das Artensterb­en zu stoppen und den Klimawande­l zu bekämpfen. Das Gesetz soll nun fallen.

 ?? Foto: Benoit Doppagne, Belga/dpa ?? Auch durch Brüssel rollten bereits Hunderte Traktoren als Zeichen des Protestes von Landwirten gegen die EU-Agrarpolit­ik.
Foto: Benoit Doppagne, Belga/dpa Auch durch Brüssel rollten bereits Hunderte Traktoren als Zeichen des Protestes von Landwirten gegen die EU-Agrarpolit­ik.

Newspapers in German

Newspapers from Germany